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Beim Schreiben und Zusammenstellen des Informationsartikels zum Día de Muertos, fielen mir bereits mehrere Parallelen zur Nordischen und Irish-Keltischen Mythologie auf, die zu mehreren Assoziationen und Spekulationen führten. Es mag nur eines dieser „Zufälle“ sein, dass ich für den ADF Kurs IE Myth 2 gerade das Totenreich recherchiert habe. 

Grundelemente eines Proto-Indoeuropäischen Polytheistischen(?) Totenreich Mythos

In seinem Buch “Death, War and Sacrifice”, beschreibt Bruce Lincoln einige Merkmale Indo-Europäischer Totenreiche. Hauptsächlich werden die Totenreiche nicht durch das beschrieben was sie sind, als wüsste der Berichter das selbst nicht, sondern dadurch, was sie nicht sind: Vornehmlich Orte wo nichts Unangenehmes ist (Lincoln 24f). Viele Mythen weisen einen Herrn der Toten auf, häufig der erste der gestorben war ist, so dass das erste Opfer selbst zu einem Schöpfungsakt wurde, damit die Toten einen Ort erhalten, um nach ihrem Leben sich auszuruhen oder feiern zu können (Lincoln 41). Dieser erste Tote steht gerne auch mit dem ersten Opfer, als der „Zwilling“ der Opfer-Priester-Königs in Verbindung. Das Paradies war häufig im Süden (Lincoln, 42) und der Tod selbst war häufig eine “Schöne und Schrecklich, tödlich attraktive” Göttin, deren Name häufig mit “Bedeckerin”, “Verhüllerin” zu tun hatte  (Lincoln, 87). Um ins Reich der Toten zu gelangen mussten die Toten ein Gewässer in einer Form überqueren. In manchen Mythen verlieren sie dort ihre Erinnerungen, die wiederum zu einer Quelle getragen werden, von der besondere Individuen Trinken dürfen um Weisheit zu erhalten (Lincoln 57). In vielen Kulturen gibt es eine Figur, die den Seelen behilflich ist, oft ein Fährmann, der das Alter repräsentiert (Lincoln, 62). Zwischen den beiden Reichen finden wir auch einen oder zwei „Höllenhunde“ (Lincoln 96). Häufig ist auch von Wällen aus Erde die Rede, die nach Lincoln die Hügelgräber widerspiegeln (Lincoln 114). Diese Elemente sind nicht in allen Kulturkreisen in gleicher Offensichtlichkeit vorhanden, manchmal können sie auch fehlen oder wurden stark verändert. Lincoln sah sie ursprünglich als ein Hinweis auf einen Proto-Indoeuropäische Grundmythos, hat selbst später jedoch die Idee einer Proto-Indoeuropäischen Religion kritisiert.


Die Aztekische Totenwelt

Die Vorkolumbianischen Azteken hatten eine Vorstellung von drei Welten:
Topan – die Oberwelt,
Cemanahuatl die Mittelwelt von den Menschen bewohnt und
Mictlan – die Unterwelt, von denen bewohnt, die eines natürlichen Todes starben.

Mictlan bestand aus 9 Stufen, die man in vier Jahren lang auf einem beschwerlichen Weg mit mehreren Prüfungen durchlief. Zum Schluss standen die Verstorbenen vor einem sieben armigen Fluss. Xolotl, der Zwillingsbruder (!) von Quetzalcoatl, dessen Name Diener bedeutet und der wie ein Skelett dargestellt wird, hilft den Seelen bei der Überquerung des Flusses, damit diese nach Omeyocan, ihrem eigentlichen Ziel gehen können. Wie im Artikel über den Día de Muertos elaboriert, kannten die Azteken noch andere Ruhestätten der Toten, je nach Todesart: Tlalocan, für jene deren Tod mit Wasser in Verbindung stand. Das bereits erwähnte Omeyocán für die gefallenen Krieger und die Frauen die im Totenbett starben (sie übersprangen die ersten Stufen der Reise) und für den Rest, der eines natürlichen Todes starb eben Mictlan.

Nochmal kurz aus dem Artikel des Día de Muertos

Das Fest, das später zum heutigen Día de Muertos wurde, wurde ursprünglich Anfang August gefeiert und dauerte einen kompletten Monat. An der Spitze des Festes stand die Göttin Mictecacíhuatl (auch Mictlancihuatl) die „Herrin der Toten“ .

Wenn auch nicht „rein“ nordisch, müsste bereits die Vorstellung von den drei „Welten“ vielen bekannt vorkommen. (Ansonsten hier nachlesen bitte). Xolotl erinnert mich spontan nicht nur an den Fährmann, sondern auch an das erste Opfer „Zwilling“, die Mythologischen Zusammenhänge konnte ich noch nicht überprüfen.


Spekulative Vergleiche mit der Nordischen Mythologie

Hel und Garm 1889 von Johannes GehrtsUnterschiedliche Totenreiche, je nach Art des Todes kennt auch die Nordische Mythologie: Die Hallen der Götter Odin und Frejya (Valhalla und Folkwang) für die tapferen Krieger (Davidson 92). Das Unterwasserreich der Göttin Ran, für jene die auf See starben und der Rest ging zu Hel’s Reich (Golther 505). Es wurde spekuliert, in wie weit Hel, die Göttin der Nordischen Unterwelt, erst später (von Snorri) in die Edda eingeführt wurde. Im Gylfaginning wird Hel als halb Blau und halb Hautfarben beschrieben. 
Die Wikinger waren übrigens die ersten „Europäer“, die am Ende des 10. Jahrhunderts, fast 500 Jahre vor Kolumbus, Amerika wiederentdeckten. Natürlich könnte man spekulieren in wie weit dieser Zusammenhang durch Beeinflussung der Wikinger entstanden ist, allerdings ist ihre Siedlung für Kanada belegt und nicht Meso-Amerika. Die Entstehung der Aztekischen Kultur wird selbst erst etwa ins 14. Jahrhundert geschätzt, manche Zahlen sprechen aber auf vom 11. Jahrhundert. Natürlich gibt es so etwas wie einen Minoritäteneinfluss und wir wissen nicht wie viele Siedlungen mehr es gab und Zeit genug von Kanada ins heutige Mexiko zu reisen hätte es auch gegeben. Die einfachere Erklärung könnte aber auch sein zu sagen, dass es sich dabei um allgemein polytheistische Ideen handeln könnte – was es natürlich auch zu prüfen gelte! Viele der Mythenvergleiche haben sich bisher stark auf den Indo-Europäischen Raum beschränkt.
Für die Nordische Mythologie ist unsere Hauptquelle die Lieder- und Prosa Edda, sowie die Heimskringla. Die letzten beiden im 13. Jh. Von Snorri Sturluson nach der Christianisierung aufgeschrieben.



Spekulationen zwischen Irisch-Keltischer Mythologie und Aztekischer 


Die Totenfeier bei den Azteken wurde ursprünglich Anfang August gefeiert (in einem Festzyklus mit mehreren länger andauernden Festen). Sie wurde erst in nachkolumbianischer Zeit durch die Missionare zum Datum nach Allerheiligen verlegt, wahrscheinlich im 16. Jahrhundert, als das Aztekische Reich untergegangen war.

Nochmal kurz aus dem Artikel des Día de Muertos:

Das erste Fest wurde um den heutigen 16. Juli gefeiert. Es wurde mit der Fällung des xócotl Baums begonnen. Die Rinde wurde abgenommen und er wurde mit Blüten verziert. Während 20 Tagen wurden dem Baum Gaben dargebracht.
Um den 5. August herum wurde dann Ueymicaillhuitl gefeiert, das Fest der großen Toten. Es wurden Prozessionen gefeiert, die mit Umkreisungen des Baums beendet wurden.


Bereits das Aufstellen und entrinden des Baumes erinnert mich an die Beltane Bräuche und ruft vielleicht noch stärker sogar Assoziationen an das Aufstellen des Mittsommerbaumes aus Schweden hervor (wenn auch das Fest im Juli beginnt). Ich weiß, ich bin gerade in den Kulturen gesprungen. Ich verzichte auf einen Brückenschlag zu den Wikingern, ihr wisst wo ich Assoziativ bin ;-).

   Schwedischer Mittsommerbaum und xócotl (siehe Día de Muertos Artikel für Infos bzgl. xócotl)

Zurück zur Irischen Kultur:

Lughnasadh wird Anfang August gefeiert und steht mit Tailtiu, der Ziehmutter des Lugh in Verbindung. Es wird auch gesagt, dass es sich dabei um ein Fest zu Ehren ihres Begräbnisses handelt. Wir haben hier also die Parallele eines ausgelassenen, fröhlichen, neuzeitlich mit Kirmes verbundenen „Totengedenkfestes“ in August mit „Vorsitz“ einer weiblichen Gottheit.
Ich habe bereits an anderer Stelle angezweifelt, ob nicht die Feierlichkeiten um die Ahnen erst mit dem Christentum zu Samhain kamen und die starke Verbreitung der Idee von Samhain als Ahnenfest erst durch Frazer im 19. Jahrhundert zurückprojiziertt wurde (siehe hier) . Ein Freund teilte mir kürzlich mündlich mit, dass auch Ronald Hutton diese Meinung verstärkt vertritt (Quelle fehlt mir noch). Lughnasadh ist das einzige Fest, was uns durch die Begräbnisspiele tatsächlich eine Verbindung mit zumindest „einer Toten“ herstellt. In der detaillierten „Lughnasa“ Analyse von Máiri MacNeill (Deutsche Zusammenfassung hier zu finden) werde auch die Begräbnisfeierlichkeiten erwähnt, wie das „Tailtiu“ auch ein Gräberfeld darstellt. Ein Aspekt des Festes Lughnasadh ist auch der Kampf zwischen Alt und Neu, Lugh / Patrick und dem dunklen Crom Dubh. Und das Schneiden der ersten Korngarbe. Nach MacNeill vereint Crom Dubh auch Aspekte des Pluto, dem Römischen Gott der Unterwelt und sieht ihn als Double von Donn. Nun gibt es zwei bekannte Donn’s in den Irischen Mythen: Das Lebor Gabála érenn spricht vom Milesier Donn, der als erster der Milesier vor der irischen Küste stirbt (sich selbst opfert) von jenen die über das Meer kommen stirbt und der etablierung seines Totenreiches, Tech Duinn, wo all seine Abkömmlinge hingehen. Der andere Donn wird im „Táin“, (Rinderraub von Cooley), erwähnt und ist Donn Cúalnge, der dunkle [Bulle] von Cooley, dessen Kampf mit Findbennach ihm später die Rolle des Herrn der Toten gibt. Findbennach wird dabei zerstückelt und so entsteht Irland, während Donn kurz darauf stirbt. Da der Irische Mythos auf einem „Entstehung durch Kampf“ anstatt einer „Entstehung durch Opfer“ basiert, ist es logisch, dass nicht der Verlierer, sondern der Gewinner zum Herrn der Toten wird (Lincoln, 34f). So erhält Crom Dubh eine mögliche Verbindung zu einem Opferaspekt, auch wenn er hier der Verlierer des Kampfes und nicht der Sieger zu sein scheint. Andererseits haben wir es hier auch mit dem Aspekt der Kornernte zu tun und es könnte auch sein, dass der Kampf eine neuere Schicht des Mythos wurde. Nein, ich werfe jetzt keine Spekulationen über Seth und Osiris (dem Ägyptischen Herrscher der Totenwelt), der auch schon mit Weizen verglichen wurde hinein. Das war jetzt nur eine Randbemerkung ;-).

Der Übersicht halber: Die meisten Manuskripte der Gälische Mythologie wurden nach der Christianisierung von Mönchen ca. im 11. – 12. Jahrhundert geschrieben, manchmal auch zum 6. Od. 8. Jh. zurückdatiert.


Und jetzt doch noch ein Ausflug nach Ägypten und etwas mehr zum Hundsstern, Sirius

Zusätzlich gibt es noch Hinweise, dass Lughnasadh mit dem Hundsstern Sirius in Verbindung steht (siehe Gaspani). Und Sirius, wiederum steht mit Orion in Verbindung, der übrigens wiederum Osiris darstellt.

Bei den Ägyptern war Sirius (Sothis) die Göttin Sopdet, gut erkennbar an dem Stern auf dem Kopf. Es heißt, dass sie den verstorbenen Königen half in den Himmel aufzusteigen (Totenbegleiterin der Könige). Mit dem heliakischen Aufgang des Sirius (Im Jahr 2000 v. u. Z. war die Nilflut und der heliakische Aufgang des Sirius ungefähr am 22./ 23. Juni.  ) begann das neue Jahr. Sie stand auch in Verbindung mit den Lebensspenden Nilflutung, die sie ankündigte und womit die Fruchtbarkeit in Ägypten einzog. Ihr „Hervorkommen“ wurde als ihre Geburt gesehen und wenn sie nicht mehr Sichtbar war, ging sie in die Unterwelt. Im Grunde eine Göttin also, die zwischen Ober und Unterwelt sich „frei“ bewegen konnte. Sie gilt als Geburtshelferin und Sterbebegleiterin der Stern. Als Göttin des neuen Jahres war sie am Anfang der Entstehung der Welt mit dabei. Der heliakische Aufgang des Sirius war auch der erste Tag der „neuen“ Welt (Jahr).

Später ging Sirius erst nach der Nilflut auf, und in der griechisch-römischen Zeit Ägyptens wurde die Mythologie den Begebenheiten in der Natur angepasst (!).

Sirius wurde in der griechischen Antike sehr stark beachtet und gehörte zu den einzigen Gestirne denen kultische Handlungen zukamen.
Im 8. Jahrhundert vuZ (vor unserer Zeitrechnung) war der heliakische Aufgang des Sirius um den 20. Juli. Homer nannte ihn bereits „Orion’s Hund“. Trotz des Kultes war er nicht positiv belegt, da er „unerträgliche Hitze“ brachte. Kurz darauf setzten aber kühle Winde ein, was ebenfalls mythologisch verarbeitet wurde und uns deutlich zeigt, wie stark Mythologie mit Naturbegebenheiten verbunden wurde!  Der Stern wurde auf Griechisch Seirios genannt, was gleichzeitig auch ein Beiname des Sonnengottes Helios ist, der von den Griechen mit Osiris gleichgesetzt wurde. Nicht direkt eine Verbindung zu einem Hund, aber nochmal zum nahen Osiris.

Obwohl es zeitlich nicht passt findet sich in den Kommentaren des Macrobius (4. / 5. Jh. zu) zu Cicero‘s Somnium Scipionis (verfasst im 1. Jahrhunder vuZ) ein interessanter Hinweis:
So soll es zwei Himmlische Tore geben, eines in der Region der Wintersonnenwende (Tor der Götter), das andere bei der Sommersonnenwende (Tor der Menschen). 
Das „Tor der Götter“ heißt so, weil die Seelen der Toten darüber von der Erde zum Jenseits reisen, zurück zum Himmel der Unsterblichkeit woher sie kommen.
Über das „Tor der Menschen“ kehrten die Seelen auf die Erde zurück um wieder geboren zu werden. Nach Macrobius‘ Kommentar ist der natürliche Aufenthaltsort der Seelen die Milchstraße.
Mehrere Jahrhunderte später treffen wir auf der anderen Seite der Welt auf eine interessante Idee der Cherokee (14. Jahrhundert, zur Zeit Kolumbus‘ im 15. Jh. das mächtigstes Volk im Nordosten Amerikas). Wie bei mehreren Nordamerikanischen Volksstämmen wird Sirius mit Hunden oder Wölfen assoziiert. Dabei ist die Milchstraße der „Pfad der Seelen“ der von Sirius und Antares (ein Markerstern, allerdings nicht für die Wintersonnenwenden, sondern steht auch bei Gaspani mit Trinox Samoni in Verbindung) bewacht wird. 
Eine interessante Assoziation mit den Aztekischen Brauch den Toten Hunde als Begleiter mit ins Grab zu legen.

Heute geht Sirius je nach Beobachtungsort übrigens um den 1. – 7. August auf.


Die hoch spekulative Zusammenfassung und Siegerehrung

Vielleicht gab es in unterschiedlichen polytheistischen Kulturen eine mythologische Idee, dass die Seelen durch die Milchstraße zwischen dem Diesseits und Jenseits zu bestimmten Zeiten wandeln konnten. Der Aufgang des Sirius, der als BegleiterIn und Totenführer oder Wächter fungierte, markiert dabei einen besonderen Zeitpunkt, vielleicht denjenigen, wo die Tore für die Seelen geöffnet wurden, so dass sie zu einer großen Versammlung – nicht nur für die Lebenden, sondern auch für die Toten kommen konnten. Dies geschah auch um den Zeitpunkt, wo das erste Opfer stattgefunden hat als die Welt erschaffen wurde und der Herr der Toten (der Zwilling) geopfert wurde, um das Totenreich zu erreichten.


The end-

Wie schon angekündigt, sehr spekulativ. Für mich persönlich klingt es erst mal sehr schlüssig. Es sind mehrere Aspekte drin, denen es lohn nachgegangen zu werden und viele Lücken, die eigentlich erkärt werden müssten. Vieles wie z.B. wie war die Sichtbarkeit des Sirius' in Mesoamerika? Konnte ich (noch) nicht herausfinden. Ich würde mich freuen, wenn Menschen mit mehr Wissen od. spezielles Fachwissen in bestimmten Gebieten, etwas dazu beitragen.

Ich steh natürlich wieder vor dem Problem wie ich vor einigen Jahren stand, als ich vor Samhain einen Vortrag zum Fest hielt, mit dem Fazit:

„Ja eigentlich gab es zur Samhain gar keine sehr große Ahnenverehrung, nicht mehr als sonst – aber wir machen das jetzt trotzdem, weil es sich so kulturell eingebürgert hat auch unter Heiden und wir alle so sozialisiert sind, dass wir ein Ahnengedenkfest im August wahrscheinlich ganz komisch finden würden“. 

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