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Für mich ist der gemeine Beifuß = Artemisia vulgaris eine Pflanze, die zwischen den Welten steht, die zwischen verschiedenen Aspekten vermittelt und somit verbindet.

Dies gilt sowohl für die medizinische Verwendung, den mythologischen Hintergrund, den rituellen und den volkstümlichen Gebrauch.

Beifuß finden wir an trockenen, warmen, sonnigen Standorten, auf Schuttplätzen und an Wegrändern, also auch hier an der Schwelle zwischen der zivilisatorischen Infrastruktur hin zur wilden Natur. Bis zu 2m hoch wächst das zu den Compositae (=Korbblütlern) zählende Kraut.

Beifuß ist unter vielen Namen bekannt, von denen ich die gängigsten nennen und zugleich ihren Ursprung erklären möchte.

Die botanische Bezeichnung Artemisia vulgaris geht zurück auf Artemis, die griechische Göttin der wilden Jagd, die jungfräulich kriegerische Mondgöttin, Herrin der Heilpflanzen und der Heilkräuterkundigen sowie Schutzpatronin der wilden Tiere, Beschützerin der Frauen und Hüterin der Geburt.

 

In Griechenland wurde die Pflanze „Hüterin des weiblichen Schoßes“ (Schoßkraut) genannt.

Beifuß wird vor allem während der Niederkunft geräuchert oder als Salbe auf Brust, Bauch und Scham aufgetragen, um den Neugeborenen den Übertritt über die Schwelle des Lebens, also dem Wechsel zwischen der Anderswelt und dem Hier-und-Jetzt, zu erleichtern.

Aus demselben Grund ist Artemisia auch Bestandteil der Totenriten, wenn die Seele wieder die Schwelle zum Jenseits überfliegt.

 

Als Diania kannten es die Römer, die den Beifuß ihrer Jagdgöttin Diana zuordneten. Diese ist aber, genau wie die ägyptische Isis und die nordische Frau Holle, mit nahezu identischen Attributen ausgestattet wie Artemis. Rehe, Antilopen und Gabelböcke, die Lieblingstiere der Diana, fressen besonders gern die bitteren Blätter und Stängel vom Beifuß.

 

Der Name Jungfernkraut oder Parthenis hebt den jungfräulichen Aspekt (der wilden, scheuen Jägerin) hervor. Viele Heilkräuterkundige empfehlen, Beifuß im Zeichen der Jungfrau zu ernten.

Allerdings wurde das Kraut auch zur Geburtenregulierung (als Abtreibungsmittel) eingesetzt, was ebenfalls zu diesem Namen passt.

 

Gänsekraut deutet einerseits die kulinarische Verwendung von Beifuß an. Traditionell wird die Martins- oder Weihnachtsgans mit dem Kraut gewürzt, da es die Verdauungsorgane (Magen, Darm, Leber...) anregt und den Stoffwechsel aktiviert.

Aber auch hier stoßen wir wieder auf Frau Holle, die in Großbritannien „Mother Goose“ heißt. Sie ist außerdem die Hüterin des Schamanenfluges, dessen Symbole Gänse und Schwäne sind.

Weiterhin ist die Gans ein uraltes Symbol für die abnehmende und zunehmende Kraft der Sonne, die zu Lichtmeß die helle und zu Samhain die dunkle Jahreszeit ankündigt. In diesen Tagen fliegen Zauberer, Schamanen und Hexen in die jenseitige Welt. Daher sollte mensch bei schamanischen (und Astral-) Reisen Beifuß räuchern, damit die Seele wieder ungehindert in den materiellen Körper eintreten kann.

Bei den nordeuropäischen Schamanen war es üblich, zu Winteranfang eine Gans zu opfern, als Zeichen des Abschieds von den Naturgeistern, die sich nun  bis zum Frühling in die Unterwelt zurückzogen. Diese Gans wurde mit Beifuß eingerieben und abgeräuchert.

Aus dem Gänsefett stellten sie unter Beigabe „giftiger“, psychoaktiv wirkender Kräuter (wie Tollkirsche, Bilsenkraut, Fliegenpilz, Schierling, u.v.m.) eine „Flugsalbe“ her, die die Reise in die Anderswelt erleichterte. 

 

Als Sonnenwendgürtel, St. Johannskraut, Johannisgürtel, Gürtlerkraut wird Artemisia zur Mittsommernacht zu einem Gürtel geflochten und getragen. Dieser Zeitpunkt markiert den Übergang von der einen zur anderen Jahreshälfte. Der bisher herrschende Eichenkönig stirbt und gibt das Zepter an den Stechpalmenkönig (des keltischen Jahreskreislaufes). Am Ende der Sonnenwendfeier wird der Beifußgürtel im Feuer verbrannt und mit ihm aller Unbill und alles Leiden.

Auch zur Wintersonnenwende und während der Rau(h)nächte zwischen den Jahren ist Artemisia Hauptbestandteil des Räucherwerkes.

 Die Bezeichnung Una (griech. = Bärin) verbindet Beifuß mit der Bärin, der weisen Königin des Waldes und wiederum mit Artemis, die im Mittelmeerraum auch die Bärengöttin genannt wurde. Ein Bär ist der Heilkräuterkundige unter den Tieren. Nach seiner Winterruhe frisst er zunächst brechreizfördernde und kreislaufstabilisierende Kräuter, um die Stoffwechselschlacken aus seinem Körper zu befördern. Danach besteht seine erste Mahlzeit aus den gleichen Pflanzen, die wir traditionell als Neunersuppe (Gründonnerstagssuppe) verspeisen (Brennnessel, Bärlauch, Wiesenbärenklau, Giersch, Vogelmiere, Gundermann, Löwenzahn ...).

Übrigens ist eine der Erscheinungsformen von Artemis Ursa minor, die Kleine Bärin, die als Sternbild in unseren Breiten niemals untergeht.

 

Mutter aller Pflanzen heißt der Beifuß, weil seine Relevanz früher bei verschiedenen Völkern ganz weit oben angesiedelt war (die Chinesen verehrten ihn ähnlich wie den Ginseng, bei den meisten Volksgruppen der Alten Welt galt er als universelles Frauenheilmittel). Er ist Bestandteil der weiblichen Mysterien auf der ganzen Welt.

Ferner ist  Beifuß das am längsten bekannte Heilkraut. Er wurde schon in über 70.000 Jahre alten Neandertalgräbern (im Irak) gefunden sowie in den ersten schriftlichen Heilkräuterberichten beschrieben. D.h., er wurde bereits zu Beginn unserer kulturellen Evolution verwendet, an der Schwelle zwischen Tier und Menschwerdung.

 

Die Namen Mugwurz (abgeleitet aus dem keltischen „miegle“ = wärmen und wurz = Heilkraut) und Moxakraut (japan. „mogusa“ = Brennkraut) verweisen auf seine wärmende, trocknende, stärkende Energie bei Frauenleiden, Gliedermüdigkeit und Magenproblemen.

Eine spezielle Form von Wärmetherapie in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) heißt Moxabustion. Das ist eine seit mindestens 6.ooo Jahren praktizierte Heilmethode, bei der durch Abbrennen von Beifußkegeln (pulverisiertes und zusammengepresstes Kraut) auf oder über bestimmten Akupunkturpunkten lokale Wärmereize gesetzt werden, denen über die eigentliche Hitzewirkung hinaus eine besondere wärmende und energetisierende Wirkung sowie die Auflösung von Blockaden in den Meridianen zugeschrieben wird.

 

Beifuß heißt die Pflanze, da sie – im Schuh getragen – die Wanderer ( auf ihrer Reise zwischen zwei Orten !) vor Müdigkeit, kranken Füßen sowie Hunde- und Schlangenbissen schützt. Merkur, der (römische) Götterbote mit den geflügelten Schuhen, ist der Schutzpatron der Wanderer und gleichzeitig der Schamanengott (Schamanen sind ja Wanderer zwischen den Welten).

 

Wilder Wermut verdeutlicht die enge Verwandtschaft mit dem Wermut, Artemisia absinthium. Dieser wirkt wesentlich heftiger als der Beifuß und ist nahezu ungenießbar (aber eine heftige Gastritis ist innerhalb kürzester Zeit kuriert!).

 

Beim Namen Besenkraut steht die (rituell) reinigende Wirkung im Vordergrund. Mittel- und nordeuropäische Bauern räuchern im Winter Heim, Stall und Vieh  mit Beifußbüscheln, um Krankheiten, lästigen Fliegen (Fliegenkraut) und böse Geister fernzuhalten.

 

 

Heilwirkungen

Wie schon erwähnt wird Artemisia bei nahezu allen Frauenleiden als Heilmittel verwendet. Vor allem zu Beginn der Menstruation (sowohl an der Schwelle vom Mädchen zur Frau als auch zur monatlichen Reinigung des weiblichen Körpers) entspannt er die Unterleibsmuskulatur, mindert den Periodenschmerz und reguliert den Blutfluss.

Auch während der Geburt entspannt er und fördert vor allem den Ausstoß der Nachgeburt. Diese Gebärmutterreinigung sollte logischerweise nicht während einer Schwangerschaft geschehen; Beifuß kann dann als Abortivum wirken.

 

Seinem Namen alle Ehre macht der Beifuß als Fußbadzutat, vor allem, wenn Beine und Füße ermüdet und geschwollen sind. Dann zieht die Entspannung bis in den gynäkologischen Bereich.

Als Gewürz oder Tee aktiviert der Mugwurz den Stoffwechsel und die dazugehörigen Organe, vor allem hinsichtlich der Fettverdauung.

Hierfür sind hauptsächlich die Bitterstoffe verantwortlich. Bitterstoffe (=Amara) ist ein Begriff für bitter schmeckende Substanzen, die vor allem in den Korbblütlern (Astern, Disteln, Artemis), Lippenblütlern (Salbei) und Enziangewächsen vorkommen. Durch ihren Genuss wird der Parasympathicus, der „in Ruhe“ (z.B. nachts) aktive Teil unseres autonomen Nervensystems, angeregt, der wiederum die Verdauungsdrüsen (Speicheldrüse, Bauchspeicheldrüse, Magendrüse, Galle, Leber) aktiviert.

 

Der Homöopath gibt D³-Kügelchen im Falle von Hysterie und Epilepsie. Dies wird von der Volkheilkunde bestätigt („gegen Fallsucht“).

 

Indianische Schamanen räuchern während all ihrer Heilrituale mit Steppenbeifuß (Artemisia ludoviciana = Sage), zur Reinigung, gegen Krankheitserreger und um mit ihren Ahnen und Geistern in Verbindung zu treten.

 

Die ätherischen Öle, allen voran Thujon und Cineol, beeinflussen unsere Hypophyse (Hirnanhangdrüse), die zum großen Teil unseren Hormonhaushalt regelt.

 

Signaturenlehre

 

Die Signaturenlehre unterstellt den 7 (damals bekannten) Planeten Merkur, Venus, Mond, Mars, Jupiter, Saturn und Sonne) die Heilkräuter je nach äußerem Erscheinungsbild wie Aussehen, Geschmack, Geruch, Blattform u.s.w. Diese zunächst nur mündlich weitergegebene Information wurde zuerst von Paracelsus systematisch niedergeschrieben.

Je nachdem, auf welches Augenmerk ein/e HeilerIn Wert legt, werden die Pflanzen verschieden eingeteilt.

Artemisia ist ein besonders prägnantes Beispiel für eine unterschiedliche Zuordnung.

 

Aufgrund der rötlichen Stängel sowie der Heilwirkung auf den weiblichen Unterleib wird das Jungfernkraut (meist von Autorinnen) der Venus zugeteilt.

Paracelsus hingegen ordnet Artemisia dem Mond zu (Artemis = Mondgöttin), erkennbar auch an den silbrig-schimmernden Blattunterseiten.

Wegen des positiven Einflusses auf die Beine und Füße untersteht sie aber auch dem Merkur.

Ich persönlich stimme W.-D. Storl zu, der hauptsächlich Saturn in ihr wirken sieht, die weise Alte (Frau Holle). Das Kraut schmeckt sehr bitter, schwemmt Schadstoffe aus dem Körper und wächst mit grünlich-grauem Aussehen auf trockenem, ödem Boden. Ferner gilt Saturn in der Hermetik als „Hüter der Schwelle“ zum kosmischen Bewusstsein und Herrscher über die Zeit (Chronos).

 

 Aus persönlichen Gründen möchte ich diesen Artikel der Göttin Freija widmen, die mir während der  letzten Rau(h)nächte zur Seite stand und mich beschützt hat.

 

Felicia Molenkamp

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Kurzbio
Felicia Molenkamp, 42 J., Diplom-Biologin, gibt seit ca. 10 Jahren Heilkräuter-Kurse und Seminare, Autorin verschiedener Artikel über Heilkräuter, Mutter eines Sohnes.
Sie gehört zum Hollerbusch, dessen Veranstaltungen und Seminare auf der Sternenkreis-Wiccanet Veranstaltungsseite verfolgt werden können.

 

 

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Literatur

 

Abraham und Thinnes: Hexenkraut und Zaubertrank, Urs Freund Verlag 1996  

Brooke: Von Salbei, Klee und Löwenzahn, Bauer 1996  

Neblich-Spang: Aus dem Grünen Hain, Selbstverlag Sulzberg 1996

Magister Botanicus: Magisches Kreutherkompendium, Verl. Die Sanduhr 1995

Müller-Ebeling, Rätsch, Storl:  Hexenmedizin , AT 1999

Rippe et al.: Paracelsusmedizin, AT 2001  

Storl: Berserker und Kuschelbär , Aurum 1992

Storl: Kräuterkunde, Aurum 1996

Storl: Heilkräuter und Zauberpflanzen zwischen Haustür und Gartentor , AT 1996

Storl: Pflanzendevas, AT 1997  

Storl: Pflanzen der Kelten, AT 2000

 

 
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