Zu Mittsommer gibt der Sonnengott seine ganze Kraft der schwangeren Erde, damit die Fülle ihrer Früchte noch den letzten „Kick“ erhält. Zu Lughnasad ist das Korn meist bereits geerntet und der Kornkönig, der seine ganze Kraft den goldenen Garben gab, hat sich selbst für die Fülle des Landes gegeben. Diese Fülle feiern wir zum Herbstequinox, welches auch als Erntedankfest verstanden wird. Zu Samhain, zum Blutmond, fanden die großen Schlachtungen statt und mit dem Fleisch, welches nicht konserviert wurde, wurde ebenso gefeiert und selbst die Toten ließ man daran teilhaben.

 

Erntezeit ist Überfluss-Zeit. Es die Zeit des Jahres, in der wir ernten was wir gesät und gepflegt haben. Eine herrliche Zeit, und mir war klar, dass ich gerne darüber schreiben würde. Bis ich in jener Vorlesung zur Kinderheilkunde bei Dr. Stefan Wudy im Universitätsklinikum Gießen saß…


Die Nahrung früher war nicht so „einfach“ zu ernten wie heute. Lange musste gejagt werden, seien es nun große Tiere, deren Spuren länger von den Jägern verfolgt werden mussten, oder kleine Tiere wie Hasen, die durch Fallen gefangen wurden. Beeren und Nüsse waren jahreszeitenabhängig und auch Fisch gab es nicht immer frei verfügbar. Die Nahrungsmittel ließen sich nicht konservieren. Der Mensch musste plötzlich viel Essen weil gerade eine erfolgreiche Jagdtrupp zurückkam oder von diesen Reserven zehren bis das nächste Tier erlegt wurde. Eine Frau mit einem gebärfreudigem Becken und großen Fettreserven versprach das Kind im Bauch gut ernähren zu können. Erst mit Ackerbau und Viehzucht konnte sich der Mensch stärker vermehren, denn nun stand mehr Essen zur Verfügung und es konnte je nach Art auch länger konserviert werden. Die Ernte gehörte zum wichtigsten Faktor im Jahresrad, denn von der Ernte hing das Überleben des Stammes ab. Gerade zu Zeiten in denen noch kein reger Handel getrieben wurde und auch dann hätte ein gesamter Stamm nicht durch Handel allein ernährt werden können. Mittsommer brachte das Versprechen des Überflusses, evt. begann schon die erste Ernte, aber wenn jetzt nichts schief ging konnte man bereits sehen, was man demnächst ernten würde. In unsere Zeit umgesetzt sprechen wir öfters davon, das unsere Projekte für das Jahr gestalt annehmen, denn wer nicht direkt Nahrungsmittel erntet kann die Erntezeit symbolisch auch als Zeit der beginnenden Manifestation betrachten, seien dies nun Projekte wie Umzug, Hausbau, Weiterbildung, Selbständigkeit etc. Ernte ist stark mit Opfer in Verbindung zu bringen. Viele Traditionen kennen einen Opferkönig der für eine gute Ernte sein Leben lässt. Die Ernte war wichtig und die Götter sollten milde gestimmt werden. Die letzte Kraft sollte dem Land gegeben werden, auf das es den Stamm ernähren würde. Die Erntefeste begannen wo der Überfluss gefeiert wurde.

Was für eine Beziehung haben wir heute zum Überfluss? Wenn ich an Überfluss denke, und an die Umsetzung von Erntefesten in die heutige Zeit, denke ich vor allem an oben genannte Projekte und auch Geld – denn heute „ernten“ wir Geld und wir müssen unser Geld vermehren um uns Nahrung und anderes kaufen zu können. Ursprünglich wurde Überfluss aber nur mit der Nahrung in Verbindung gebracht.

Seit rund 40 Jahren haben wir eine Situation die einmalig ist in der Geschichte – und somit auch eine Situation bei der wir nicht einfach zurückschauen und althergebrachte Traditionen unreflektiert übernehmen können.

Vor 5 Millionen Jahren musste der Mensch sich viel bewegen und harte körperliche Arbeit leisten. Vielleicht gab es nach sehr viel körperlicher Anstrengung Essen – und es war immer kostbar. Auch für viele Großeltern war ein einstündiger Fußweg zur Schule noch normal (das der Vater mit dem Wagen das Kind zur Schule fuhr war meist undenkbar) und viele mussten durch den Krieg Hungerperioden kennen lernen. Für uns und unsere Kinder sieht es jedoch so aus, dass Essen garantiert ist. Es kann uns Freunde und Liebe ersetzen und wir essen eigentlich fast konstant. Vielleicht bewegen wir uns auch ein bisschen. (Vom Kühlschrank zum Computer, wie ich grad eben).
Im ganzen Überfluss haben wir es irgendwo verpasst die Bewegung in den Alltag einzubauen und eine gesunde Beziehung zum Essen weiterhin beizubehalten

Bereits 1998 hat die WHO (Welt Gesundheits Organisation) von einer „Globalen Epidemie“ der Fettsucht geredet. In Deutschland sind 10-18% der Kinder übergewichtig und 4-8% adipös (BMI über 30*). Wir sprechen hier von 0,5 – 1 Million Betroffenen. Interessanterweise gibt es sogar ein Nord-Süd-Gefälle: Je weiter südlich wir von den Skandinavischen Ländern Richtung Mittelmeer begeben, desto größer wird das Problem. Und wer glaubt, dass nur westliche Länder davon betroffen sind, irrt gewaltig, denn auch Japan und Brasilien sind ganz oben auf der Rangliste mit dabei.
Oft hört man die netten Ausreden einer genetischen Krankheit oder einer Drüsenstörung. Beide Krankheiten sind äußerst selten und dienen meist nur dem Zweck die Verantwortung für sich selbst auf eine Krankheit abzuschieben.
Den meisten Menschen ist bekannt, dass sehr viele Risiken mit Übergewicht und besonders Adipositas verbunden sind, aber die wenigsten wissen, dass sich die Risiken nicht verdoppeln, sondern exponentiell erhöhen.
Das Erschreckendste ist meiner Meinung nach, dass von 105 übergewichtigen Kindern sich 12 % in der Vorstufe zu Diabetis Mellitus (Altersdiabetis) befinden und 1/5 bereits eine Fettleber hat (ein typischer Patient mit Fettleber ist männlich, über 60 und Alkoholiker). Beides sind Krankheiten, die man im Allgemeinen in keinem Kinderheilkundebuch findet, weil sie eigentlich erst im höheren Alter vorkommen.
Der „zu viel“ an „Überfluss“ kostet uns pro Jahr übrigens 20 Milliarden €.
Und trotz der „globalen Epidemie“ verfolgt uns das Essen auf Schritt und tritt. Wartezeiten werden mit Essen überbrückt und Mensch zähle mal zum Spaß an einem normalen Tag, mit wie vielen Essgelegenheiten wir konfrontiert werden, sei es nun Werbung, beim Warten am Bahnhof oder wenn man durch die Einkaufspassage läuft. Tja, und wegen unserer historischen Entwicklung (Punktuelles Essen, wenn ein großes Tier erbeutet wurde) passt immer noch was rein. Die ganzen Düfte in der Luft regen unsere Speichelproduktion und Verdauungsenzyme an, laufen wir an zu vielen Essensständen vorbei und irgendwann verlangen diese Enzyme nach Nahrung zum Aufspalten. Ähnlich wie die Lightgetränke funktionieren. Sie gaukeln dem Körper Zucker vor und bringen ihn dazu die entsprechenden Enzyme zur Verdauung zu produzieren. Kommt aber kein Zucker, stellt sich aufgrund der produzierten Enzyme bald ein Verlangen nach Zucker ein.


Als naturreligiöser Mensch ist für mich das Prinzip des Gleichgewichts ein sehr Wichtiges, wenn nicht das wichtigste überhaupt, basiert doch die ganze Natur auf einem Gleichgewicht des Geben und Nehmens. Viele Naturvölker oder Menschen, die von klein auf ein Weltbild miterlebt haben, indem die Natur belebt ist, haben von Kindesbeinen an gelernt nur so viel zu nehmen, wie man wirklich braucht. Wie viele Heiden bin auch ich nicht naturreligiös erzogen worden und musste mir oft Teile eine naturreligiösen Weltanschauung zurückerobern (nicht das ich komplett fertig sei damit). Mir persönlich fällt es manchmal schwer diesen Weg konsequent ganz (zu Ende gedacht) zu gehen, weil mir bestimmte Dinge nicht immer gleich auffallen und bestimmt geht es auch anderen so.
Unser gleichgewichtiges Verhältnis zum Essen stimmt nicht mehr – wir nehmen weitaus mehr als wir brauchen, das sieht man an der Art und Weise wie wir mit der Nahrung umgehen und daran wie viele Menschen krankhaft Übergewichtig sind. Viele Heiden äußern oft, dass sie gegen Tiertransporte und Massentierhaltung sind – vergessen aber den Punkt des „Nehmens so viel wie man braucht“. Ich denke, dass das gerade für naturreligiöse Menschen ein Punkt sein könnte, an dem wir arbeiten könnten. Vielleicht sogar durch eine gesunde Einstellung als Vorbildfunktion für andere dienen und so zur Verbesserung der Gesamtsituation beitragen. Es ist natürlich, dass das Pendel manchmal in die entgegengesetzte Richtung schwingt. Genauso ist es normal, dass man Zeit brauch um sich an gewisse veränderte Umstände einstellen zu können. Und wie gesagt, wir haben eine Zeit, die in der Geschichte des Menschen bisher in dem Maße einmalig ist – Schlaraffenland haben wir eigentlich verwirklicht. Nur der Umgang mit diesem Schlaraffenland fällt uns leider schwer.
Ich frage mich ob wir heute, umringt von derartigem Überfluss, tatsächlich diese Feste als Feste des Überflusses feiern können, oder ob wir sie besser als Chance nehmen, uns das Gleichgewicht im Essverhalten zurückzuerobern?



* Der BMI ist das brauchbarste Maß des Körpergewichts das wir momentan haben. Er ist zwar auch nicht immer fehlerfrei und nicht immer einsetzbar z.B. bei Bodybuilder problematisch, aber dennoch ein guter Richtwert. Die Berechnung ist Körpergewicht durch Körpergröße hoch 2. Generell gilt: Übergewicht ab BMI > 25, Adipositas BMI > 30, Untergewicht < 20



Erschienen in der Hex & Co. Lughnasad 2005

 

 

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