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Wenn ich in einer Diskussion über Religion erwähne, dass ich eine Hexe bin, sind die meisten Gesprächspartner überrascht. Viele Leute finden es amüsant, dass ich ein "kleines Hexchen" bin. Andere bekommen es mit der Angst zu tun. Fast niemand weiss jedoch wirklich, was man sich unter einer modernen Hexe vorstellen soll. Das falsche Bild von der bösen Hexe sitzt tief in den Köpfen der Leute. Jahrhunderte der Hexenverfolgung und Märchenerzählungen haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Man muss als Beispiel nur an die gemeine Hexe in Grimms Märchen "Hänsel und Gretel" denken. Aus diesem Grund nenne ich mich auch nicht Hexe, sondern Wicca-Priesterin.

Verbunden mit der Natur
Wicca,  die Hexenreligion, ist die uralte Naturreligion Europas. Die Wurzeln liegen teilweise bei den Germanen und Kelten, deren Heiligtum und Altarplatz Stonehenge noch heute in England besichtig werden kann. Eine glaubwürdige Hexe betreibt nur weisse Magie. Das heißt, dass wir einige Grundsätze haben, die dafür sorgen, dass wir niemandem Schaden zufügen und kein Unheil bewirken.
Zum Beispiel besagt eine dieser Regeln, dass in keinem unserer Rituale Blut fliessen darf. Eine andere Regel besagt: Solange Du keinem schadest; tue alles, was Du willst.

Wir schaden niemandem
Auch glauben wir, dass alles, was wir tun, früher oder später auf uns zurückkommt. Wenn ich also heute jemanden verletze, wird mich vielleicht in zehn Jahren ein ähnlicher Schaden treffen.
Unsere Religion praktizieren wir meist im Freien oder in einem Zimmer, das vorher rituell gereinigt wurde. Die wichtigsten "Hexenfeiertage" sind die Sabbats und Esbats. Sabbats sind die vie Sonnwendtage und andere Tage wie Beltane, das in der Umgangssprache als Walpurgisnacht bekannt ist. Die Esbats sind alle Vollmond- und Leermondnächte. Natürlich machen wir auch manchmal unter der Woche eine kleine Zeremonie. Diese kann für ganz banale Dinge sein, Zum Beispiel, um sich nach dem Ritual besser auf eine Arbeit konzentrieren zu können. Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten, die Wicca-Religion zu praktizieren: Entweder man arbeitet alleine als sogenannter Solitary, oder man ist in eine Gruppe, ein Coven, eingebunden.

Es gibt auch männliche Hexen
In den meisten Covens praktizieren nicht nur Frauen, sondern auch Mönner. Es gibt einige feministische Zirkel, die nur Frauen zulassen. Das halte ich jedoch für eine vorübergehende Trenderscheinung. Für ein natürliches Gleichgewicht braucht es immer Männer und Frauen. Aus diesem Grund rufe ich bei meinen Ritualen auch den männlichen und den weiblichen Teil von Gott. Mit Gott meinen wir Hexen die Urkraft des Universums. Es kann natürlich auch sein, dass ich mich im Moment auf einen bestimmten Aspekt konzentrieren will. Wenn es zum Beispiel um Liebe geht, rufe ich den griechischen Gott ERos. Ich glaube nicht, dass Eros oder sonst irgendeine Gottheit aus einer anderen Kultur als Person existiert. Vielmehr rufe ich die Eigenschaften, die diese Gottheit verkörpert. Eros ist der Gott der Liebe, und so hilft mir die Anrufung von Eros zum Beispiel, einen Freund zu finden.

Auch ein Privatleben
Nach all dem was ich bisher über die Wicca-Religion erzählt habe, könnte man glauben, ich würde mich in meinem Leben ausschliesslich mit der Hexerei befassen. Ich habe jedoch auch noch einen Beruf und in meinem Privatleben andere Dinge zu tun. Die Rituale und Zeremonien führe ich nur durch, wenn ich sie wirklich brauche, um mir oder jemand anderem spirituell zu helfen.

Falsche Vorstellungen
Darstellungen von angeblichen Hexen in den Medien bereiten mir oft Mühe. Vielmals werden übertriebenen Bilder gezeigt, die gar nicht dem Hexenalltag entsprechen. Diese Fotos sehen vielleicht gut aus, sie sind jedoch esoterischer Kitsch. Meistens werden zu diesen Bildern dann konkrete Rituale Schritt für Schritt erklärt. Für Hexen gibt es jedoch praktisch keine festen Ritual- oder Kleidervorschriften. jeder kann seine Zeremonien so durchführen, wie sie ihm am besten gefallen und entsprehcen. Deshalb haben wir Wiccas auch kein Vorschriftenbuch. Wir scshreiben unsere Regeln selbe in unseren "Buch der Schatten". Dieses Buch ist eine Art von spirituellem Arbeits- und Tagebuch. Auch versuchen wir nicht, unsere Religion jemandem aufzuzwingen. Wenn ich über Wicca befragt werde, dann gebe ich jedoch gerne Auskunft.

 

Aufgezeichnet von Adrian Haydecker
Erschienen am 9. Mai 1998 in der Beilage "Die okkulte Zeitung" von den "Schaffhauser Nachrichten"
Dieser Text ist somit Eigentum von Adrian Haydecker.

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