Drucken

Das Lokal in der Altstadt von Nürnberg war brechendvoll. Das laute Klirren der Bierkrüge, der Duft von Nürnberger Rostbratwürstl mit Sauerkraut; der laute Gesang einer schlagenden Verbindung, der Studentenvereinigung „Concordia Darmstadt“, sowie die drallen Kellnerinnen, die Bier und Speisen kunstvoll durch die engen Gassen des Lokals trugen; gaben beredt Zeugnis davon ab, wie gemütlich fränkische Kneipen doch sein können.

Gabriele Hofstetter, eine der drallen Kellnerinnen mit blonden Haaren und im hautengen blauem Dirndl, trug gerade eine Schlachterplatte aus der Küche des Lokals in den angrenzenden hinteren Raum, in dem zwei Männer in gepflegten blauen Anzügen vor einer Maß Weizenbier saßen.

Als die Kellnerin hereinkam, verstummte das Gespräch.

„Guten Appetit“, sagte die Kellnerin, und servierte kunstvoll die Speisen. Sie verabschiedete sich, und einer der beiden Männer, ein Glatzkopf mit randloser Brille, Hakennase, dünnen Lippen und manikürten Fingernägeln, blickte ihr nach.

„Wo waren wir stehen geblieben“, sagte der andere Mann, ein Mann mit blonden, leicht gewellten Haaren, blauen Augen und einer Knollennase, die jedem Trinker zu Ehre gereicht wäre, zu seinem Tischgenossen?

„Bei der Bombe“, sagte der andere Mann.

„Ach ja“, erwiderte der Erste. „Die Bombe! Wer hat sie jetzt?“

„Stefan! Und er ist gerade dabei, sie im Frauenhaus einzuschmuggeln. Wenn alles gut geht, wird sie in drei Stunden hochgehen".

Drei Stunden später meldeten die TV- Stationen und Radiosender, das ein Frauenhaus in der Nürnberger Altstadt durch eine Explosion zerstört, und fünfzehn Frauen ums Leben gekommen waren.

Unter den Opfern war auch Gabriele Hofstetter, die ihre Schwester besuchte, die dorthin vor

ihrem gewalttätigen Mann geflohen war.

Unter den Duzenden von Schaulustigen, standen drei Männer, die zusahen, als die freiwillige Feuerwehr versuchte, den Schaden zu begrenzen.

Einer von ihnen hieß Stefan!

Er war groß, schlank, und seine blauen Augen strahlten Kälte und Brutalität aus. Seine kurzgeschnittenen blonden Haare, seine ovale Gesichtsform und die schmalen Lippen schienen zu ihm zu passen. Er trug, wie seine beiden Freunde eine Jeans, ein weißes T- Shirt und eine dunkelblaue Jacke mit der Aufschrift „Southern Rebell“.

„Was kommt als nächstes“, fragte der Glatzkopf?

„Ein Frauenhaus in Berlin“, erwiderte Stefan, und grinste. „Dorthin haben diese Lesbenfotzen meine Ex hingebracht! Endlich kann ich es ihr heimzahlen!“

Die beiden anderen Männer lachten!

„Deswegen machen wir das ja! Um es den Weibern heimzuzahlen, das sie uns verlassen haben!“

Auch Stefan lachte!

Vivien ist transsexuell? Wie Gerlinde als Mann geboren?

Ich kann es nicht glauben! Ja, kann ich mich denn noch nicht einmal auf meine Augen und mein kriminalistisches Gespür verlassen, überlegte sie!

Sie sah so weiblich aus! Sie roch weiblich, sie sprach und dachte weiblich! Und doch ist sie nicht als Frau geboren! Ich fass es nicht!

Ihre Hände zitterten.

Und ich habe mich in sie verliebt! In eine Frau verliebt, die mal ein Mann war! Gut, das niemand das weiß! Ich würde zum Gespött der gesamten Lesben Berlins werden! Auch was, Berlins! Deutschlands!

Annas Hände krallten sich zu einer Faust..

Und dann hatte sie auch noch die Frechheit, zu behaupten, das ich manchmal wie ein Mann wäre, erinnerte sie sich! Frechheit!

„Warum regst du dich so auf, meine Tochter“, hörte sie die vertraute Stimme der Göttin in ihrem Ohr? „Vielleicht, weil sie bei dir einen Nerv getroffen hat?“

„Ganz bestimmt nicht“, erwiderte Anna bestimmt! „ Ich bin eine Frau! Als Frau geboren, und immer stolz darauf gewesen, eine Frau zu sein!“

„So, meine Liebe, dann hast du einen Haufen Kinder, liebst Männer, und bleibst den ganzen Tag zu Hause, bis dein Mann nach Hause kommt!“

„Quatsch“, erwiderte Anna! „Ich bin eine Lesbe! Eine glückliche, magisch erfahrene Lesbe, und nur, weil ich gerne Männerklamotten trage, will ich noch lange kein Mann sein!“

„Aber die klassische, von Männern den Frauen anerzogene Geschlechtsrolle, erfüllst du auch nicht!“

Anna stutzte!

Da hat sie recht, dachte sie! Aber ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, mich umoperieren zu lassen, und das anderen Menschen zu verschweigen!

„Stört dich mehr ihre ehemalige Transsexualität, oder, das sie dir das verschwiegen hatte“, fragte die Göttin?

Anna wusste darauf keine Antwort!

Eine blonde, leicht füllige Sprechstundenhilfe kam auf Gerlinde zu, die im Warteraum ihrer Gynäkologin saß.

„Frau Doktor erwartet sie jetzt. Folgen sie mir bitte!“

Gerlinde stand auf, legte die Zeitschrift, die sie gerade gelesen hatte auf den Stuhl, der neben ihr stand, und stand auf. Die breite Hüfte der Arzthelferin wiegte sich bei jedem ihrer Schritte

im Takt.

Sie kamen an eine grün gestrichene Tür, deren Farbe schon leichte Risse hatte.

„Warten sie bitte hier, Frau Kunkel. Frau Doktor Horn wird sie bald aufrufen.“

Während Gerlinde sich auf einen der drei freien Stühle, die dort standen, setzte, entfernte sich die Sprechstundenhilfe.

Eine schwangere Frau, etwa dreißig Jahre alt, saß neben ihr, und blätterte in einem Magazin. Sie hatte rotbraune Haare, ein durch die Schwangerschaft fülliges Gesicht, und war stark geschminkt. Ihre langen Haare hatte sie zu einem Zopf nach hinten zusammen gebunden. Sie nahm ihre Brille ab, und wischte sich mit dem Handrücken der rechten Hand, in der sie ihre Brille hielt, den Schweiß auf ihrer Stirn ab.

„Heiß heute, nicht war“ eröffnete Gerlinde das Gespräch?

„Nicht so sehr“, erwiderte die Angesprochene! Ihre braunen Augen blitzten.

Aha, sie will nicht mit mir reden, durchzuckte sie ein Gedanke! Auch recht. Wer nicht will, der hat schon!

Eine ältere Frau mit blonden Haaren und einer Brille, kam aus dem Sprechzimmer ihrer Ärztin, und kam auf Gerlinde zu. „Darf ich sie hineinbitten, Frau Kunkel“, sagte sie.

Gerlinde stand auf, und folgte ihrer Ärztin.

Die Ärztin war groß und schlank, hatte ein ovales Gesicht und blonde Haare, blaue Augen, und einen sehr sinnlichen Mund. Sie öffnete die Tür zu ihrem Praxisraum, und deutete Gerlinde, einzutreten. Gerlinde ging durch die Tür, und die Ärztin folgte ihr.

Gerlinde sah sich um.

Seit ihrem letzten Besuch bei ihrer Gynäkologin hatte sich der Raum kaum verändert. Die Wände hatten immer noch die gleiche sterile Mintfarbe, es hingen immer noch billige Kopien von Monet und Renoir an den Wänden, und auch der Schreibtisch und die wackeligen Stühle waren immer noch die selben. Nur der Gynäkologenstuhl und das Ultraschallgerät kamen ihr neu vor.

„Nehmen sie bitte Platz, Frau Kunkel“, sagte die Ärztin, und setzte sich ebenfalls auf ihren Stuhl.

Gerlinde setzte sich.

„Frau Kunkel, wir haben vor zwei Tagen die Ergebnisse ihrer Blutuntersuchung von ihnen bekommen, und die sieht gar nicht so gut aus“.

„Und wo ist das Problem“, fragte Gerlinde?

„Das ihr Hormonstatus sehr niedrig geworden ist, und wir Anzeichen für eine beginnende Diabetes gefunden haben. Oder anders ausgedrückt, wir müssen ihre Östrogendosierung erhöhen, und ihnen zusätzlich Tabletten wegen ihrer Diabetes verordnen. Dazu werde ich ihre Hausärztin kontaktieren, die ihnen entsprechende Medikamente aufschreiben wird. Außerdem müssen sie ihre Nahrung umstellen, also keine Süßigkeiten und kein fettes Fleisch mehr, dafür mehr Obst und Gemüse.“

Gerlinde hörte kaum noch zu.

Zu sehr hatte sie diese Nachricht getroffen!

Das ich mehr Hormone schlucken muss, ist für mich ja kein Problem, dachte sie. Aber das ich meine Ernährung ändern muss? Wo ich doch so sehr Schokolade und Kuchen mag?

„Es tut mir leid, das ich ihnen so eine schlechte Nachricht bringen muss“, sagte die Ärztin zu ihr.

Niedergeschlagen stand Gerlinde auf, verabschiedete sich kurz, und verließ die Praxis.

„Tante Nora“, fragte Nadine, Noras neue Pflegetochter, „was ist ein Bastard?“

Nora blickte sie erstaunt an.

„Wer hat das zu dir gesagt“, fragte sie?

„Niemand“, erwiderte Nadine. „Ich habe es nur im Fernsehen heute am Nachmittag gesehen“.

„Das ist ein schlimmes Wort, Nadine! Damit werden Menschen verletzt, und beleidigt. Es bedeutet eigentlich, das ein Kind eine Mama hat, aber die Mama nicht mit dem Papa verheiratet ist!“

„Aber das sind doch auch Kinder“, sagte Nadine, und Nora sah, wie sie empört blickte!

„Du hast recht, Nadine! Das sind doch auch Kinder! Und es ist egal, ob die Kinder einen Papa oder nur eine Mama haben, oder, ob sie zwei Mamas oder zwei Papas haben!“

Sie blickte Nadine durchdringend an.

„Und deshalb sagen das nur Leute, die anderen Leuten weh tun wollen. Das ist ein schlimmes Wort, Nadine! Und ich finde, das anständige Mädchen so etwas nie sagen sollten!“

Sie umarmte Nadine!

Seit die Kleine bei mir mit dem Segen des Jugendamtes und des Familiengerichts leben darf, dachte Nora, ist es so, als ob sie ein Teil von mir ist! Ich liebe sie so, als ob sie meine eigene Tochter wäre.

Und dabei hatte sie so viel mitgemacht! Ihr Vater hatte sie über Jahre vergewaltigt, weswegen er jetzt in Untersuchungshaft sitzt. Und ihre Mutter? Sie hatte nichts getan, und erst durch mich fand sie den Mut, sich zu wehren. Aber da war es schon zu spät! Und dann brachte sie sich auch noch um, weil sie mit ihrer Schuld nicht mehr fertig wurde!

„Freust du dich schon, das gleich Tante Gerlinde kommt, und auf dich aufpasst, wenn ich weg bin?“

„Ja, aber ich wäre lieber bei dir“, sagte Nadine.

„Ich weiß, aber ich wurde von einem sehr netten Mann zum Tanzen eingeladen, und ich habe schon lange nicht mehr getanzt!“

„Kann ich doch mitkommen“, fragte Nadine?

„Ein anderes Mal bestimmt, Nadine“, sagte Nora, „aber nicht heute!“

Nadine blickte sie an.

„Du siehst aber schön aus“, sagte sie. „Besonders die Brosche auf deinem schwarzen Kleid find ich schön!“

„Findest du? Es ist ein Erbstück meiner Mutter. Sie hatte es von ihrer Mutter bekommen, und wenn du achtzehn Jahre alt sein wirst, werde ich es dir schenken“.

Sie sah, wie Nadines Gesicht sich zu einem Lächeln verzog.

Ja, für mich bist du meine Tochter, dachte sie. Und warum solltest du deshalb nicht das von mir erben, was meine Mutter mir gab? Nur, was meine Magie, und die wirklichen Aufgaben von Anna, Gerlinde und mir angeht, da werde ich dir noch nichts sagen, auch, um dich zu schützen. Aber vielleicht steckt auch in dir die Macht der Göttin? Vielleicht werde ich es dir sagen, wenn du viel älter bist?

Sie ging in den Flur, wo sie sich vor einen großen Spiegel stellte, den sie vor Kurzem auf einem Flohmarkt gekauft hatte. Ihr gefiel, was sie dort sah.

Das schwarze, trägerlose Kleid mit der Brosche die einen Schmetterling zeigte, schmiegte sich eng an ihren weiblichen Körper, und brachte ihren Busen vorteilhaft zur Geltung. Ihre schwarzen Lackpumps glänzten, und ihre langen Haare, die sie kunstvoll hochgesteckt hatte, gaben ihr das Aussehen einer mondänen Dame.

Arthur wird das gefallen, dachte sie, und merkte, wie sie plötzlich wegen Anna ein schlechtes Gewissen bekam.

Anna!

Liebe ich sie so, wie ich mich zu Arthur Nowak hingezogen fühle, fragte sie sich? Liebe ich sie so sehr, das ich auf Arthur verzichten könnte? Oder so sehr, das ich auf die Sicherheit eines heterosexuellen Lebens verzichten möchte, auf gesellschaftliche Anerkennung, und die Achtung der Menschen?

„Du kennst die Antwort, meine Tochter“, hörte sie die vertraute Stimme der Göttin in ihrem Innersten!

„Ich weiß, aber ich will Anna nicht verletzen! Ihre Freundschaft und ihre Liebe bedeutet mir sehr viel! Und ein Teil von mir liebt sie ja auch wirklich!“

„Welcher Teil? Der, den du mit ihr im Bett teilst? Oder den, der dir zeigte, wie attraktiv du auch für Frauen sein kannst? Den Teil, der deiner Eitelkeit schmeichelte?“

„Aber ich bin doch nicht eitel“, protestierte Nora laut!

„Was hast du gesagt, Tante Nora“, fragte Nadine?

Mist, dachte sie! Jetzt habe ich doch tatsächlich gesprochen, und Nadine ganz vergessen.

„Das ich nicht eitel bin“, antwortete Nora ihrer Pflegetochter.

„Aber jeder Mensch ist doch eitel“, sagte Nadine. „Ich finde auch, das es nicht schlimm ist!“

„Siehst du, Nora, deine Pflegetochter ist schon sehr klug“, hörte sie die Stimme der Göttin. „Und ja, du bist eitel, aber wie Nadine schon sagte, das ist gar nicht so schlimm! Und was Anna angeht, wir alle brauchen es manchmal, geliebt und akzeptiert zu werden. Auch du und Anna, Nora! Also sag ihr, das es jemand anderem in deinem Leben gibt, der dir viel bedeutet, und beende die Beziehung zu Anna! Das bist du ihr und eurer Beziehung schon schuldig!“

Sie wusste, das die Göttin recht hatte!

Plötzlich klingelte es an ihrer Tür.

Gerlinde, durchfuhr es sie! Gut, das sie gekommen ist!

Sie öffnete die Tür.

Vor ihr stand Gerlinde, die einen schwarzen Lackledermantel trug, der Nora ein wenig an die Mäntel erinnerte, den sie in einem Film gesehen hatte. Sie zog ihn aus, und hängte ihn am Garderobenständer auf. Nora sah die blaue Jeans und die weiße Bluse, die Gerlinde trug, und die so gar nicht zu ihren schwarzen Pumps zu passend schienen.

„Da bist du ja“, sagte Nora. „Komm rein, und mach es dir gemütlich. Der Kühlschrank und der Herd stehen dir und Nadine offen!“

„Wo gehst du hin“, fragte Gerlinde?

„Das, meine Liebe, geht dich nichts an“, sagte Nora!

„Nun, ich mein ja bloß, falls etwas ist, zum Beispiel ein Notfall, oder Hanim meldet sich erneut, damit ich weiß, wo ich dich erreichen kann!“

„Ich nehme mein Handy mit. Wenn etwas geschieht, kannst du mich ja darauf anrufen?“

Nora griff zu ihrem Kleiderständer, auf dem ein schwarzer Wollmantel hing. Sie nahm den Mantel, und zog ihn langsam über.

„Viel Spaß beim tanzen, Tante Nora“, sagte Nadine, und Gerlinde merkte, wie Nora für einen Moment zusammen zuckte.

Was geht hier vor, dachte Gerlinde? Geht sie mit Anna zum Tanz, oder mit jemand anderes?

Sie spürte, wie eine Mischung aus Eifersucht und Resignation in ihr hochstieg.

Nora umarmte Nadine, und ermahnte sie, brav zu sein. Dann umarmte sie Gerlinde, und verabschiedete sich von beiden. Sie öffnete die Wohnungstür und ging hinaus.

Als sie die Eingangstür ihres Wohnhauses verließ, blickte sie auf die Straße, und sah, wie Arthur Nowak in einem eleganten Smoking mit schwarzer Fliege und weißem Hemd neben seinem roten Ferrari stand, und ihr zulächelte. Sie lächelte zurück, und merkte, wie ihr Herz einen Sprung machte!

Plötzlich wusste sie, das sie Arthur Nowak liebte!

Anna war zu Hause.

Sie langweilte sich. Und sie vermisste Nora!

Seit mehreren Tagen hatte sich Noras bei ihr nicht gemeldet, und sie war zu stolz, selbst den ersten Schritt zu tun, und Nora anzurufen.

Sie blickte immer wieder zum Telefon hin, das sie in die Nähe ihres Bettes hingestellt hatte,

auf dem sie gerade lag.

Sie war nackt.

Sie liebte es, nackt zu sein, und den sanften Windhauch zu spüren, der ihren Körper umwehte,

ihn umschmeichelte, und gleichzeitig für eine angenehme Kühlung, und eine sanfte Hitze

sorgte, der in ihrem Körper ihr ein Gefühl von sanfter Wärme verschaffte, der ihre Sinne erfreute.

Das Telefon klingelte.

Na endlich, dachte sie! Endlich meldet sich Nora! Du hast dir aber auch Zeit gelassen, meine Liebe! Wenn das so weiter geht, muss ich dir erst einmal einige der grundlegenden Lesbenregeln beibringen. Zum Beispiel, das frau die Liebste nicht warten lässt!

Mit einer lässigen Handbewegung nahm sie den Hörer von der Gabel ihres Telefons. Nur nicht sich anmerken lassen, das ich auf ihren Anruf gewartet habe, dachte sie! Am besten so tun, als ob ich total beschäftigt wäre!

„Ja, hier ist Anna! Wer stört mich“, sagte sie mit einer rauchigen Stimme in die Sprechmuschel, einer Stimme, die den stärksten Eisberg zum schmelzen gebracht hätte.

„Hier ist Blondie“, hörte sie die vertraute Stimme einer Freundin, die in Berlin ein Frauenhaus leitete. „Ich wollte dich fragen, ob du nicht Lust hättest, ins Frauenhaus zu kommen, um mit mir eine Flasche guten französischen Rotweins zu kippen, über alte Zeiten zu reden, und ein wenig über unsere Freundinnen abzulästern?“

Blondie!

Eigentlich hieß sie Elvira Gottschalk, dachte Anna. Aber wegen ihrer hellblonden Haare hatte sie ihre Ex immer „Blondie“ genannt. Und der Name blieb ihr, auch, als sie sich von ihrer Partnerin getrennt hatte, eine Affäre mit mir hatte, und zur selben Zeit ihren Job im Frauenhaus bekam. Und sie ist verdammt gut darin, krakeelende Ehemänner und Freunde freundlich aber bestimmt rauszuwerfen, und sich vor die Frauen zu stellen.

Wenn Nora nicht wäre, wäre diese Einladung für mich mehr als verlockend. Vor allem, weil ich mit ihr als neutrale Person über Vivien reden könnte, ohne in Verdacht zu geraten, das ich die Person bin, die sich in einen früheren Mann verliebt hatte!

Und das, wo ich doch Nora liebe. Eine Frau, die als Frau geboren wurde, und die so weiblich ist
!

„Wirklich ein verlockender Vorschlag, Blondie, aber ich erwarte einen dringenden Anruf, von einer Frau, an der mir sehr viel liegt!“

„Kenn ich die Glückliche“, fragte Blondie, alias Elvira?

„Kennst du nicht, weil sie nicht in unseren Kreisen verkehrt!“

„Ne Schranklesbe oder ne Hete“, fragte Blondie unverblümt?

Anna überlegte.

Was soll ich ihr sagen, dachte sie? Die Wahrheit, das Nora eine Hete ist? Eine Ausrede? Was würde sie sagen, was denken, wenn sie wüsste, das ich mich in eine Hete verliebt habe, die auch noch viel jünger als ich ist?

„Sie ist etwas Besonderes, Blondie! Und sie hatte bisher nur Beziehungen zu Männern gehabt!“

„O Gott, bist du aber mutig, Anna! Vor allem, da du weißt, wie viele Risiken gerade Beziehungen zu heterosexuellen Frauen für gestandene Lesben, wie wir es sind, beinhaltet? Was ist, wenn sie bei der nächsten Gelegenheit sich einen Mann schnappt, um mit ihm viele kleine Bambinos zu bekommen?“

„Das wird sie nicht tun, da würde ich meinen Hintern für verwetten!“

„Na, das möchte ich sehen Schwester, wenn du dich ohne Hintern hinsetzen willst!“

„Das wirst du niemals sehen, aber du wirst sehen, wie Nora und ich dich im Frauenhaus einmal besuchen kommen!“

„Nora?“

„Ja, so heißt sie“.

„Und warum kommt ihr nicht jetzt gleich vorbei? Wir machen uns einen gemütlichen Abend,

und quatschen über die alten Zeiten, so, das deine Nora rote Ohren bekommen wird.“

„Würde ich ja gerne, aber ich warte auf einen Anruf von Nora, weil wir etwas zusammen machen wollen. Aber vielleicht kann sie wegen ihrer Pflegetochter nicht, so das wir vielleicht

bei ihr zu Hause bleiben werden?“

„Da kann ich auch nichts machen“, sagte Blondie, und legte auf.

Anna legte auf.

Sie weinte. Plötzlich wurde ihr bewusst, wie sehr sie Nora liebte, und das Nora ihre Gefühle anscheinend nicht erwiderte. Sie hatte nie angerufen, es sei denn, es ging um ihre Arbeit als Hexen.

Ich glaube, ich muss sie anrufen, und mit ihr reden, dachte sie, und nahm den Hörer ab. Sie wählte die Nummer von Nora, ohne zu wissen, was sie ihr sagen wollte.

„Hallo, hier bei Nora“, hörte Anna die Stimme Gerlindes.

„Hallo Gerlinde“, sagte Anna. „Ich möchte gerne Nora sprechen“.

„Sie ist nicht hier, sondern weggegangen. Ich bin hier bei Nadine, und passe ein wenig auf sie auf.“

„Weißt du, wo sie hingegangen ist?“

„Das weiß ich nicht, aber sie hat ihr Handy mit, falls ein Notfall eintreten sollte“.

„Was hatte sie denn an?“

„Sie sah echt piekfein in ihrem schwarzen Abendkleid und ihren Schuhen aus. Also, ich würde auf ein piekfeines Ausgehen, auf Abendgesellschaft tippen, vor allem, weil sie so angezogen war.“

Eine Welle der Eifersucht durchflutete Annas Körper, und setzte sich in ihrem Gehirn und ihrem Herzen fest.

Sie geht also aus, und amüsiert sich, während ich hier alleine sitze, und auf ihren Anruf warte, überlegte sie, und spürte, wie eine kalte Wut auf Nora in ihr hoch kroch. Wenn das so ist, dann kann ich mich ja auch amüsieren!

Sie nahm das Telefon, und wählte die Nummer des Frauenhauses. Blondie war am anderen Ende der Leitung.

„Gilt dein Angebot noch“, fragte sie?

„Ja“.

„Gut, dann mache ich mich schnell fertig, und komme zu dir rüber“.

Sie zog ihre Jeans, ihr Holzfällerhemd und ihre Schuhe an, warf ihre braune Lederjacke über ihre Schulter, und verließ ihre Wohnung.

Es war dunkel in der Höhle.

Ein eisiger Wind pfiff durch die Ritzen, und machten einen hellen, durchdringenden pfeifenden Ton, der so hoch war, das nur wenige Lebewesen ihn hören konnten.

Auf einem steinernen Thron saß Hanim, im Gedanken versunken, und grübelte.

Zu oft hatte er versucht, die Macht der drei Hexen zu zerstören, und keine seiner Maßnahmen hatte etwas genützt!

Vielleicht habe ich es falsch angefangen, überlegte der Dämon?

Ich habe immer versucht, die drei direkt anzugreifen. Vielleicht sollte ich versuchen, jemand zu töten, der ihnen viel bedeutet? Wie die Frau, die bei der Transe ist, oder der Mann, mit dem sich die Jüngste trifft, und von dem die anderen nichts wissen? Ja, der Mann wäre das beste Opfer!

Er hob seine Hand.

Nebel kam auf, und verflüchtigte sich wieder. Das Bild eines Tanzlokals wurde sichtbar. Hanim sah, wie die Jüngste der drei Hexen mit einem Mann tanzte. Sie schienen beide die Welt um sich zu vergessen. Hanim lächelte.

„So werde ich euch kriegen, ihr Hexen“, sagte er!

Es war schon spät, als Anna die belebte Einkaufstraße durchquerte, die sie benutzte, um schneller zum Frauenhaus zu gelangen. Sie war diesen Weg schon oft gegangen, eine Abkürzung, die ihr einmal Blondie gezeigt hatte, als sie von einem Restaurant zu ihrem Haus

gingen, das auf dem Weg zum Frauenhaus lag.

Süße Erinnerungen kamen in ihr hoch. Erinnerungen an zauberhafte Nächte und aufregende Tage, die sie mit Blondie erlebt hatte, als beide noch voller Tatendrang und Energie steckten, als Lust und nicht Liebe ihren Lebensrhythmus bestimmten.

Sie blickte in die Schaufenster.

Ihr Spiegelbild zeigte ihr, wie gut die Jeans und ihr Lieblingsholzfällerhemd mit der braunen Lederweste aus Büffelleder stand, und wie gut ihre kurzen roten Haare saßen.

„Ich seh mal wieder zum Anbeißen aus“, sagte sie zu sich selbst!

Ein Mann in einem gepflegten grauen Anzug mit passender Krawatte und weißem Hemd, lächelte sie an. Anna lächelte zurück, Na, heute kann selbst ein Mann meine gute Laune nicht zerstören, dachte sie!

Die laute Musik eines Tanzlokals drang an ihre Ohren, zuerst leise, dann immer lauter, je näher sie dem Gebäude kam.

Von außen sah das Haus gepflegt und romantisch aus. Die Außenwände waren in zarten Pastellfarben gestrichen, Blumenkästen, die wie eine Allee zur breiten, hölzernen halbrunden Tür führten. Sie waren voll von Hyazinthen und Rosen, und ein beliebtes Ziel der Jugendlichen des Viertels, die Geld sparen wollten.

Anna warf einen kurzen Blick hinein.

Der Raum war groß, und eine Liveband spielte gerade einen Slowfox. Paare jeden Alters bewegten sich in der Mitte des Raumes, andere saßen an ihren Tischen, tranken Wein, Kaffee oder Bier, und aßen Kuchen.

Ihr Herz blieb stehen!

Das darf doch nicht wahr sein, dachte sie! Da tanzt Nora, meine Nora, mit einem Typen so eng umschlungen, das sie gleich in ihn hineinschlüpft! Also, deshalb wollte sie nichts von mir in der letzten Zeit wissen! Die Gnädigste hat nen Mann, und ich bin abgeschrieben!

Die Band spielte einen alten Rocksong, den sie schon immer nicht mochte. Sie sah, wie der Mann Nora um seinen Körper wirbelte, so, als ob es kein Gesetz der Schwerkraft geben würde, und Anna musste wiederstrebend zugeben, das Noras Begleiter ein sehr guter Tänzer war.

Ich kann da nicht mehr zusehen, dachte sie, und sie spürte, wie rasende Eifersucht von ihr Besitz nahm. Sie wollte gehen, Tränen liefen ihre Wangen herunter, aber etwas ließ sie wie festgewurzelt auf ihrem Platz stehen.

Als nächstes wurde ein langsamer Walzer gespielt, und Anna sah, wie sich Nora perfekt den Bewegungen ihres Tanzpartners anpasste. Die Musik hörte auf, und Anna sah durch das breite, verdunkelte Fenster, vor dem sie stand, wie Nora den Mann lange und intensiv küsste. Der Mann erwiderte ihren Kuss, und sagte etwas zu ihr.

„Mir wird gleich schlecht, wenn ich das noch weiter ansehen muss“, sagte sie leise vor sich hin. Einem Impuls, das Lokal zu betreten, und Nora eine Riesenszene hinzulegen, gab sie aber nicht nach.

Sie ging. Tränen in ihren Augen. Denn sie wusste, das sie Nora verloren hatte!

Denn wie sollte sie gegen einen Mann ankämpfen, wo Nora doch heterosexuell war?

Die Liveband hatte aufgehört, zu spielen.

Nora und Doktor Arthur Nowak gingen an ihren Tisch, der versteckt in einer kleinen Ecke stand. Arthur Nowak rückte den Stuhl seiner Begleiterin zurecht, die sich hinsetzte. Dann setzte er sich ebenfalls auf seinen Stuhl.

„Ich fühle mich so wohl in deiner Nähe“, sagte er. „Ich glaube, ich habe mich ernsthaft in

dich verliebt!“

„Mir geht es genauso Arthur“, erwiderte Nora, und lächelte ihn an.

„Mehr als Anna“, hörte sie die vertraute Stimme der Göttin in sich fragen?

„Ich glaube ja“, erwiderte Nora!

„Dann solltest du Anna sagen, das eure Affäre zu Ende ist! Aber du brauchst es eigentlich nicht, denn sie hat dich und deinen Arzt eben gesehen.“

Schuldbewusst sagte Nora halblaut: „Das wird ihr das Herz brechen!“

„Was meintest du, Nora“, fragte ihr Begleiter?

„Nichts, was uns betrifft, Liebling! Ich habe nur an eine liebe Freundin gedacht, die unglücklich verliebt ist, und die bald erfahren wird, das ihre Liebe nicht mehr erwidert wird!“

„Liebt sie den Mann denn so sehr, das es ihr das Herz brechen würde, wenn sie es erfahren wird?“

Sie liebt mich, Arthur, dachte sie, wagte aber nicht, diesen Gedanken laut auszusprechen!

Und ein Teil von mir liebt und begehrt sie auch! Aber ich kann diese Liebe nicht leben! Du gehst ja auch wie alle davon aus, das sie, weil sie eine Frau ist, einen Mann lieben würde! Auf die Idee, das sie eine Frau liebt, und zwar die Frau, die auch du liebst, wäre, würdest du nicht im Traum kommen. Und ich will nicht von anderen Menschen als unnormal oder pervers bezeichnet werden!

„Und deshalb schnappst du dir diesen Mann“, fragte die Göttin?

Nora spürte, das die Göttin nicht unrecht hatte. Aber es war noch mehr, als ihre Sehnsucht nach einer normalen Beziehung! Sie wusste, das sie Doktor Arthur Nowak liebte, und das sie Kinder haben wollte, ein Bedürfnis, das ihr besonders bewusst wurde, seit Nadine in ihr Leben eingetreten war.

Die Altberliner Kneipe, in der Carola mit Sabine, der Tochter ihrer Nachbarin saß, war gemütlich und halb leer. Sie hatte sich schon den ganzen Abend darauf gefreut, besonders, seit Gerlinde, ihre Lehrmeisterin in der Kunst der Magie ihr für heute freigegeben hatte, weil sie auf Nadine aufpassen sollte.

Carola blickte sich um.

Der Wirt, ein dicker, leicht schmieriger Typ mit wenig Haaren aber einem um so frecheren Grinsen, spülte hinter der Theke einige Biergläser, die für die Berliner Spezialität „Weiße mit Schuss“ benutzt wurden, und deren Form Carola an alte Pokale erinnerte, die sie als Kind einmal gewonnen hatte.

In der Ecke saßen drei Männer, die miteinander tuschelten, und zu ihr und Sabine andauernd hinübersahen. Einer hatte eine Glatze, Hakennase, dünne Lippen und manikürte Fingernägel, die fremd an ihm wirkten, weil er eine ungewaschene Jeans und ein Hemd trug, das schon lange kein Wasser mehr gesehen hatte.

Der andere Mann war blond, hatte blaue, kalte Augen, und eine Knollennase, die ihn als Trinker auswiesen.

Der Dritte der Männer war groß, schlank, und hatte ebenfalls blaue, kalte Augen. Die Haare wie ein Skinhead kurz geschnitten, die Lippen schmal, und mit einem weißen T- Shirt bekleidet, blickte er dauernd zu ihnen rüber. Er sagte seinen Freunden etwas, was sie nicht verstand, aber an deren Reaktion des lauten Lachens sah sie, das es entweder etwas Lustiges, oder etwas Schweinisches war.

„Lass uns lieber gehen“, sagte Sabine. „Ich fühl mich nicht sicher hier!“

Der große, schlanke Mann stand auf, und ging zu ihr und Sabine herüber. Er lächelte Carola

an, und sagte: „Na, so allein, Mädels?“

Warum glauben Männer immer, das, wenn Frauen ohne Männer sind, und sich mit einer Freundin unterhalten, sie allein sind, fragte sich Carola? Gelten für sie Frauenfreundschaften nicht?

„Lass uns gehen, Carola“, bat Sabine leise, doch laut genug, das der Mann es hören konnte.

„Ja, lasst uns gehen“, sagte er. „Meine Freunde und ich möchten euch zu einer Party einladen, zu der wir gleich gehen wollen. Kommt ihr mit?“

Er berührte Carolas Hand, um seiner Bitte Nachdruck zu verleihen.

Carola spürte, wie ein Blitz sie durchzuckte. Sie sah ein Haus, eine Explosion, ein brennendes Haus, Frauen, die schreiend davonliefen und starben, und die drei Männer, die lachend zusahen.

Sie erinnerte sich an eine Nachricht, die sie im Fernsehen gesehen hatte, wo ein Frauenhaus im Süden Deutschlands in die Luft gesprengt wurde.

Ob das einer der Täter ist, fragte sie sich?

„Ich heiße Stefan“, sagte der Mann. „Und ihr?“

Sabine setzte an, ihm ihren Namen zu sagen, doch als Carola „sag nichts“ zischte, schwieg sie.

„Seid ihr Lesben“, fragte der Mann?

„Wenn wir es wären, würde es sie was angehen“, sagte Carola, die langsam wütend wurde.

„Ich frag ja nur“, erwiderte der Mann, der sich als Stefan vorgestellt hatte. „Wenn ihr Lesben seid, dann solltet ihr mich kennen lernen, dann würdet ihr bestimmt wechseln“, sagte er selbstgefällig!

„So besoffen sind wir nicht, das wir das tun würden“, meinte Carola, und sah, wie Sabine ängstlich in sich zusammengekauert auf ihrem Stuhl saß.

Sie hat vor dem Mann und der Situation Angst, dachte sie. Anstatt so nem Arsch Paroli zu bieten, kauert sie sich lieber hin, und wartet wie ein verängstigtes Tier darauf, das sie verspeist wird.

Er griff nach Carolas linken Arm, und drückte so fest zu, das sie vor Schmerz aufschrie.

„“Du kommst jetzt mit, Votze, oder du wirst es bereuen“, sagte er, und grinste.

Carola spürte erneut diesen Blitz durch sich hindurchdringen, und sah ein weiß getünchtes Haus, in dem viele Frauen lebten.

Ein Frauenhaus, durchzuckte sie ein Gedanke. Ein Frauenhaus, das vermutlich ihr nächstes Anschlagsobjekt sein wird. Ein Haus, das hier in Berlin sein muss, weil alle drei Täter hier sind.

Carola griff mit ihrer rechten Hand zu seinem Finger, und brach ihn. Voller Schmerz schrie der Mann auf. Seine Freunde standen auf, und kamen drohend näher.

„Lass uns gehen, Carola“, schrie Sabine hysterisch!

„Nicht, bevor ich nicht diesem Typen gezeigt habe, was ich von ihm halte.“

Sie stand auf, ruhig und gefasst, und ging auf den Mann zu. Mit zwei gezielten Tritten in seinen Bauch und sein Gesicht brachte sie ihn zu Fall. Seine Freunde standen neben ihm, und halfen ihm auf.

„Lesbenvotze, das wirst du mir büßen“, sagte der Glatzkopf, und kam auf sie zu. In seiner Hand eine Flasche Bier, die er auf einem Tisch zerschlug. Mit dem Flaschenhals in seiner Hand griff er sie an. Katzengleich tänzelte sie um ihn herum, bis sie seine schwache Stelle entdeckte. Sie trat blitzschnell zu, und auch er fiel zu Boden. Der dritte Mann, blickte sie an. Sein Blick war eiskalt und von einer solchen mörderischen Entschlossenheit, das Carola für einen Augenblick panische Angst verspürte.

Dann fing sie sich wieder.

Nur keine Angst zeigen, dachte sie, und erinnerte sich an das, was ihr Stiefvater ihr einmal

geraten hatte.

„Na, mein Kleiner, willst du auch was von mir“, sagte sie selbstbewusster, als ihre Stimmung

war?

Hau bloß ab, Lesbenvotze“, sagte er, „bevor ich mich vergesse!“

„Baby, hast du immer noch nicht begriffen, das ich es bin, die hier die Regeln festsetzt!“

Sabine zog an Carolas Jacke aus Lammfell.

„Aber wie du siehst, will meine Begleitung gehen, und ihr Wunsch ist mir Befehl“, sagte sie, nahm ihre Handtasche, und verließ gemessenen Schrittes das Lokal.

Sag mal, bist du wahnsinnig geworden“, sagte Sabine, als sie einige Meter von dem Lokal

entfernt waren? „Die Typen hätten uns vergewaltigen und umbringen können!“

„Ja“, hätten sie vermutlich auch getan“, erwiderte Carola. „Aber so hatten sie keine Chance gehabt, es zu versuchen!“

Sie gingen zur U-Bahnstation. Dort warteten sie in einer zugigen großen Halle mit anderen Passagieren, auf die nächste U-Bahn.

„Bist du wirklich eine Lesbe“, fragte Sabine Carola unvermittelt?

„Nein“, aber wenn ja, wäre es ein Problem für dich?“

„Weiß ich nicht“.

Plötzlich verspürte Carola eine Unruhe in sich, eine Unruhe, die sie sich nur durch das erklären konnte, was sie bei diesem Mann gesehen hatte. Sie stellte es nicht in Frage, denn sie hatte, seit sie sich mit Magie beschäftigte, und Gerlinde ihre Lehrerin war, gemerkt; das es viele Dinge zwischen Himmel und Erde gab, die ein einfacher Verstand sich nicht erklären konnte.

Ich muss Sabine erst einmal in Sicherheit bringen, dachte sie. Und dann ruf ich Gerlinde an. Sie wird wissen, was zu tun ist!

„Es war ein wunderschöner Abend gewesen, Arthur“, sagte Nora, und schmiegte sich an ihren Begleiter.

Sie gingen durch einen kleinen Park, der in der Nähe der Havel lag.

„Find ich auch“, erwiderte er, und blickte sie an. „Nora, ich hätte nie gedacht, das ich diese Frage nach der letzten Pleite meiner Ehe überhaupt jemals wieder stellen würde. Und doch spüre ich zu dir eine Liebe und eine Nähe, die ich vorher nicht kannte“.

Er machte eine bedeutungsschwangere Pause, griff in seine Manteltasche, und holte einen Goldring hervor, in deren Mitte ein riesig aussehender Diamant steckte.

„Nora, willst du mich heiraten?“

Eine Woge des Glücks umschloss sie. Sie fühlte sich, als ob eine unsichtbare Macht sie emporhob, und auf eine Wolke legte. So weich und zart, das sie am liebsten sofort ihre Augen geschlossen hätte, und schlafen würde.

„Und sagst du ihm, wer du bist“, hörte die sie Göttin in sich fragen?

„Ich glaube, es wäre besser, wenn er nichts wüsste“, überlegte sie kurz. „Er würde es nicht verstehen, und mich verlassen“.

„Wenn er das tun würde, wäre er deiner nicht wert“, sagte die Göttin. „Denn wer liebt, kann auch verstehen, selbst das, was nicht zu verstehen ist!“

„Ich sage es ihm lieber nicht. Das Risiko, ihn zu verlieren, ist mir zu groß!“

Nora wandte sich an ihren Begleiter, Arthur: „ Ja“, hauchte sie. „Ich liebe dich auch!“

Er küsste sie, leidenschaftlich und zärtlich, voller Verlangen und mit der Verheißung der Lust, die sie beide verspürten.

Ein dunkler Hauch wanderte dicht hinter Nadine und Arthur Nowak her.

In dieser Wolke steckte Hanim, der beide Menschen beobachtete.

Seine Augen glühten in einem dunklen Rot, aus dem leuchtende Blitze hervorschossen. Ein Blitz traf den Rücken von Doktor Novak, der leicht zusammenzuckte, und seine Begleiterin,

Nora, umarmte.

Bald wirst du wissen, dachte Hanim, was es heißt, jemanden sterben zu sehen, Hexe!

Der dunkle Hauch verschwand in der kühlen Abendluft.

Gerlinde hatte gerade Nadine in ihr Bett gebracht, als das Telefon klingelte.

Sie ging zurück, und nahm den Hörer ab.

„Hier ich, wer dort“, fragte sie?

„Ich bin es, Gerlinde, Carola! Ich habe gerade etwas sehr merkwürdiges erlebt. Ich war mit einer Freundin in einer Kneipe, wo wir drei Männer sahen. Einer stand auf, und machte uns an. Als wir uns berührten, sah ich etwas!“

„Und was?“

„Das er ein Mörder ist“ Er hat zusammen mit anderen ein Frauenhaus in die Luft gesprengt, und da alle drei in Berlin sind, vermute ich, das sie hier eine Riesenschweinerei vorhaben! Ich denke, du, Nora und Anna werden wieder einmal gebraucht!“

„Aber ich kann hier nicht weg“, sagte Gerlinde. „Nadine ist hier alleine“.

„Ich kann ja auf sie aufpassen!“

„Das wäre lieb von dir, Carola! Dann ruf ich gleich mal Nora und Anna an. Wenn das stimmt, dürfen wir keine Zeit verlieren!“

Sie verabschiedeten sich.

Gerlinde legte den Hörer in die Gabel des Telefons, und wählte die Nummer Annas. Sie war nicht zu erreichen. Dann wählte sie die Handynummer Noras, die nach wenigen Klingeltönen ranging.

„Ja, was gibt es, Gerlinde?“

„Carola hat etwas gesehen! Erinnerst du dich noch an die Schlagzeilen über das Frauenhaus in Nürnberg, das in die Luft gejagt wurde, und wo viele Frauen ihr Leben verloren hatten?“

„Ja“.

„Nun, Carola hat den Typen berührt, der das gemacht hat, und sie sah auch, das seine Begleiter dabei waren!“

„Aber warum konnte sie das sehen? Ich denke, du bist diejenige, die diese Gabe von der Göttin bekommen hatte?“

„Das frage ich mich auch! Aber im Moment ist es wohl wichtiger, die Schweine zu stoppen!“

„Hast du Anna schon erreicht?“

„Nein! Sie ist anscheinend nicht da.“

„Hast du ihre Handynummer?“

„So vertraut sind wir nicht miteinander“, erwiderte Gerlinde, und merkte, wie Eifersucht in ihr sich ihre Bahn suchte.

Nora nannte ihr Annas Handynummer, und als Gerlinde diese aufgeschrieben hatte, sagte Nora: „Am besten ist, wir treffen uns vor dem Frauenhaus!“

„Welches“, fragte Gerlinde? „Wir haben in Berlin davon mehrere?“

„Pendel du sie aus, und ruf mich und Anna dann an. Wir werden uns dann dort treffen. Und vergiss nicht, dir aus dem Buch der Schatten etwas auszusuchen, um die Typen zu stoppen!“

„Werd ich tun“, erwiderte Gerlinde.

Sie verabschiedeten sich, und Gerlinde rief Annas Handynummer an.

„Hast du mich vermisst, Nora, oder hast du zwischen deinen Tänzen mit dem Mann zufälligerweise an mich gedacht, zwischen all den Küssen, die du ihm gegeben hattest?“

„Anna, ich bin es! Gerlinde“, erwiderte sie, und merkte, wie ihre Eifersucht verschwand.

Also hat Nora sie betrogen, und Anna hat das gesehen, durchzuckte sie ein Gedanke! Deshalb klang Anna so aggressiv!

Plötzlich fühlte sie Mitleid mit Anna.

In kurzen Worten gab sie Anna das wieder, was Carola und Nora ihr gesagt hatten.

„Ich bin gerade in einem Frauenhaus, Gerlinde“, sagte Anna. „Bei Blondie, einer lieben Freundin! Wir quatschen gerade über verlorene Lieben und Betrug!“

„Hat Nora dich betrogen“, fragte Gerlinde mitfühlend?

„Ja, und das ausgerechnet mit einem Mann“, erwiderte Anna, und Gerlinde spürte, die

Verletzung, die Anna in sich trug. „Aber das ist noch nicht alles“, setzte Anna fort. „Erinnerst du dich noch an Vivien, die Frau, die wir in dem Hotel trafen?“

„Ja, was ist mit der?“

„Sie ist eine Transsexuelle, genau wie du! Und ich hab mich in sie verliebt! In eine Frau verliebt, die mal ein Mann war! Ich kann mich noch nicht einmal auf meine Augen verlassen!“

„Anna, so leid mir das für dich tut, aber im Moment haben wir ein größeres Problem! Drei Männer wollen hier in Berlin ein Frauenhaus in die Luft jagen, so, wie sie es schon einmal in Nürnberg gemacht hatten. Und wir müssen das verhindern!“

„Weißt du, welches Haus das ist?“

„Nein! Aber Nora meinte, das ich darüber pendeln soll!“

„Tu das! Und ich warte hier auf deinen Anruf!“

Gerlinde legte, nach einer knappen Verabschiedung den Hörer auf.

Sie ging zum Wohnzimmerschrank in Noras Wohnung, und holte einen Stadtplan hervor, den sie auf dem Boden ausbreitete. Dann nahm sie aus einer Schublade des Schranks ein Pendel, und setzte sich im bequemen Schneidersitz auf den Boden. Sie konzentrierte sich. Das Pendel drehte sich in einem weiten Kreis um die Karte. Die Kreise wurden enger und enger, bis sie sich auf einen Punkt konzentrierten. Gerlinde nahm ein Blatt Papier, und schrieb mit einem roten Kuli die Adresse auf.

Plötzlich hatte sie eine Vision.

Sie erblickte Nora, die mit einem gutaussehenden Mann spazieren ging.

Sie sah, wie etwas, das wie ein Blitz aussah, in seinen Rücken eindrang, und er Nora umarmte.

„Der Mann ist in Gefahr, Gerlinde“, sagte die Stimme der Göttin zu ihr! „Du musst sie warnen! Hanim versucht, ihn umzubringen, um sie so dazu zu bringen, euch zu verlassen, und so die Macht der drei Hexen zu zerstören!“

„Werde ich sofort tun“, erwiderte Gerlinde! Die Vision verschwand.

Gerlinde ging in das Zimmer, in der Nadine lag. Ihr ruhiger, gleichmäßiger Atem, beruhigte sie.

Wenn du wüsstest, was alles geschieht, während du schläfst, Nadine, dachte sie. Wie wir drei Frauen versuchen, die Welt für Frauen ein wenig besser und sicherer zu machen. Vielleicht wirst du eines Tages wissen, was deine Adoptivmutter Nora alles für Gefahren dafür auf sich nimmt, so das du jede Nacht ruhig schlafen kannst?

Sie ging zum Telefon zurück, und wählte Noras Nummer.

„Ich weiß jetzt, welches Frauenhaus ihr Ziel ist, und auch, das Hanim deinen Begleiter umbringen will.“.

„Du scherzt“, erwiderte Nora, und sah Arthur Nowak an.

„Ich scherze nicht“, erwiderte Gerlinde! „Ich habe die Info von ihr persönlich. Hanim hat ihm schon was verpasst! Ich hab nur so etwas wie einen Blitz gesehen, der in seinen Rücken eindrang. Was kann das wohl sein?“

„Ein Dämonenzauber, der sich vom Rücken über das Herz ins Gehirn wandert, sich dort festsetzt, und ihn elendig vor meinen Augen sterben lassen wird“, sagte Nora plötzlich, ohne zu wissen, woher sie das wusste!

Gerlinde nannte ihr die Adresse des Frauenhauses, und bat Nora, so schnell wie möglich dorthin zu kommen, und das Anna schon dort wäre.

Dann rief sie Anna an.

Wenige Minuten später kam Carola, um auf Nadine aufzupassen. Und Gerlinde machte sich

auf den Weg in ihre Wohnung, wo das Buch der Schatten lag.

„Schatz“, begann Nora zu reden, nachdem sie ihr Handy geschlossen, und in Manteltasche ihres schwarzen Wollmantels gelegt hatte. „Ich muss dir etwas über mich sagen, was du nicht über mich weißt!“

„Und was? Das du eine Mörderin oder eine Spionin bist“, sagte der Arzt lächelnd.

„Nein, sondern, das ich eine Hexe bin!“

Sie blickte ihn an. Er lachte, so, als ob er sie nicht ernst nahm.

„Es stimmt, Arthur! Und ich sage dir das nur, weil dein Leben in Gefahr ist!“

Er blickte sie ungläubig und zweifelnd an.

„Ich darf jetzt keine Zeit verlieren, Arthur“, sagte sie. „Für Erklärungen wird später immer noch Zeit sein! Jetzt muss ich erst einmal etwas tun, was die sehr weh tun wird!“

„Willst du mich schlagen“, sagte er? „Da bin ich aber viel stärker als du!“

„Da irrst du dich aber sehr, Arthur“, erwiderte sie, und versetzte sich in Trance.

Sie sah, wo der Blitz gerade steckte. Ganz in der Nähe seines Herzens.

Blitzschnell schoss ihre Handfläche hervor, und griff an die Stelle, die dem am nächsten war, wo der Blitz gerade verweilte.

„Jokam, Jakum, Jakalum“, flüsterte sie.

Plötzlich schrie ihr Begleiter vor Schmerz auf, und krümmte sich. Nora spürte, wie etwas in ihrer Hand lag, etwas, dass sie trotz ihrer geschlossenen Hand leuchten sah.

„Wwwwas ist das“, fragte Arthur stotternd?

„Etwas, was dich getötet hätte, wenn es den Weg zu deinem Gehirn geschafft hätte“, erwiderte Nora! Sie schleuderte das leuchtende etwas in einem weiten Bogen von sich.

„Also stimmt es, was du gesagt hattest! Du bist eine Hexe!“

„Ja, Arthur! Ich bin eine Hexe!“

„Und wenn das nicht passiert wäre, hättest du es mir dann gesagt, wer und was du bist?“

„Ich weiß nicht“, erwiderte Nora! „Vielleicht nicht, weil ich zu große Angst davor gehabt hätte, dich zu verlieren. Ich liebe dich, Arthur!“

„Ich dich auch, Nora! Aber du weißt, das für mich Offenheit in einer Beziehung enorm wichtig ist. Besonders nach meiner letzten Beziehungserfahrung!“

„Es tut mir ja auch leid, Arthur“, sagte Nora, und blickte schuldbewusst zu Boden.

„Ich glaube, ich muss erst einmal darüber nachdenken, Nora“, sagte Arthur Nowak, und verabschiedete sich von Nora. Er blickte sie weder an, noch umarmte oder küsste er sie zum Abschied.

Während er die Straße entlang zu seinem Wagen ging, sagte Nora leise zu sich: „Das war’s dann wohl, Nora! Ich habe den Mann verloren, den ich liebe, weil ich ihm nicht die Wahrheit sagen konnte, und die Frau verloren, die ich auch liebe,, und alles nur, weil ich niemand verletzen wollte!“

Dann machte sie sich auf den Weg ins Frauenhaus.

Gerlindes Hände zitterten.

Vor einer halben Stunde war sie im Frauenhaus angekommen. Anna wartete mit ihrer Freundin Blondie, einer wasserstoffgefärbten Blondine mittleren Alters im breiten Foyer des Frauenhauses auf sie. Gerlinde stellte fest, das Nora noch nicht im Frauenhaus war.

„Nora kommt gleich“, sagte sie zu Anna und ihrer Freundin. „Sie musste noch was erledigen“.

Gerlinde beobachtete, wie Annas Gesicht zusammenzuckte.

Sie weiß, das sie sich um ihren Freund kümmert, dachte sie. Ein Anflug von Mitgefühl für Anna durchzuckte kurz ihr Herz, verflog aber schnell, als sie sah, wie Anna hasserfüllt auf

den Boden des Foyers starrte.

Sie hasst sie, durchzuckte Gerlinde ein Gedanke! Anna hasst Nora, die Frau, die sie so sehr liebt! Typisch Anna! Alles bei ihr muss extrem sein! Kein gesundes Mittelmaß, kein warm,

sondern entweder heiß oder kalt!

Eine junge Frau, etwa dreißig, mit halblangen brünetten Haaren, einem breiten, von Narben gezeichnetem Gesicht, braunen Augen und Händen, die zeigten, das sie es gewohnt war, hart für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten.

„Elvira“, sagte sie, und blickte die wasserstoffgefärbte Blondine an. „Kann ich dich was fragen?“

„Fragen kannst du mich alles, Sabine, aber ob ich dir antworte, liegt auf einem anderem Blatt!“

„Ich wollt dich nur fragen, ob ich hier wirklich sicher bin! Du weißt doch, wie gefährlich es für mich in Nürnberg und Stuttgart in den Frauenhäusern war, wie Stefan, mein Mann, mich überall gefunden hatte!“

„Ja, wie der dich jahrelang geschlagen und gedemütigt hatte, und auch anfing, deine Tochter zu verprügeln. Warum bist du von ihm fortgelaufen? Sag mir, warum!“

„Weil ich es nicht mehr aushielt“, erwiderte die Angesprochene. „Aber er wird mich wiederfinden! Er wird mich wiederfinden!“

Ihr Körper zitterte.

Elvira, die Leiterin des Frauenhauses ging auf sie zu, umarmte sie, und redete beruhigend auf sie ein.

Anna bewegte sich langsam auf Gerlinde zu, ihre Augen immer noch auf den Boden des Foyers fixiert.

„Was machen wir, wenn Nora nicht kommt“, fragte sie Gerlinde?

„Dann müssen wir wohl oder übel alleine etwas unternehmen, um die Frauen zu schützen!“

„Was schlägst du vor?“

„Das eine von uns versucht, herauszufinden, wann sie kommen, und was sie vorhaben. Ich denke, dafür bin ich am besten geeignet, weil ich durch die Gabe der Göttin bei einer leichten Berührung sehen kann, was sie vorhaben.“

„Und du meinst, das ich mit meiner Gabe das nicht tun kann?“

„Doch, aber wer weiß, wie viel Zeit uns bleibt, die Bombe zu entschärfen, und die drei bösen Jungs festzunehmen!“

Sie sah den Blick Annas, den sie hob, und sie anblickte.

„Aber wenn du unbedingt willst, kannst du ja den Job übernehmen, Anna“, sagte Gerlinde.

Ihr war nicht wohl dabei, war es doch für Anna nicht ungefährlich, aus ihrem Körper herauszugehen, und den drei Tätern zu folgen.

Jemand klingelte an der Wohnungstür.

Anna ging hin, und blickte durch den Spion. Draußen stand Nora, die weinte.

Für eine Sekunde verspürte Anna Mitleid mit ihr, aber verbat sich in der nächsten Augenblick dieses Gefühl. Sie öffnete die Tür.

„Da bist du ja endlich, Nora“, sagte sie in einem vorwurfsvollen Ton, der Nora sofort zusammenzucken ließ.

„Ich...“, begann sie, und wurde von Anna unterbrochen, „habe nur mal kurz mit einem Mann getanzt, ihn geküsst, und die Frau´, die dich liebt, vergessen!“

„Bitte, Anna“, begann Nora sich zu verteidigen, „das gehört nicht hier her! Und außerdem hast du kein Recht, dich so aufzuspielen, Anna! Ich bin nicht dein Eigentum!“

„Das gehört nicht hier her? Die Frau, die ich über alles liebe, betrügt mich, und das auch noch mit einem Mann, und vergisst ihre Aufgabe als Dienerin der Göttin, und da soll ich mich nicht aufregen dürfen? Und sicher, du bist nicht mein Eigentum, aber ich habe gedacht, das wir zusammen gehören, das du die Männer vergessen hättest.“

„Ich liebe nun einmal Männer, Anna“

„Ach, du liebst also Männer! Was war ich dann für dich? Eine kleine Zwischenmahlzeit zwischen zwei Männern?“

Noras linke Hand schnellte hervor, und traf Anna mitten auf ihre rechte Wange, die plötzlich

rot wurde.

„Eure Paarprobleme haben Zeit bis später“, sagte Gerlinde mit einer schneidenden Stimme, die beide Frauen nicht von ihr gewohnt waren. „Zuerst einmal müssen wir uns um etwas anderes kümmern! Hat jemand von euch Vorschläge?“

Sie steckten ihre Köpfe zusammen, und wenige Minuten später wussten alle drei Frauen, was sie zu tun hatten.

Gerlinde blickte abwechselnd Nora und Anna an.

Na, hoffentlich geht das gut, dachte sie. So wie Anna Nora ansieht, ist die Luft zwischen beiden Frauen sehr explosiv!

Dann gingen alle Frauen auf ihre jeweiligen Positionen.

Es war dunkel.

Ein eiskalter Hauch umwehte das Gelände des Frauenhauses. Eine Kälte, die auch im Inneren zu spüren war.

Gerlinde spürte, ebenso wie Blondie und den anderen Frauen, die Spannung, die zwischen Nora und Anna lag. Eine Spannung, von der Gerlinde hoffte, das sie nicht explodieren, und ihre Aufgabe zerstören würde, die drei Männer zu fangen.

Anna hatte sich am Fenster postiert, und blickte auf die unten liegende Straße.

Ein älteres Ehepaar ging mit ihrem angeleinten Rauhaardackel spazieren. Der Dackel verrichtete seine Notdurft an einem Baum, der in der Nähe des Frauenhauses stand. Ungeduldig zerrte der Mann, der die Leine hielt, daran, um so den Hund zum weitergehen zu bewegen.

Ein Mann überquerte von der gegenüberliegenden Straßenseite die Straße, und ging in raschen Schritten, den Kragen seines braunen Mantels hochgezogen, am Frauenhaus vorbei.

Annas Herz schlug schneller, als sie ihn sah, und wurde langsamer, als sie erkannte, das der Mann auf der Strasse nur ein harmloser Passant war.

Dann kamen sie!

Drei Gestalten, die genau so aussahen, wie Carola sie Gerlinde beschrieben hatte. Einer von ihnen, groß, schlank, mit blauen, kalte Augen. Seine Haare hatte er wie ein Skinhead kurz geschnitten, und seine Lippen waren, soweit sie sehen konnte schal, hielt eine kleine Tasche in seiner Hand.

Die Bombe, durchzuckte sie ein Gedanke. Ich muss den anderen Bescheid sagen!

Sie nahm ihr Handy, und drückte auf einen Knopf. Wenige Augenblicke später hörte sie Noras Stimme: „Ja?“

„Sie sind da“, erwiderte sie, und spürte, wie ein Schmerz ihren ganzen Körper durchflutete.

Ich liebe sie immer noch, dachte sie! Trotz allem, was sie mir angetan hat, liebe ich sie immer noch!

„Ich sag kurz Gerlinde Bescheid“, sagte Nora, und fügte hinzu, „es tut mir so leid, Anna“

„Lass uns darüber später reden“, erwiderte Anna, und unterbrach die Verbindung.

„Alles ruhig“, sagte Stefan, und blickte die beiden Männer an.

„Dann lass es uns tun“, sagte der Glatzkopf, und grinste. „Deine Frau soll mal sehen, das es ein Fehler war, dich zu verlassen! Ein sehr schwerer Fehler!“

Leise lachte Stefan auf.

„Und das sie merkt, das sie auch in diesem Lesbenladen nicht vor mir sicher ist!“

Böse knurrte er.

„Verdammte Weiber“, sagte er. „Immer hat man mit ihnen Ärger!“

Gemeinsam überquerten sie die Straße, und blickten sich vorsichtig um.

„Niemand zu sehen, Stefan, du kannst rein“, sagte der Glatzkopf, und die Trinkernase nickte.

„Na, dann wollen wir einmal für eine „Bombenstimmung“ sorgen“, sagte Stefan, und grinste.

Mit wenigen, geübten Handbewegungen hatte die Trinkernase die Tür geöffnet, die zum Heizungskeller führte. Stefan, die Glatze und er gingen lautlos hinein, und blickten sich um.

Der Raum sah aus, wie jeder andere Heizungskeller in Deutschland.

Ein großer, in Orange lackierter Heizungstank, ein Gerät zur Regulierung der Ölzufuhr und ein altes Fahrrad, das in der Ecke hinter der Eingangstür stand.

Der Glatzkopf öffnete die mitgebrachte Tasche.

Ein kleiner Kasten aus rotem Balsaholz steckte darin. Vorsichtig nahm Stefan den Kasten aus der Tasche, und öffnete ihn. Links war ein kleiner Wecker, von denen mehrere verschiedenfarbige Schnüre zu einer mit Klebeband zusammengebundenen reihe von stockähnlichen Gegenständen führte.

Dynamitstangen!

„Sei bloß vorsichtig“ sagte die Glatze, und blickte Stefan an! „Ich hab keine Lust, selbst in die Luft zu fliegen!“

„Meinst du, ich könnte damit nicht umgehen? Schließlich habe ich mein Handwerk bei den Sächsischen Skinheads gelernt!“

Stefan blickte auf die Leuchtziffern seiner Uhr.

Es war fünf Minuten vor Mitternacht.

Wenn ich auf zehn nach zwölf den Wecker stelle, haben wir eine Viertelstunde, um zu verschwinden, dachte er. Ich denke, das müsste reichen.

Mit wenigen, geübten Handgriffen, stellte er den Wecker ein, und lauschte dem leisen Ticktack der Uhr. Er schloss das Kästchen, und legte es unter einen der Heizöltanks, wo er wusste, das die Bombe einen großen Schaden anrichten würde.

„Kommt, lass uns gehen“, sagte Stefan, und drehte sich zur Tür um.

Plötzlich fiel die Tür ins Schloss, und die Männer hörten ein lautes, hysterisches Lachen!

„Stell die Bombe ab“, sagte der Glatzkopf zu Stefan! „Oder willst du, das wir alle in die Luft fliegen?“

Ängstlich blickte Stefan ihn an.

„Ich kann das nicht“, sagte er! „Der Zünder ist so eingestellt, das niemand ihn ausstellen kann!“

Bist du soweit, Anna“, fragte Nora?

Die Angesprochene nickte.

Seit die Göttin ihr die Gabe geschenkt hatte, aus ihrem Körper zu treten, und so durch Wände zu gehen, hatte sie immer wieder gelernt, diese Kraft einzusetzen.

So dauerte es nur Sekunden, bis sie in Trance fiel, und aus ihrem Körper trat.

„Denk daran, was wir abgemacht haben“, sagte Gerlinde! „Heiz ihnen tüchtig ein! Mach ihnen Angst, und- sie blickte Anna zärtlich an- „pass gut auf dich auf, Anna“

Göttin, Gerlinde liebt sie, durchzuckte Nora ein Gedanke! Gerlinde liebt Anna! Und Anna merkt das noch nicht einmal!

Nora sah, wie Anna durch die Tür verschwand, die zum Heizungsraum führte, und den sie eben verschossen hatte.

„Viel Glück, Anna“, sagte sie leise. „Komm gut da raus!“

„Und möge die Göttin dich beschützen!“

Anna spürte nichts, als sie durch die Tür hindurchging, die zum Heizungskeller führte. Nur eine große Leere in sich, eine Leere, die sie vorher nicht kannte, als sie aus ihrem Körper trat.

Eine Leere, die, wie sie wusste, nicht daher rührte, das sie aus ihrem Körper getreten war. Eine Leere, die, wie sie vermutete, wegen Noras Treuebruch entstanden war.

Sie blickte sich um.

Der Raum war dunkel, nur die spärliche Taschenlampe in den Händen des Mannes mit der Trinkernase, erleuchtete den Raum ein wenig.

Sie haben also Angst, das Licht anzumachen, dachte sie. Dann werden wir diese Angst noch ein wenig vergrößern!

Sie stellte sich vor die Männer hin.

„Ich bin der Geist all der Frauen, die ihr getötet habt“, sagte sie. „Und nun ist euer Tag zum Sterben gekommen!“

„Wer ist da“ fragte die Säufernase, und die Glatze sagte: „Zeigen sie sich!“

„Ich bin gleich vor euch, Jungs. Richte den Lichtstrahl nur ein wenig höher!“

Der Angesprochene tat, was Anna sagte.

„Mein Gott“, entfuhr es ihm. „Ein Geist!“

„Wwwwas wwwilst ddddu von uns“, stotterte der Glatzkopf?

„Das ihr stirbt“, erwiderte Anna, und versuchte, ihrer Stimme möglichst etwas Gespenstisches zu geben.  „Es sei denn, ihr würdet euch der Polizei stellen, und die Bombe entschärfen!“

Aber das können wir nicht“, erwiderte Stefan. „Der Zünder ist so eingestellt, das er um zehn Minuten nach Mitternacht hoch geht, und keine Macht der Welt kann das verhindern!“

Mist, überlegte Anna! Jetzt haben wir echt ein Problem!

Sofort verschwand sie durch die Tür, ungesehen von den drei Männern.

Sie kehrte wieder in ihren Körper zurück, und berichtete Gerlinde und Nora, was sie eben erfahren hatte. Dann blickte sie auf die Uhr.

Es war eine Minute nach zwölf.

„Glaubst du wirklich, was wir eben gesehen haben“, fragte die Glatze Stefan?

Weiß ich nicht, erwiderte der Angesprochene. „Aber was ich weiß, ist, das wir alle bald in die Luft fliegen, wenn wir nicht schnell hier herauskommen!“

Er nahm die Lampe und leuchtete im Raum herum. Wenige Augenblicke später erblickte er den Lichtschalter, und machte Licht. Der Raum erstrahlte im hellen Glanz, und als sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatte, blickte er sich um.

Außer der Tür sah er keinen anderen Fluchtweg, und so sagte er zu der Knollennase: Mach schnell, und öffne die Tür!“

Die Knollennase nahm einen Dietrich, und stocherte im Schloss herum, doch nichts tat sich, und so gab er resigniert nach einigen Minuten auf. Stefans Uhr zeigte mittlerweile zwei Minuten nach zwölf.

„Wir müssen die Polizei rufen“, sagte Nora“, und um einen Sprengmeister bitten!“

„Bis der da ist, ist das Frauenhaus eine Trümmerwüste“, erwiderte Anna, und Gerlinde fügte hinzu: „Dann müssen wir die Bombe selbst da rausholen, die drei Typen in Schach halten, und hoffen, genug Zeit zu haben, alles noch rechtzeitig tun zu können!“

„Und wie willst du das machen“, fragte Nora!

„Indem wir uns aufteilen. Eine von uns, am besten Nora, hält mit ihrer Gabe die Jungs in Schach. Eine Andere schnappt sich das Kästchen, und wirft es am besten in ein Wasser, oder dort, wo keine Menschen sind. Und die Dritte deckt den Lauf der Zweiten, indem sie den Weg freimacht!“

„Wie viel Zeit haben wir“, fragte Nora?

„Nur noch sieben Minuten, wenn meine Uhr richtig geht“, sagte Anna nach einem kurzen Blick auf ihre Uhr.

„Dann lass uns schnell handeln, und als Erstes den Schutzzauber der Tür aufheben!“

Stefan spürte den Angstschweiß auf seiner Stirn.

Seine Hände zitterten, und seine Füße versagten ihren Dienst.

Dauernd gingen seine Blicke zu seiner Uhr, und blieben dort sekundenlang wie hypnotisiert kleben.

Die Zeiger zeigten auf drei Minuten nach zwölf.

Seinen beiden Freunden schien es ebenso zu gehen.

Die Glatze weinte wie ein kleines Kind, und der Säufer schlug seinen Kopf gegen die Wand, und jammerte: „Warum hab ich mich bloß darauf eingelassen?“

„Weil du es, genauso wie wir, den verdammten Weibern die uns verlassen hatten, heimzahlen wollten“, sagte Stefan, aber jeder in diesem Raum spürte, wie sehr seine Stimme dabei zitterte.

Stefan deutete der Trinkernase, mit seinem Dietrich es noch einmal zu versuchen, die Tür zu öffnen.

Kaum ging der Mann auf die Tür zu, sprang diese mit einem gewaltigen Knall auf. Stefan sah drei Frauen, die in der Tür standen. Die Jüngste der Frauen, die in der Mitte stand, trat hervor, hob ihre rechte Hand, und sprach: „Hinfort mit euch“

Plötzlich merkte Stefan, wie er gegen die Wand geschleudert, und an die Decke des Raumes gedrückt wurde. Seinen Kollegen schien es ähnlich zu ergehen. Panische angst überkam ihn. Er war nicht gewöhnt, das Frauen so mit ihm umsprangen, das sie es waren, die bestimmten! Das sie es waren, die macht hatten, ihm ihren Willen aufzuzwängen!

Er fühlte sich hilflos, und spürte, wie eine warme, übelriechende Flüssigkeit, seine Hose nässte, und an seinen Beinen herunterlief.

„Wo ist das Kästchen“, fragte eine älter Frau?

„Da unten, unter dem Tank“, erwiderte eine leicht maskulin aussehende Frau mittleren Alters.

Dann nichts wie los“, sagte die Ältere!

Die Frau mittleren Alters griff sich den Kasten, und lief los.

„Bis nachher, Nora“, erwiderte die Ältere, und lief hinterher.

Nora drehte sich zu den drei Männern an der Decke um. Sie grinste! Ein Grinsen, das den drei Männern Angst machte.

„Jungs“, begann sie. „Ihr habt jetzt drei Möglichkeiten! Entwerde, ich lass euch bis zum Sankt Nimmerleinstag da oben verrotten, oder ihr geht freiwillig zu den Bullen, und legt ein umfassendes Geständnis ab!“

„Und die dritte Wahl“, fragte die Glatze?

„Ihr wartet, bis meine beiden Freundinnen zurückkommen, und wir werden euch den Frauen dieses Frauenhauses übergeben, die euch all die Schmerzen zufügen werden, die ihr und eure Geschlechtsgenossen ihnen angetan haben!“

Die Glatze schluckte.

Er dachte an all die Schläge, die er seiner Frau und seinen Kindern gegeben hatte, an all die vielen Male, wo er seine Frau vergewaltigte, und auch seine Tochter nicht verschonte. Und er wusste, wie groß, wie tief der Hass seiner Frau auf ihn war, als sie ihn mit ihrer Tochter verließ.

Er blickte Stefan an, der anscheinend das Selbe wie er dachte. Wortlos nickte er.

Und auch die Trinkernase nickte. Zu groß schien ihre Angst vor der dritten Möglichkeit zu sein.

Nora grinste.

Ja, jetzt geht euch der Arsch auf Grundeis, dachte sie triumphierend! Ihr wisst ganz genau,

was ihr gemacht habt!

Plötzlich hörte sie hinter sich die Schritte einiger Frauen. Kurz wandte sie ihren Kopf, und

entdeckte unter den vielen Frauen eine junge Frau Anfang dreißig, mit brünetten Haaren, und einem von Narben gezeichneten Gesicht. Ihre braunen Augen blickten gebannt nach oben. Angst, Panik, erblickte Nora in ihnen.

Sie kennt einen der drei Typen, durchzuckte sie ein Gedanke! Einer der drei Männer ist ihr Freund oder Mann gewesen!

Mit raschen Schritten waren Anna und Gerlinde an dem Wagen Gerlindes angekommen.

Gerlinde riss die Wagentüren auf, und Anna setzte sich auf den Rücksitz des alten, silbergrauen VW Golfs, während Gerlinde sich hinter das Steuer setzte.

„Wohin sollen wir“, fragte sie Anna? „Du kennst dich doch hier am besten aus, oder?“

Anna nickte.

„Wie viel Zeit haben wir“, fragte sie Gerlinde, die auf die Uhr ihres Wagens blickte?

„Etwa fünfeinhalb Minuten“ erwiderte Gerlinde.

„Das schränkt die Möglichkeiten verdammt ein!“

Sie überlegte, und nach kurzem zögern sagte sie zu Gerlinde: „In der Nähe ist ein riesiger Park mit Wildschweinen. Wir lassen die Kiste am besten dort hochgehen. Fahr erst einmal geradeaus, und denk daran, es muss schnell gehen, also nimm keine Rücksicht auf rote Ampeln!“

Gerlinde drehte den Schlüssel ihres Wagens im Zündschloss um, trat Kupplung und Gaspedal, stellte die Gangschaltung ein, und schon heulte der Motor auf, und die quietschenden Reifen des Wagens entfernten sich vom Frauenhaus.

Es fiel Nora leicht, die Kontrolle über die drei Männer an der Decke zu halten. Was ihr Sorgen machte, war die Frau hinter ihr, die ängstlich nach oben zu den drei Männern sah. Sie wusste, das sie mit Namen „Elvira“ hieß, weil „Blondie“ sie so einmal genannt hatte.

Der Mann, der wie ein eiskalter Killer aussah, blickte sie ebenfalls an.

Er schien sie zu kennen, denn seine Augen leuchteten für einen kurzen Augenblick triumphierend auf, und er lächelte. Ein, wie Nora fand, diabolisches Lächeln.

„Na, wen haben wir denn da“, sagte er, so, als ob er und seine Kumpane nie an einer Decke durch Magie festgehalten wurden, „meine treusorgende Ehefrau Elvira!“

Die Frau blickte ihn immer noch an! Wortlos, ängstlich und voller Hass in ihren Augen.

„Hallo Stefan“, klang die Stimme der Frau tonlos. „Ich dachte, ich würde dich nie wieder sehen!“

„Aber nun siehst du mich! Und du weißt ja, was dir blüht, wenn du nicht das tust, was ich sage!“

„Und was soll ich tun?“

„Bring die Schlampe neben dir um“, sagte Stefan voller Hass! „Dann tu ich dir auch nichts, und lass dich für immer in Ruhe!

Er hob die Hand zum Schwur.

„Versprochen!“

Nora blickte die Frau aus ihren Augenwinkeln heraus an. Was wird sie tun, dachte sie? Wird sie mich angreifen, aus Angst vor diesem Schläger, ihrem Exmann? Wird sie sich ihm wieder ausliefern? Wird sie...?

Eine gewaltige Detonation durchbrach ihre Gedanken und die Stille des Raumes. Die Wände wackelten, und für einen Augenblick verlor sie die Kontrolle über die drei Männer an der Decke, die krachend auf den Boden fielen. Sie musste schnell handeln. Sie hob ihren rechten Arm, und sprach: „Herrin der Dunkelheit, Dunkle Iris der Zaubersprüche, Hekate, rächende Mutter, hör uns, hilf uns, schütz uns!“

Gleichzeitig malte sie ein Schurzpentagramm in die Luft.

Stefan rappelte sich auf, und sprang mit einem verzerrten Gesicht auf Nora und seine Exfrau zu, und rief: „Wenn ich euch kriege, ihr verdammten Lesben, dann werdet ihr euch wünschen, tot zu sein!“

Dann stoppte er. Eine unsichtbare Mauer schien ihn aufzuhalten. Er tastete, aber je weiter er zur Wand ging, desto enger schien sich diese unsichtbare Mauer um ihn zu schließen. Auch seine Freunde, Knollennase und Glatzkopf, bemerkten es.

Elvira stand immer noch versteinert neben Nora, unfähig, auch nur einen ihrer Muskeln zu bewegen.

„Sie können dir nichts mehr tun, Elvira“, sagte Nora, und legte ihren Arm um sie.

Plötzlich weinte Elvira.

Blondie kam auf beide zu, und führte Elvira fort.

„Wenn ich nur wüsste, ob die beiden das überlebt haben“, sagte Nora leise?

„Fahr nicht so schnell, Gerlinde“, sagte Anna auf dem Rücksitz von Gerlindes VW Golfs. „Ich hab Angst, dass das Ding losgeht, während du fährst!“

„Das ist unser Berufsrisiko“, erwiderte Gerlinde, und hupte laut, um die beiden Radfahrer zu verscheuchen, die gemütlich die Straße entlang fuhren.

Sie blickte auf die Zeiger ihres Armaturenbrettes.

„Scheiße“, entfuhr es ihr. „Wir haben gerade noch zwei Minuten Zeit!“

„Dann schaffen wir es nicht mehr rechtzeitig“, erwiderte Anna, die sah, das die Radfahrer sich durch Gerlindes Gehupe nicht aus der Ruhe bringen ließen. Sie öffnete das Fenster und schrie: „Verdammt, hier im Wagen ist eine Bombe! Machen sie Platz, oder wollen sie auch hochgehen?“

Einer der beiden Radfahrer, ein älterer Mann mit weißen Haaren, einer dicken Brille und kleinen Schweinsaugen, drehte sich um, hielt sein Rad an, so das Gerlinde nicht mehr weiterfahren konnte und anhalten musste, und sagte: „ Das kann ja jeder behaupten! Zeigen sie erst einmal ihren Ausweis, und dann ihre angebliche Bombe, dann werden wir weiter sehen!“

„Arschloch“, entfuhr es Gerlinde. Anna öffnete die Tür, stieg aus, öffnete das Kästchen, wo die Bombe war, und schrie höhnisch: „Genug gesehen?“

Plötzlich drehte sich der alte Mann um, rief „eine Bombe“, und schwang sich auf sein Fahrrad, und fuhr seinem Vordermann hinterher.

„Wir habe kaum noch Zeit“, rief Gerlinde, und schlug die Fahrertür ihres Wagens zu. „Wir müssen hier die Bombe loswerden!“

Anna blickte sich um.

Der Park war menschenleer. In der Nähe lief ein kleiner Rinnsaal entlang, und das Gezirpe eines Vogels sang ihr melancholisches Lied. Eine alte Weide wiegte sich im Takt des leise wehenden Windes, und es schien Anna, als ob deren Äste in eine Richtung deuteten.

Sie folgte den Ästen, und erblickte einen kleinen Hügel, in deren unteren Ende ein Loch zu sein schien. Sie lief näher, gefolgt von Gerlinde, die wegen ihres Gewichts schwer atmete.

Und tatsächlich, sie erblickte eine kleine Höhle.

Sie schmiss das Kästchen hinein, und drehte sich um. Sie lief so schnell sie konnte, und als sie Gerlinde erreichte, schrie sie: „Volle Deckung, Ger...!“

Eine gewaltige Detonation durchbrach die Stille.

Die Druckwelle riss sie zu Boden, sie berührte Gerlinde, die ebenfalls zu Boden fiel.

Staub, Moos und Sand schüttete sich über beide Frauen, die reglos liegen blieben. Dann, der Rauch hatte sich schon verzogen, blickte Anna sich um.

Der Hügel war kein Hügel mehr. Er war ein Krater geworden.

„Da haben wir ja noch einmal Glück gehabt“, sagte Gerlinde, und stand auf. Sie streckte ihre Hand Anna entgegen, und sagte: „Na, heute waren wir beide aber wirklich gefallene Mädchen!“

Anna nahm Gerlindes Hand, und ließ sich von ihr hochziehen.

Ihre Augen begegneten sich. Augen, die wortlos miteinander sprachen. Sprachen von Dankbarkeit und Solidarität, erfüllt von Trauer und Resignation.

Wenn ich dir doch nur helfen könnte, Anna, dachte Gerlinde, und wandte ihren Kopf zur Seite. Ich sehe doch, wie sehr du wegen Nora leidest!

Was ist mit ihr, fragte sich Anna? Warum dreht sie ihren Kopf zur Seite? Habe ich ihr weh getan?

„Lass uns zurückfahren“, sagte Gerlinde, und unterdrückte nur mühsam ihre Tränen. „Du hast da noch was zu erledigen!“

„Habe ich“, erwiderte Anna, und überlegte, was sie Nora sagen wollte.

Die drei Männer versuchten vergeblich, gegen die unsichtbare Wand anzurennen.

Blondie war zurückgekehrt, nachdem sie Elvira ein starkes Schlafmittel verabreicht, und sie in ihr Zimmer gebracht hatte. Den anderen Bewohnerinnen des Frauenhauses bat sie, ebenfalls ihre Zimmer aufzusuchen, und dieses nicht zu verlassen. Sie taten es ohne Widerspruch.

„Hoffentlich haben die beiden das rechtzeitig geschafft, und sind gesund und munter. Ich möchte ungern auf meine beste Freundin Anna verzichten“, sagte Blondie, und blickte Nora an.

„Sag mal, warum musstest du ihr so weh tun, Nora?“

„Ich bin nun einmal heterosexuell! Ich bin nicht wie.... ihr!“

„Was heißt das, „wie ihr?" Meinst du, weil wir Frauen lieben, ist unsere Liebe weniger wert? Schließlich hast du ja mit einer „von denen“ geschlafen! Hast sie vielleicht gar geliebt!“

Plötzlich hörten beide Frauen Schritte.

Ängstlich blickte Blondie zur Tür, ihre Faust geballt, um, wenn es nötig sein sollte, zuzuschlagen.

Die Tür öffnete sich. Blondie und Nora atmeten erleichtert auf.

Vor ihnen standen, verschmutzt und keuchend, Anna und Gerlinde.

„Wir haben es gerade noch geschafft“, sagte Anna, und Gerlinde fügte hinzu: „ gut, das ich nur die Fahrerin war!“

Nora und Blondie stürzten auf die beiden Neuankömmlinge zu, und umarmten sie. Anna sah, wie froh Nora war, sie lebend wieder zu sehen, und plötzlich kamen die harten Worte, die sie ihr sagen wollte, und die sie während der Fahrt ausformuliert hatte, nicht über ihre Lippen.

„Was machen wir jetzt mit den Jungs“, sagte sie stattdessen, mit einem Blick auf die drei Männer hinter der unsichtbaren Wand?

„Ich denke, wir werden sie der Polizei übergeben müssen“, sagte Blondie.

„Aber nicht, ohne sie vorher etwas zu präparieren“, meinte Anna.

„Und woran denkst du“, fragte Nora?

„Das wir sie erst einmal in Tiefschlaf versetzen, und ihnen dann ihre besonderen Erfahrungen mit uns aus ihrer Erinnerung vertreiben, und dann natürlich, das sie die Gabe des Redens bei

der Polizei und den Gerichten entdecken!“

„Gute Idee“, sagte Gerlinde. „Dann lass uns gleich damit beginnen!“

Drei Stunden später, die Polizei hatte die Attentäter schon längst abgeholt, und ins Frauenhaus war wieder Ruhe eingekehrt, saßen Nora und Anna in Noras Wohnzimmer schweigend gegenüber. Carola, Gerlindes Schülerin, war vor wenigen Minuten gegangen, und nachdem sich Nora überzeugt hatte, wie tief und fest Nadine, Noras Pflegetochter, schlief, saßen beide Frauen schweigend auf der großen Couch.

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Anna“, begann Nora nach einer Weile des Schweigens zu sprechen, „es tut mir alles so leid!“

„Was tut dir leid, Nora? Das ich dich erwischt habe? Das ich dich mit einem Mann tanzen und küssen gesehen habe? Das mir in diesem Augenblick mein Herz rausgerissen wurde?“

Nora blickte Anna an. Tränen rollten über ihre Wangen. Plötzlich begriff sie, was sie Anna durch ihre Heimlichkeiten angetan hatte!

Und für was, dachte sie? Ich habe Arthur uns sie verloren!

„Bedaure dich nur selbst, meine Tochter“, hörte sie die vertraute Stimme der Göttin in sich! „Wir ernten immer das, was wir säen!“

Nora wusste, das die Göttin recht hatte!

Ich habe geschwiegen, wo ich hätte reden sollen, dachte sie. Warum konnte ich nicht Anna gleich zu Beginn meiner Beziehung zu Arthur sagen, das ich mich in ihn verliebt hatte?

„Weil du wusstest, das es ihr weh tun würde“, sagte die Göttin! „Weil du zwischen zwei Stühlen standst, und dich nicht entscheiden konntest zwischen einem „normalen“ Leben an der Seite eines Mannes, und dem nicht gesellschaftlich akzeptiertem Leben als Partnerin einer Frau.“

„Anna“, sagte sie, und ein erneuter Tränenfluss bahnte sich ihren Weg. „Es tut mir so leid, das ich dich verletzt habe! Aber mir ist klar geworden, das ich zwei Menschen gleichzeitig liebe. Ich liebe dich, und ich liebe Arthur!“

„So, Arthur heißt also dein Galan“, erwiderte Anna spöttisch.

„Ja, Arthur! Bei ihm finde ich die Dinge, die ich bei dir nicht finden kann, und bei dir finde ich die Dinge, die er nicht hat!“

„Und, weiß er von mir“, fragte Anna?

„Nein, aber das ist jetzt auch egal! Ich musste mich ihm gegenüber als Hexe outen, weil Hanim ihn töten wollte. Und als er das erfuhr, ist er gegangen!“

„Dann ist ja alles beim alten, oder“, fragte Anna?

„Nein, Anna! Mir ist klar geworden, das ich nicht als Lesbe leben kann, das ich das nicht will! Und egal, was ich auch immer für dich empfinde, ich kann nicht mit dir leben, Anna!“

Wortlos stand Anna auf, und zog sich ihre braune Büffellederjacke an. „Dann ist ja alles gesagt, was zu sagen war“, sagte sie, und verließ Noras Wohnung.

Nora weinte, als sie die Tür hinter sich mit einem lauten Knall zuzog.

Das Essen, das sie sich zubereitet hatte, schmeckte ihr plötzlich nicht mehr, zu sehr dachte Gerlinde an Anna und Nora.

Ob die beiden sich wohl wieder versöhnt haben, dachte sie mit einer Mischung aus Hoffnung und Befürchtung? Sie liebte Anna, und war eifersüchtig auf Nora!

„Werden sie nicht“, hörte sie die vertraute Stimme der Göttin in ihrem Inneren! „Also, worauf wartest du, Gerlinde! Nun ist der Weg für dich frei!“

„Der Weg war nie für mich frei“, sagte Gerlinde. „Nora ist eine Femme, eine Art der Frauen, die Anna, die 150%ige Butch so anziehend findet. In solche Frauen verliebt sich Anna! Nicht in Frauen wie mich die... “- „Wie du früher einmal transsexuell waren“, vollendete die Göttin

Gerlindes Satz. „Ist es das, was du über sie denkst?“

„Es ist das, was Anna denkt. Du hast doch gesehen, wie sie bei Vivien reagiert hatte, als sie erfuhr, das sie ebenfalls transsexuell war! Sie hasst uns, glaube ich!“

„Manchmal hassen wir das, was wir in Wirklichkeit lieben, manchmal aber auch das, was wir nicht verstehen, meine Tochter“, sagte die Göttin. „Gib ihr etwas Zeit, die Dinge klarer zu sehen. Ich bin sicher, bald wird sie mehr über sich und dich wissen und verstehen, auch das,

was sie bisher nicht verstand. Gib ihr Zeit!“

Gerlinde stand von ihrem Küchentisch auf, und räumte das restliche Essen in den Mülleimer. Dann legte sie Teller und Besteck in ihren geöffneten Geschirrspüler, den sie sofort wieder schloss. Tränen rannten plötzlich über ihr Gesicht, und sie flüsterte heiser: „ich liebe sie so!“

„Ich weiß“, antwortete die Göttin. „Meine Tochter, ich weiß es sehr gut!“

Anna hatte Nora verlassen.

Sie ging zum Fahrstuhl, drückte auf den Knopf, der sie nach unten bringen sollte, und stieg, als die Fahrstuhltür sich öffnete, in den Fahrstuhl ein. Eine ältere Frau, die in ihren Händen einen Müllsack hielt, stand neben ihr, und grüßte sie mit einem leichten Nicken, ein Nicken, das sie ebenfalls mit einem Nicken erwiderte.

Die weißen Haare der alten Frau hingen strohig an ihr herunter, ihre Brille war verschmutzt, so das ihre Augen kaum zu sehen waren. Sie war klein, und ihre knochigen, durch Rheuma gezeichneten Hände zeugten von einem langen Leben voll harter Arbeit. Sie trug einen alten braunen Kittel und alte, abgetragene Hausschuhe aus Baumwolle, wie Anna mit einem kurzem Blick feststellte.

„Ich habe in meiner Wohnung aufgeräumt, und allen überflüssigen Ballast rausgeworfen, damit ich wieder Platz für etwas Neues habe“, sagte die alte Frau. „Wir alle sollten das ab und an mal machen!“

Sie hat recht, dachte Anna! Ich sollte einmal bei mir zu Hause alles durchsehen, und das, was ich nicht mehr brauche, wegwerfen.

„Und was ist mit deinem seelischen Ballast, meine Tochter“, hörte sie fragend die Stimme der Göttin in ihrem Inneren? „Was ist mit deinen Gefühlen zu Nora, die von ihr nicht mehr erwidert werden? Willst du um ihre Liebe kämpfen, oder diese Geschichte auf den Müllplatz deiner Erfahrungen legen? Und was ist mit Vivien und Gerlinde? Willst du dich dem stellen, warum du so reagiertst, um dann weiter leben zu können, oder willst du weiter hassen, ohne Sinn und Verstand?“

„Ich hasse doch nicht Gerlinde“, erwiderte Anna in ihren Gedanken. „Und ich hab auch Vivien nie gehasst! Ich habe nur die Unehrlichkeit von Vivien gehasst, weil sie es mir nicht gesagt hatte. Genauso wie bei Gerlinde!“

„Was hättest du getan, wenn Vivien dir gleich zu Beginn gesagt hätte, das sie transsexuell war? Hättest du es dann auch zugelassen, das du dich in sie verliebt hättest?“

Betreten blickte Anna auf den Boden des Fahrstuhls.

Sie kannte die Antwort!

Sie wusste, das sie es nie zugelassen hätte! Sie wusste, das sie Vivien dann nie mehr als Frau hätte sehen können. Vivien Küsse, ihre Umarmungen, ihre Liebkosungen, wären dann plötzlich nicht mehr die küsse, Umarmungen und Liebkosungen einer Frau, sondern die eines Mannes gewesen, weil sie Vivien nie mehr als Frau hätte sehen können!

„Siehst du, meine Tochter“, hörte sie erneut die Stimme der Göttin, „und weil du so denkst, geht die Liebe an dir vorbei!“

„Was soll ich tun“, fragte Anna? „Ich weiß doch nicht, ob Vivien noch immer in dem Hotel ist?“

„Geht es wirklich um Vivien, oder nicht eher um die Liebe“, hörte Anna die Göttin fragen? „Und darum, wer dich liebt, und wen du liebst!“

Nora saß auf ihrem Sofa, und versuchte, in einer Illustrierte zu lesen, um sich abzulenken, was ihr aber nicht gelang. Sie dachte nach! Dachte an ihren Arzt, Dr. Arthur Novak, der sie verlassen hatte, und sie dachte an Anna, die sie so sehr verletzt hatte!

„Warum kann ich mein Liebesleben nicht auf die Reihe kriegen“, fragte sie sich halblaut, und,

da sie keine Antwort erhielt, fügte sie hinzu: „Vermutlich, weil ich allen weh tu, die mir etwas bedeuten!“

„Darf noch eine Prise Selbstmitleid mehr sein“, hörte sie die Stimme der Göttin! „Oder reicht es dir schon, meine Tochter?“

„Ach, du bist es“, erwiderte Nora, und stand auf.

„Wohin willst du gehen?“

„Fort! Ich weiß, das ich alles falsch gemacht habe, und dadurch alles verpatzt habe, also kannst du dir deine Gardinenpredigten sparen!“

„Ich will dir aber keine Gardinenpredigt geben, meine Tochter“, erwiderte die Göttin in einer Stimmlage, die etwas empört klang.

„So, was willst du dann?“

Dir gratulieren!“

Nora drehte sich um, und setzte sich wieder auf ihre Ledercouch.

„Gratulieren? Für was“, fragte sie?

„Dafür, das du nun für dich Klarheit gefunden hast! Du weißt nun, das du nur mit Männern eine Beziehung haben kannst, das ihre Lust und ihr Begehren dir mehr bedeutet, als die Liebe und das Begehren einer Frau!“

„So einfach ist das nicht“, erwiderte Nora!

Betreten blickte sie zu Boden, ihre Füße scharrten auf dem weichen grünen Veloursteppich, und ihre Hände griffen einige der Dinge, die auf dem Tisch lagen: Fernbedienung, Fernsehzeitung, Zigarettenschachtel und Feuerzeug.

Sie war nervös, das spürte sie selbst.

„Es ist nicht so, das ich Anna nicht liebe! Ich liebe sie nur..... anders!“

„Wie „anders?“ Was meinst du damit?

„Eben anders“, erwiderte Nora. Sie konzentrierte sich auf das Portrait ihrer Mutter, das, wie sie nun wusste, von ihrem dämonischen Vater gemacht wurde, einem liebevollen und zärtlichen Mann, der deshalb starb, weil er ihre Mutter und sie beschützte.

„Bei Arthur liebe ich seine Eleganz, seinen guten Geschmack, seine Zurückhaltung, sein Lächeln, seine animalische Lust beim Sex, seine... “- „Und was liebst du an Anna“, meine Tochter“, warf die Göttin fragend ein?

„Was ich an Anna liebe? Ihr Lachen. Wenn sie wütend ist, und dann so guckt, als ob sie dich gleich zerreißen würde, und dich dann umarmt! Wenn sie mich küsst, der Duft ihrer Haut, dieses Verständnis zwischen uns, und natürlich der himmlische Sex, den wir hatten!“

„Und du meinst, weil Anna kein Mann ist, und auch heute noch lesbische Frauen diskriminiert werden, möchtest du lieber normal sein, und mit deinem Doktor Arthur Nowak eine Beziehung haben!“

„Das wird nicht mehr gehen“, erwiderte Nora! „Der Zug ist abgefahren! Seit er weiß, das ich eine Hexe bin, meidet er mich!“

„Und du hast ihn geliebt“, fragte sie die Göttin? „Aber liebte er dich auch? Ist es Liebe, gleich zu verschwinden, wenn man etwas über die Partnerin erfahrt, was neu und vielleicht erschreckend war?“

„Aber ich hätte doch bestimmt im umgekehrtem Fall genauso reagiert“, erwiderte Nora, und fing an zu weinen.

Plötzlich spürte Nora einen warmen Windhauch, der sie umhüllte. Ein unbekanntes Gefühl von Liebe und Wärme durchfloß ihren Körper, und sie fühlte Frieden in sich.

„Sei nicht traurig, meine Tochter! Es wird sich am Ende alles für dich zum Besten wenden!“

Nora spürte, wie ein sanfter Hauch ihre Wange berührte.

„Sei gesegnet, meine Tochter“, sagte die Göttin, und verschwand!

„Das hoffe ich sehr“, erwiderte Nora!“ „Sehr sogar!“

Das Lokal war voller Frauen.

Im Hintergrund spielte eine alte Jukebox einen Song von Elvis, „Love me Tender“. Zärtlich schmiegten sich einige Frauen auf der Tanzfläche im Takt der Musik an ihre Partnerinnen, und obwohl die Luft wie fast jedes Mal dick von all dem vielen Rauch und den Ausdünstungen der Frauen waren, kam Anna doch gerne hier hin.

Sie liebte es, den Frauen beim Tanzen zuzusehen, und genoss es, wenn zwei Frauen ihre Körper im ekstatischem Rhythmus der Musik aneinanderrieben, oder elegant über das Parkett der Bar zu schweben schienen.

„Was willst du trinken, Anna“, fragte sie Jutta, die als Kellnerin arbeitete, und mit der Anna nicht nur die Liebe zu Bier und Dildos teilte.

Anna blickte Jutta an.

Sie war etwas fülliger geworden, seit sie sich das letzte Mal in einem Kino gesehen hatten. Juttas kurz geschnittenen roten Haare umrandeten locker ihr ovales Gesicht, ihre katzenhaft grünen Augen hatten den Glanz vergangener Tage verloren, und ihre vollen Lippen hingen nur so herum.

Sie trug ein schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck der Bar, einer halbnackten Frau, deren Silhouette nur schemenhaft zu erkennen war. Darunter die rote Aufschrift: „ Golden Girl“.

Passend dazu eine schwarze Jeans und ihre obligatorischen Cowgirlstiefel, ohne die sie so gut wie nie das Haus verließ. In der rechten Hand hielt sie ein Tablett aus Holz, von dem eine milchige Flüssigkeit auf dem Boden tropfte.

„Ein Bier und einen kleinen Klaren“, sagte Anna“. „Ich will mich heute besaufen!“

„Liebeskummer“, fragte Jutta mitfühlend?

„Ach, zur Hölle mit allen Weibern!“

„Was ist denn los?“

Die eine verknallt sich in einen Mann, und die andre war früher mal ein Mann!“

„Oh Scheiße“, erwiderte Jutta! „Das ist bestimmt hart für dich!“

„Ja, aber ich liebe Nora immer noch! Warum musste sie sich ausgerechnet in einen Dreibeiner verknallen? War ich ihr nicht gut genug?“

„Ich komm gleich zurück“, sagte Jutta, und verschwand mit dem Tablett, das sie in die linke Hand gelegt hatte.

Wenige Augenblicke später war sie wieder da, auf ihrem Tablett ein schäumendes Bier und ein kleines Glas mit Annas Lieblingskorn aus der untergegangenen DDR.

„Nun erzähl mal alles der Reihe nach“, sagte Jutta.

Und Anna erzählte.

Sie erzählte von Nora, die sie so enttäuscht hatte. Und von Vivien, die sie mit ihrem Bekenntnis, transsexuell gewesen zu sein, überraschte, und, was sie, nachdem sie Gerlinde kennen gelernt hatte, nicht für möglich hielt, in ihrem Innersten verletzte.

Jutta hörte schweigend zu, warf hier und dort eine Frage ein, und als Anna geendet hatte, sagte sie: „Und was gedenkst du jetzt zu tun? Ich meine, du kennst doch die goldene Lesbenregel, die besagt, das wir uns nie mit einer Hetera einlassen sollten, weil das nur ärger und Verdruß bringt! Und nach allem, was du mir von ihr erzählt hattest, ist sie wirklich ne Hete! Eine Hete, die nicht umpolbar ist!“

Sie blickte Anna an, die einen tiefen Schluck aus ihrem Bierglas nahm, und dabei in die Runde der tanzenden Frauen blickte.

„Andere Mütter haben auch schöne Töchter“, sagte sie zu Anna. „Hauptsache ist doch, es ist die Richtige!“

„Ach, laß mich doch in Ruh“, sagte Anna, und stieß Jutta leicht an. „Ich hab erst einmal die Nase voll!“

„So sieht man sich wieder“, hörte Anna plötzlich eine leicht rauchige Stimme, die ihr seltsam vertraut vorkam. Sie drehte sich um, und blickte in das Gesicht von...  Vivien!

Sie sah etwas fülliger aus, als sie Vivien das letzte mal in der Lobby des Hotels gesehen hatte.

Doch sie hatte nichts von ihrer Ausstrahlung verloren. Ihre langen, flammend roten Haare hatte sie kunstvoll zu einem Kranz geflochten. Und erfreut stellte Anna fest, das sie auch mit dem Make-up etwas sparsamer als beim letzen Mal war. Sie trug einen enganliegenden Overall mit Tigermuster, über deren Muster sie mit ihren rotlackierten spitzen Fingernägel spielerisch hin und her wanderte. Ihre Beine hatte sie in lange Stiefel gesteckt, die ihre Beine fast bedeckten.

Für einen Augenblick dachte sie, das ihr Herz stehen bleiben würde.

„Was willst du hier“, begann Anna! „Willst du dich über mich lustig machen?“

„Stell dir vor, Anna, für manche Menschen bist du nicht der Nabel der Welt! Manche Menschen können auch ohne eine Frau leben, deren Gefühl von den Chromosomen abhängt!“

„Ist sie das“, fragte Jutta, und blickte Vvien abschätzig an. „Ich weiß nicht, was du an der findest, Anna!“

„Ja, Anna“, nahm Vivien Juttas Bemerkung auf, „Was findest, du an mir? Wie hast du mich gesehen, bevor du von meiner Vergangenheit wußtest?“

„Ich habe dich als Frau gesehen, Vvien“, sagte Anna nach kurzem Zögern. „Und deine Transsexualität war auch nicht das Problem, sondern, das du es mir verschwiegen hattest!“

„Wollten wie ein Paar werden, oder waren wir so eng befreundet, das du ein Anrecht darauf hattest, es zu erfahren? Nein, du warst an mir interessiert, mehr nicht!“

Vivien beugte sich zu Anna hinunter, so das sie einen Einblick auf Viviens wohlgeformte festen Brüste bekam, einen Einblick, der ihren Blutdruck in die Höhe schnellen ließ.

Hatte sie recht, überlegte Anna? War ich wirklich nur an ihr für ein schnelles Abenteuer interessiert, weil es schon damals mit Nora nicht so gut lief? Hab ich ihr nicht auch etwas verschwiegen, nämlich, das ich mit Nora zusammen war, als wir uns kennen lernten? Hab ich das Recht, auf sie böse zu sein?

Eine Frau, Mitte vierzig, also im besten Butchalter, kam auf Vivien zu, umarmte und küsste sie, und sagte: „Bist du bald fertig, Mäuschen?“

„Ja gleich, mein Bärchen“, erwiderte Vivien so zärtlich zu dieser Butch, das es Anna einen Stich durchs Herz versetzte.

„Ist das deine Partnerin“; fragte sie Vivien, die wortlos den Kopf schüttelte?

Was geht dich das an, Anna“, erwiderte die Butch?

Galant nahm die Butch Vivien in ihre Arme, küsste sie zärtlich, und führte sie von Anna fort. Anna blickte ihnen nach, und plötzlich fühlte sie sich so alleine. Sie sah nicht, wie Vivien sich umdrehte, und verstohlen eine Träne aus ihrem rechten Auge fiel. „Ich liebe dich, Anna“, flüsterte sie kaum merklich, und verschwand in der Menge.

„Ach, kümmere dich doch nicht um die Transe“, erwiderte Jutta! „Es gibt noch genug andere Frauen, die als Frauen geboren wurden, und die viel besser als die aussehen!“

„Du hast wie immer recht“, sagte Anna, und stand auf. „Zur Hölle mit allen heterosexuellen und nachgemachten Weibern“, schrie sie.

 

 

Gerlindes Hand zitterte, als sie die weiße Altarkerze anzündete.

Ihre Knie schmerzten, und der leicht süßliche Duft von „Don’t forget“- Weihrauch umnebelte ihre Sinne. Sie nahm die Althalme, das magische Ritualmesser mit beidseitig geschärfter Klinge, in ihre linke Hand, und legte diese diagonal auf die rechte Seite. Sie streckte ihren linken Arm nach unten auf den Boden ihres Wohnzimmers,, und zog den magischen Kreis, der diesen Ort vor dem Rest der Welt schützen würde.

Sie wandte sich nach Osten, hob die Althalme in die Höhe, und sagte: „Wächterin des Ostens, Beschützerin der Frauenmacht! Innana, Geridwhen, Astarte, und Ishtar. Ich rufe euch um Hilfe an“.

Ihr Körper drehte sich gen Süden, und sie rief, indem ihre Hand ebenfalls mit der Althalme nach oben gestreckt war: „Königin des Lichts, Wächterin der Bäume und der Tiere. Gaja,

Freya, Nut und Aradia. Hört meine Bitte um Hilfe!“

Dann drehte sie sich in Richtung Westen. „Herrin der Dunkelheit, Beschützerin des Lebens, Wächterin über die Frauenrechte! Artemis, Hera, Hekate und Persephone. Ich flehe euch an,

Helft mir!“

Als sie sich in Richtung Norden umdrehte, umwehte sie ein eisiger Wind. Ein Wind, der zu ihr zu sprechen schien.

„Hab Geduld, meine Tochter“, hörte sie eine Stimme in sich. „Nur noch ein wenig Geduld!“

Ein unbeschreibliches Gefühl von Liebe und Zärtlichkeit umhüllte sie. Ihr Atem wurde ruhiger, ihre Hand zitterte nicht mehr.

Sie wusste, das alles in den Händen der Göttin lag!

 

 

 

 

Ende

 

 

 

 

 

 

Wird Hanis erneut versuchen, Doktor Nowak zu töten, oder wird er sich ein anderes Opfer aussuchen?

Werden die drei Hexen Hanis für immer besiegen können?

Wird Nora sich doch noch besinnen, und zu Anna zurückkehren?

Wird das Geheimnis um Vivien, und ihren Auftrag, Gerlinde und Anna zusammenzufügen, endlich gelüftet?

Wie wird Doktor Nowak damit umgehen, dass Nora eine Hexe ist?

Was verbindet Carola Finke mit Gerlinde?

Wenn Ihr auf diese Fragen eine Antwort sucht, dann verpasst nicht das furiose Finale der

Macht der drei Hexen“!

Anmelden