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Der Lichtschein, der in der Höhle schien, war schwer zu erkennen. Die Kälte der Höhle, für Menschen schwer zu ertragen, war genau richtig für einen Dämonen wie Hanim. Und der fluchte, denn sein letzter Versuch, diesen Doktor zu töten, wurde von der Hexe vereitelt.

„Wenn ich ihn nicht kriegen kann“, sagte er, und seine Stimme erbebte, wie das Brüllen eines hungrigen Löwen:, „dann werde ich mir eben ihre Pflegetochter schnappen, und sie als Geisel nehmen, solange, bis sie der Macht der drei Hexen abgeschworen hat!“

Aber ich werde Hilfe brauchen, überlegte er. Hilfe, die diese drei Hexen nicht kennen. Hilfe von einer Frau, die selbst einmal für das Gute kämpfte, bis sie auf meine Seite übergewechselt war.

Ein leichter Wind drang in die Höhle, und wehte seinen weiten, schwarzen Umhang ein wenig in die Höhe. Hanim zog die Kapuze seines Mantels von seinem Kopf, und blickte sich um.
„Jochita“, brüllte er.
„Du hast mich gerufen, Meister“, ertönte wie aus dem Nichts kommend eine Stimme.
Eine Frau erschien, gehüllt in einem schwarzen Umhang, und auf dem Kopf ein überdimensionaler Hut, der die Form einer Schildkröte hatte. Sie war groß, schlank, mit schwarzen, kurzen Haaren und einem Gesicht, dem jedes Lebewesen sofort vertraut hätte, so unschuldig, ja fast kindlich sah es aus.
„Ich habe eine Aufgabe für dich“, sagte er.
„Es ist mir eine Ehre, dir dienen zu dürfen, Meister. Sag, was ich tun soll, und es wird schon geschehen sein!“
Hanim hob die Hand.
Nebel kam auf, der sich nach wenigen Augenblicken in der Höhle verflüchtigte.
Jochita sah eine junge Frau und ein Kind, die in einer Wohnung miteinander spielten.
„Das, Jochita, ist eine meiner größten Feindinnen! Eine Hexe, und das da ist ihre Pflegetochter. Du sollst die Tochter für mich stehlen, und hierhin bringen.
Wenn du es schaffst, werde ich dich reich belohnen!“
„Meister, wenn ihr nur mit mir zufrieden seid, ist dies für mich Lohn genug“, sagte sie unterwürfig.
„Dann geh, und mach dich bereit. Sie kennen dich nicht. Überlege dir also, wie du vorgehen willst“.
„Das weiß ich schon, Meister“, sagte Jochita, und verschwand.
„Wollen wir hoffen, dass du es weißt! Denn wenn nicht, werde ich dich vernichten!“

 

Erbarmungslos klingelte der Wecker.
Verschlafen drehte sich Anna in ihrem Bett um, und stieß mit ihrem Fuß gegen den nackten Körper einer anderen Frau, die neben ihr im Bett lag. Anna erschrak sich ein wenig, aber dann kamen die Erinnerungen wieder zu ihr trotz ihres erheblichen Alkoholspiegels zu ihr zurück.
Sie war im „Golden Girls“ gewesen, um ihren Kummer zu ertränken.
Nora hatte sie nicht mehr angerufen, und als sie Nora anrief, und es Nora klar wurde, das sie keinen neuen Auftrag als Hexen hatten, beendete sie abrupt das Gespräch. Und auch Vivien hatte sie nicht wieder gesehen!
Und sie tat das, was sie in solch einer Situation immer tat: sie suchte sich eine Frau für eine Nacht!
Sie hatte Kopfschmerzen, ihr war schwindelig, und sie hatte das Gefühl, als ob ihr Magen sich gleich übergeben müsste.
Die Frau neben ihr räkelte sich wohlig, und erfreut beobachte Anna die katzenhaften Schlafbewegungen ihrer Eroberung.
Sie sah sich diese Frau etwas genauer an.
Sie war groß und üppig, und hatte genau dort Rundungen, wo sie es so sehr liebte. Busen, Po und Hüfte waren ausladend und weiblich. Ihre langen, gewellten schwarzen Haare fielen wie ein sanfter Schleier über ihr rundes Gesicht, das dezent mit etwas Lippenstift, Kajal und Rouge verschönt wurde. Ihre langen Fingernägel hatte sie dunkelrot lackiert, die Farbe, auf die sie, das wusste Anna genau, total abfuhr!
Anna konnte sich nur noch dunkel an den Namen der Frau erinnern. Irgendwie schien es ihr, als ob ihr Name „Rita“ wäre, und sie als Altenpflegerin arbeiten würde.
Die Frau öffnete ihre Augen, Augen voller geheimnisvoller Dunkelheit und Schönheit.
„Du bist auch schon wach, meine nimmersatte Liebhaberin“, fragte sie mit einer Stimme, die Anna sofort daran erinnerte, wie sinnlich die vergangene Nacht war.
Wie zwei Ertrinkende hielten sie einander fest, führten einander von einem Orgasmus zum Nächsten, und doch spürte Anna eine große Leere in sich! Eine Leere, von der sie nicht wusste, woher sie kam.
Nora lag in ihrem Bett, und weinte. Sie hatte die ganze Nacht geweint, und selbst ihre kleine Pflegetochter Nadine, die seit dem Selbstmord ihrer Mutter bei ihr wohnte, konnte sie trösten. Sie fühlte sich einsam und leer, seit sie Arthur Nowak, ihrem Geliebten, gesagt hatte, dass sie eine Hexe war. Sie musste es sagen, um sein Leben zu retten, denn Hanim hatte ihn töten
wollen.
Und er war gegangen. Sie hatte sich in der vergangenen Nacht vergessen, abzuschminken, und so waren die Spuren ihres einens durch die erwischte Wimperntusche und den Make up- Spuren auf ihrem Kissen deutlich zu sehen.
Ihr Blick wanderte dauernd zu dem Telefon, das auf ihrem Nachttisch stand, aber niemand hatte angerufen! Sie rief Anna an,
die kurz angebunden war. Sie rief Doktor Nowak an, aber niemand nahm den Hörer ab. Und sie rief Gerlinde an, die ihr zuhörte, aber ihr auch nicht helfen konnte.
Sie nahm das Buch, das auf ihrem Nachttisch lag, und versuchte zu lesen. Aber sie konnte sich nicht auf die Handlung der romantischen Liebesgeschichte konzentrieren. Zu sehr quälte sie die Erinnerung an die vergangenen Tage!
Ich habe alles vermasselt, dachte sie traurig. Ich habe Arthur und Anna verloren, vermutlich für immer. Und das nur, weil ich niemand verletzen wollte.
„Und weil du Angst vor den Reaktionen von Arthur und Anna hattest“, hörte sie die vertraute Stimme der Göttin in ihrem Ohr.
„Oder willst du das etwa leugnen?“
Wie könnte ich das, überlegte Nora? Ich wollte niemanden weh tun, am allerwenigsten Anna! Und nun habe ich ihr weh getan, ihr quasi das Herz ausgerissen! Ob sie mir je verzeihen wird können? Und Arthur? Wird er mir je verzeihen können, das ich ihm nicht die ganze Wahrheit über mich gesagt hatte?
„Und wirst du dir je einmal nicht selbst leid tun, meine Tochter“, hörte Nora die Stimme der Göttin? „Was geschehen ist, ist geschehen, und nicht zu ändern. Anstatt zurück zu schauen, blick nach vorne! Anstatt hier in deinem Bett zu liegen, und darauf zu warten, dass andere etwas tun, tu lieber selbst etwas! Geh zu Arthur hin, und sage ihm, warum du geschwiegen
hast! Dann geh zu Anna, und sage ihr, was in dir in den letzten Wochen vorging, und warum du ihr Arthur verschwiegen hattest! Und wenn sie dann immer noch schweigen oder böse auf dich sind, dann ist es ihr, und nicht mehr dein Problem!“
Die Tür ihres Schlafzimmers öffnete sich einen Spalt.
Nora sah, wie Nadine vorsichtig zu ihr schaute. Sie hatte, wie sie sehen konnte, ihr langes rosarote Lieblingsnachthemd mit der Didlmaus an. Ihre Füße waren nackt, und in ihrem rechten Arm hielt sie einen kleinen Teddybären aus Plüsch, den sie ihrer Pflegetochter in der letzten Woche geschenkt hatte.
„Na, willst du kuscheln“, fragte sie Nadine, die wortlos nickte?
„Na, dann komm hinein ins Bett, und schließ bitte die Tür, damit es nicht zieht!“
Nadine krabbelte in Noras Bett, nachdem sie die Schlafzimmertür geschlossen hatte, und kuschelte sich an Nora. Nora spürte Nadines Wärme, und die Vertrautheit, die sich zwischen beiden ergeben hatte.
Sie ist wie eine leibliche Tochter für mich, dachte Nora und lächelte. Nein, sie ist meine Tochter!
Und auch Nadine sah sie an. Sie lächelte ebenfalls.

„Heute, Carola, wollen wir mit einem der elementarsten Dinge in der Magie beginnen“, sagte Gerlinde, und blickte Carola, die wie sie am Küchentisch saß und ein Stück Erdbeertorte aß, an. „Mit der Anrufung der Göttin!“
Die kleine Küchenuhr im Zwiebeldesign schlug viermal im melodischen Rhythmus.
Gerlinde nahm sich ein weiteres Stück Erdbeertorte, die sie, seit sie wusste, das sie Diabetes hatte, eigentlich nicht essen durfte, besonders nicht mit der Menge Schlagsahne, die sie auf die Torte gehäuft hatte. Nachdem sie die ersten Bissen zerkaut und heruntergeschluckt hatte, nahm sie aus dem Küchenschrank ein Buch, das von außen schon etwas ramponiert und alt aussah, legte es auf den Tisch, und sagte: „Das ist mein persönliches Buch der Schatten, Carola. Hier habe ich all das aufgeschrieben und festgehalten, was mir während meines Hexenlebens an magischen Rezepten, Ritualen und Anrufungen wichtig war.“
„Sie schlug das Buch auf.
Carola stand auf, ging um den Tisch, und stellte sich neben Gerlinde, so das sie in ihr Buch der Schatten sehen konnte.
Der Text war in einer Sprache geschrieben, die sie nicht verstand, und hatte große Ähnlichkeit mit den Schriftzeichen der alten Ägypter.
„Aber ich kann es nicht lesen“, sagte Carola. „Wie soll ich daraus etwas lernen?“
„Ach ich Dussel“, erwiderte Gerlinde. „Hab ich doch glatt vergessen, den Schutzzauber aufzuheben!“
Sie blickte Carola an.
„Na, weißt du noch, wie ein Schutzzauber aufgehoben wird, Carola?“
„Aber sicher doch“, erwiderte diese, und lächelte wie ein Kind, das in der Schule die Antwort auf die Frage der Lehrerin wusste.
„Man nimmt etwas Weihrauch der Sorte Save and Protect, zünde sie an, so das der Rauch auf das geschützte Objekt fällt, und sagt dann, indem man sich in Richtung Osten dreht: „Was unsichtbar wird sichtbar, was verschwunden erscheint, auf das
die Dinge wieder sind vereint!“ Und dann werden die Schutzgeister der vier Himmelsrichtungen angerufen, und mit der Althalme auf den Gegenstand dreimal geschlagen.“
Grinsend sah Carola Gerlinde an.
„Oder hab ich noch etwas vergessen?“
„Nein, hast du nicht! Alles war perfekt beschrieben! Und weil du das so gut beschrieben hast, darfst du das Ritual auch ausführen.“

Der Verkehr auf der Straße, auf der Nora ihre Pflegetochter zur Schule begleitete, war laut und hektisch. Autos fuhren in rascher Geschwindigkeit an beiden vorbei. Fußgänger liefen, als ob es nichts mehr geben würde, und ein Radfahrer, der verbotenerweise auf dem Gehweg fuhr, hätte Nadine fast angefahren.
Sie blieben stehen.
Kannst du nicht aufpassen, du Hornochse“, rief sie, als der Radfahrer sich entfernen wollte. „Du bist nicht alleine auf der
Welt!“
„Leck mich, Alte“, erwiderte schnodderig der Radfahrer, und fuhr los.
Verdutzt und wütend blickte Nora ihm nach.
„Darf man so etwas sagen, Tante Nora“, fragte Nadine?
Nora blickte sie an.
„Natürlich nicht, Nadine! Aber es gibt Menschen, die keinen Respekt vor anderen Menschen oder anderen Sachen haben. So wie dein Papa, der dir und deiner Mutter so viel Schlimmes angetan hatte!“
Sie stockte.
Das hätte ich nicht sagen sollen, dachte sie, als sie sah, wie Nadines Augen feucht wurden. Sie beugte sich zu Nadine herunter, und drückte sie fest an sich. Sie spürte die Wärme, die von Nadines Körper ausging, und sagte: „Ist ja schon gut, meine Tochter! Wein ruhig. Das tut dir gut!“
„Halten sie nicht den ganzen Verkehr auf“, hörte sie plötzlich eine männliche Stimme hinter ihrem Rücken. „Andere wollen nämlich weiterkommen. Die haben keine Zeit, um ein Päuschen zu machen!“
Nora stand auf, und blickte dem Mann in die Augen.
Er war groß, breit und alt. Ein Großteil seiner Haare fehlten, und sein breites Gesicht blickte sie so mürrisch an, das sie
sagte: „Sehen sie denn nicht, das ich meine Tochter tröste, sie ... Mensch sie!“
Das Gesicht des Mannes wurde etwas freundlicher. „Na, das wusste ich ja nicht“, sagte er, und griff in seine braune Manteltasche. Er holte etwas heraus, und gab es Nora. „Für ihre Tochter“, sagte er. Nora blickte in ihre Hand, und blickte auf zwei kleine rosa Lutscher. „Kinder lieben Süßigkeiten“, sagte der Mann, verneigte sich vor ihr, und ging.
Erst jetzt bemerkte sie Nadines Hand, die sich an ihrer Hand festhielt.
„Na komm“, sagte sie. „Die Schule fängt bald an!“
Nora richtete Nadines roten Wollmantel zurecht, zurrte den schwarzen Schal aus Kaschmirwolle an ihrem kleinen schlanken Körper gerade, und blickte auf Nadines rote Lackschuhe. Sie nahm ihr weißes Stofftaschentuch, spuckte darauf, und wischte elegant die Flecken weg, die sie auf Nadines Schuhen sah.
Dann richtete sie sich auf, und blickte in das Schaufenster eines Lebensmittelgeschäftes. Ein kurzer Blick, hier und da ein leichtes strecken ihres grauen Trenchcoats, und sie fühlte sich bereit, mit ihrer Tochter den Weg zur Schule fortzusetzen.
Wenige Minuten später sah Nora, wie Nadine die Treppe hinaufging, die zum großen Schultor führte.
Als Nadines roter Mantel hinter der Tür verschwunden war, drehte sich Nora um, und ging nach Hause. Sie bemerkte nicht die kaum sichtbare weibliche Gestalt, die ihr hinter einem Baum, der auf dem Schulhof stand, nachblickte.
„Bald bist du reif für den Meister, Hexe“, sagte Jochita leise. Sie löste sich in Luft auf, was niemand bemerkte.
Anna war wütend!
Und wenn sie wütend auf sich, auf Nora oder auf die Welt war, dann schimpfte sie so laut, das selbst ein Berliner Bierkutscher rot geworden wäre.
Diesmal war sie wütend auf Rita, ihrem One Night Stand!
Ihre kurz geschnittenen Haare waren zerwühlt, ihre Jeans zerrissen, und ihr rotes Hemd nicht zugeknöpft.
„Was denkt sich diese Tussi eigentlich, so einfach abzuhauen“, sagte sie, und trat mit ihrem nackten rechten Fuß gegen die Couch. „Wenn hier jemand sich trennt, dann bin ich das!“
Sie schrie vor Schmerz auf.
„Scheiße, tut das weh“, rief sie aus!
Sie warf sich auf ihre Couch, legte die Beine hoch, und rief: „Warum musstest du mich auch verlassen, Nora?“
„Weil sie einen Mann mehr als dich liebt, meine Tochter“, hörte sie die vertraute Stimme der Göttin in ihrem Ohr.
„Und warum ist das so“, fragte Anna? „Weil ich keinen Schwanz habe?“
„Glaubst du, das Nora diese paar Zentimeter wirklich so wichtig wären? Sie hat nur erkannt, dass sie heterosexuell ist, meine Tochter. Sie liebt dich weiterhin, nur nicht so, wie du es gerne möchtest!“
Anna blickte auf den Boden.
„Und warum habe ich in Liebesdingen so ein Pech“, fragte sie? „Zuerst Nora, die ihre Heterosexualität wieder entdeckt, dann Rita, die nur Sex wollte. Und dann auch noch Vivien, die als Mann geboren wurde! Was mache ich bloß falsch?“
„Du suchst eine Beziehung, und lässt mir weder Zeit noch Raum, dir die Frau zu schicken, die zu dir passt“, sagte die Göttin, und Anna schien es, als ob die Stimme der Göttin lächeln würde. „Und die, die zu dir passen könnte, vertreibst du, weil dir etwas an ihnen nicht passt.“
Warum lächelt sie bloß, dachte sie?
Hat sie was vor?
Gibt es vielleicht doch noch eine Frau für mich?
„Du fängst ja schon wieder an“, sagte die Göttin. „Lass doch einfach etwas geschehen! Versuch nicht, etwas erzwingen oder kontrollieren zu wollen! Und du wirst sehen, dass du weißt, wer dich liebt, und wen du liebst! Und sei vor allem offen für die Liebe und die Menschen, die dich lieben, meine Tochter!“

Die altersschwache Schulglocke bimmelte erbarmungswürdig.
Ein Pulk von Kindern stürmte schreiend und johlend durch die große Eingangstür der Schule. Einige liefen langsamer, andere so schnell, das sie hinzufallen drohten.
Nadine kam mit einem jungen Mädchen in ihrem Alter durch die Tür. Sie lächelte, und drückte das fremde Mädchen, offenbar eine Klassenkameradin, an sich.
„Dann bis morgen Nachmittag, Janina“, sagte sie. „Tante Nora, hat mir versprochen, das wir alle in den Zoo gehen werden!“
„Und, ist sie nett, deine Pflegemutter“, fragte Janina? Sie steckte ihre Hände in den weiten Popelinemantel, und holte ein Kaugummi hervor, das sie in der Mitte durchbrach und eine Hälfte in ihren Mund steckte. Die andere Hälfte reichte sie ihrer Freundin.
„Danke“, sagte Nadine, und sah, wie ihre Freundin grinste.
Nadine blickte in die graublauen Augen ihrer Freundin, die gerade mit ihren blonden Locken spielte, die sie um den Zeigefinger ihrer rechten Hand drehte.
„Sie ist echt toll“, erwiderte Nadine! „ Und sie spielt mit mir, liest mir vor, und sie sagt sogar, das sie mich so liebt, als ob ich ihre Tochter wäre.“
Langsam gingen beide Mädchen die Treppen hinunter.
„Bist du Nadine, die kleine Pflegetochter von meiner besten Freundin Nora“, hörten beide plötzlich eine Stimme fragen?
Nadine drehte sich um.
Rechts, nur wenige Schritte neben ihr, stand eine junge, mittelgroße Frau, mit langen blonden Haaren, blauen Augen und einer Stupsnase, auf die jeder Schönheitschirurg sofort neidisch geworden wäre. Ihre perfekt manikürten Fingernägel waren knallrot lackiert, und ein Geruch nach Moschus umwehte ihre schlanke Gestalt. Sie trug einen leichten brauen Sommermantel aus Kunstfasern, und flache, schwarze Schuhe, die sehr kostbar aussahen.
„Ja, das bin ich“, erwiderte Nadine, und lächelte die ihr fremde Frau an.
„Das ist gut, meine Kleine“, erwiderte die Frau. „Denn deine Pflegemutter schickt mich. Sie ist verhindert, und kann dich nicht abholen. Darum hat sie mich geschickt, damit ich das tun kann“.
Nadine blickte die ihr fremde Frau an.
Sie sah vertrauensvoll und hübsch aus, und für einen Augenblick glaubte Nadine, das die fremde Frau ihrer Pflegemutter etwas ähnlich war.
„Kann Nadine erst einmal ihre Mutter anrufen, ob das stimmt, was sie sagen“, warf Nadines Freundin fragend ein?
Die Augen der fremden Frau blitzten rötlich auf. Sie umfasste Nadines linken Arm und drückte ihn fest zu. Nadine schrie schmerzhaft auf.
„Du kommst jetzt mit, du kleine Göre“, sagte sie, öffnete ihren Mantel, und umhüllte Nadine damit. Rauch stieg auf, und beide verwanden. Staunend blieb Nadines Freundin Janina zurück, und nach einem kurzen Augenblick der Erstarrung schrie sie.
„Was schreist du so, Janina“, fragte eine Frau mittleren Alters, die gerade durch das Schultor ging? Ihr ovales, ungeschminktes Gesicht wirkte streng, ein Zustand, der durch ihre langen, zu einem Kranz zusammen geflochtenen braunen Haare noch verstärkt wurde. Sie trug einen beigefarbenen Hosenanzug aus Baumwolle, dazu eine Bluse im klassischen Weiß.
Ihre ebenfalls weißen Pumps gingen mit schnellen Schritten auf Janina zu.
„Also, warum schreist du so, Janina?“
„Ssssssie ist weg“, erwiderte Janina stotternd.
„Wer?“
„Nadine“, erwiderte Janina.
„Aber das kann doch nicht sein! Vor wenigen Augenblicken hat sie doch meine Schulklasse verlassen!“
„Ja, und dann kam die fremde Frau, und hat gesagt, das Nadines Mutter sie geschickt hat, um sie abzuholen. Und dann wurden die Augen der Frau rot, und Nadine verschwand plötzlich in dem Mantel mit der fremden Frau, Frau Köhler!“
„Du redest Unsinn, Janina“, sagte die Lehrerin!
„Aber es stimmt! Ich lüge nicht“, sagte Janina empört!
„Alle Kinder lügen“, erwiderte ihre Lehrerin. „Und nun halte mich mit deinen Lügen nicht auf, und geh nach Hause!“
Sie drehte sich um, und ging durch die breite Schultür. Janina blieb ratlos zurück.
„Niemand glaubt mir! Niemand glaubt einem Kind“, sagte sie, und fing an zu weinen.
Nora spürte eine innere Unruhe in sich, als sie ihre Wohnung verließ, um ihre Pflegetochter von der Schule abzuholen. Etwas war passiert, das spürte sie genau! Etwas, was schlimm war.
Nadine, durchzuckte sie ein Gedanke
Ihre Füße bewegten sich schneller.
Sie lief, lief, als ob sie um ihr eigenes Leben laufen würde.
Sie achtete nicht auf die roten Ampeln, die sie mahnten, stehen zu bleiben. Achtete nicht auf die vielen Menschen, die sie anrempelte, und sie sie fluchend und schimpfend mit Kommentaren bedachten. Sie wollte nur schnell in der Schule ihrer Pflegetochter ankommen!
Dann, die Zeit schien ihr wie eine Ewigkeit, stand sie vor dem gußeisenem breiten Schultor. Der Schulhof schien leer zu sein.
Nur vereinzelt standen Schüler aller Altersklassen herum, und redeten. Sie blickte sich um, aber sie konnte Nadine nicht entdecken.
Auf der Treppe, die zum Schulgebäude führte, sah sie Janina, eine der Schulfreundinnen ihrer
Tochter, zusammengekauert und weinend sitzen.
Sie ging auf Janina zu.
„Janina, weißt du, wo meine Tochter ist“, fragte sie die kauernde Gestalt?
Janina schrie auf.
„Was ist mit dir? Wo ist Nadine“, schrie nun auch Nora? Sie beugte sich zu Janina, faßte sie an beiden Armen, und schüttelte sie. „Wo ist meine Tochter“, schrie sie?
„Eine fremde Frau kam, und sagte, dass sie Nadine abholen sollte. Nadine wollte nicht, und da nahm die Frau sie in ihren Mantel, und plötzlich waren sie weg! Sie waren beide weg!“
Ein erneuter Tränenstoß kam aus Janinas Augen. „Sie waren einfach weg!“
Hier ist Magie im Spiel, überlegte Nora blitzschnell! Ein Dämon hat meine Tochter entführt!
Sie ließ Janina los, und richtete sich auf.
Dann griff sie in die rechte Seitentasche ihres roten Wollmantels, den sie in der Zwischenzeit angezogen hatte, und wählte eine Nummer. Das Freizeichen ertönte. Jemand nahm den Hörer ab, und sprach. Nora sagte: „Anna, ruf bitte Gerlinde und ihre Schülerin an. Ein Dämon hat meine Tochter entführt!“
Anna legte den Hörer ihres Telefons in die Gabel.
Jetzt braucht sie mich, dachte sie verbittert!
Seit dem Fall mit dem Frauenhaus hatte sie mich gemieden! Wie die Pest gemieden, seid ich das mit ihr und ihrem Doktor herausgefunden habe! Und jetzt, da ihre Tochter verschwunden ist, erinnert sie sich wieder daran, das sie mich kennt, und das Gerlinde, sie und ich die Macht der Drei sind! Am liebsten würde ich....
„... ihr helfen wollen“, hörte sie die Stimme der Göttin in ihrem Ohr. „Anna, sie braucht dich, und zwar nicht nur wegen ihrer Tochter! Und du brauchst sie auch, Anna! Du brauchst sie, um ihr und dir selbst zu verzeihen!“
„Habe ich sie oder hat sie mich betrogen“, schrie Anna wütend aus jeder Faser ihres Körpers heraus? „Wenn hier jemand um Verzeihung bitten muss, dann sie mich, und nicht ich sie!“
„Und was ist mit dem, was Du im Frauenhaus zu ihr gesagt hast? Wo du ihre Gefühle verletzt hattest, nur, weil du dich selbst verletzt fühltest? Und was ist mit all den Augenblicken, wo du sie nicht geachtet, sondern als Selbstverständlichkeit angesehen hattest? Sie ist eine heterosexuelle Frau, Anna! Sie liebt dich! Ja! Aber sie konnte damit nicht umgehen! Und deshalb ging sie zu dem zurück, was ihr vertraut war. Und das sind nun einmal Männer!“
Tränen flossen aus Annas Augen.
„Aber ich liebe sie nun einmal, verdammt noch mal!“
„Wer liebt, wer wahrhaft liebt, muss einen Menschen auch gehen lassen können, Anna! Und wer wahrhaft liebt, muss auch verzeihen können!“
Ich hasse es, wenn sie recht hat, dachte Anna grimmig!
Sie nahm ihren Telefonhörer in die rechte Hand, und mit dem linken Zeigefinger wählte sie die Rufnummer Gerlindes an.
„Gerlinde, es gibt Arbeit für uns“, sagte sie in den Hörer, nachdem sich ihre Mithexe gemeldet hatte. „Ein Dämon hat Noras Pflegetochter entführt, und wir sollen uns bei ihr treffen. Bitte bring deine Elevin und das Buch der Schatten mit. Ich vermute, das Hanim dahinter steckt!“
„Bist du sicher“, hörte Anna Gerlindes Stimme fragen?
„Ziemlich sicher! Er ist der einzigste Dämon, der es immer auf uns abgesehen hatte. Manchmal scheint es mir, als ob er etwas gegen uns hätte“.
Sie lachte ironisch auf.
„Gut, wir werden da sein“, sagte Gerlinde.
Anna legte den Hörer wieder in die Gabel zurück.
„Hanim, wenn du dahinter steckst, wird es das letzte Verbrechen sein, was du in deiner Existenz getan hast“, sagte sie grimmig.
Sie ging aus dem Wohnzimmer in ihr Schlafzimmer, und öffnete ihren breiten Kleiderschrank aus lasiertem Nussbaum.
Was soll ich bloß anziehen, überlegte sie?
Nach wenigen Minuten hatte sie ihre Kleidung ausgewählt.
Eine blaue, leicht verwaschene Jeans, ein weites Herrenhemd in beige, und ihre heissgeliebte, ihr Glück bringende Lederweste. Dazu braune Socken und schwarze Halbschuhe, die, wie sie wusste, sie beim Laufen nicht drücken werden.
Sie zog ihren blauen Trainingsanzug aus, den sie als Hauskleidung angezogen hatte, und warf beides auf ihr Bett. Dann zog sie die ausgesuchte Bekleidung an und rief ihre Schülerin Carola an.
„Kannst du schnell kommen, Carola, es ist ein Notfall“, sagte sie in die Sprechmuschel.
Eine halbe Stunde später war Carola da.
„Was ist los, Gerlinde“, fragte sie, nachdem sie ihren Mantel auf den stummen Diener gehängt hatte?
„Es gibt Arbeit für Nora, Anna und mich, Carola! Und auch für dich, wenn du willst!“
„Um was geht es“, fragte Carola, während Gerlinde den Telefonhörer in die Gabel legte?
„Um Hanim, der, wie Anna vermutet, Noras kleine Pflegetochter, Nadine, entführt hat!“
„Also sollen wir Nadine suchen und befreien?“
„Ja! Und wir sollten bei der Gelegenheit auch Hanim vernichten! Langsam geht er mir auf die Nerven!“
„Dann lass uns gehen, Gerlinde!“
„Aber nicht bevor ich nicht das Buch der Schatten herausgeholt habe, das mir die Göttin in Verwahrung gab. Geh Du schon einmal ins Bad, und richte dich her. Ich hole das Buch in der Zwischenzeit.“
Carola ging in Gerlindes Badezimmer, und blickte in den großen, mit Blattgold umrandeten Spiegel.
Ich sehe echt toll aus, dachte sie und lächelte ihr Spiegelbild an!
Und das stimmte!
Ihre Jeans saßen eng an ihrem Körper, ohne irgendwie provozierend zu wirken. Ihre weite rote Bluse verdeckte die Stellen an ihrem Körper, die sie verdecken wollte, und die Cowgirlstiefel aus rot gefärbtem Rindsleder mit kurzem Absatz schien perfekt zu passen.
Sie band ihre langen, gewellten rotgefärbten Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen, überprüfte kurz ihr Make up, und ging zu Gerlinde zurück, die auf der breiten Ledercouch saß, vor ihr das Buch der Schatten der Göttin, das sie aufgeschlagen hatte.
„Hast du was gefunden“, fragte sie?
„Nein, ich bin noch am suchen“, erwiderte Gerlinde.
„Und wonach suchst du?“
„Nach einen Zauber, um Hanim ein für allemal zu erledigen!“
„Aber ist es nicht wichtiger, zuerst Nadine zu finden und zu befreien?“
„Nadine zu finden ist leicht! Dazu brauchen wir nur ein Pendel und eine Landkarte, wenn sie auf diesem Planeten versteckt wird. Wenn Hanim sie in seinem Reich hat, wird es schon etwas schwieriger. Dann brauchen wir Hilfe von der Göttin. Und um sie zu befreien, brauchen wir ja etwas Wirksames gegen Hanim! Denn was ihn zerstört, zerstört auch jeden anderen Dämon!“
Sie schloss das Buch der Schatten.
Gerlinde stand auf, und legte das geschlossene Buch der Schatten auf den breiten Wohnzimmertisch, der vor ihr stand. Dann ging sie in ihr Badezimmer. Auch sie blickte in den Spiegel.
Aber was sie dort sah, gefiel ihr überhaupt nicht!
Ihre Jeans war zu eng, ihr Hemd zu weit, und ihre schwarzen Pumps zu alt.
Ich muss mich umziehen, dachte sie, und ging in ihr Schlafzimmer.
Dort wählte sie aus ihrem Kleiderschrank eine alte Jeans aus, etwas fleckig, die aber passte, und ihr Luft zum Atmen gab.
Dazu noch eine rote Bluse aus Baumwolle und schwarze Halbschuhe mit passenden schwarzen Socken. Schnell zog sie sich um, und ging ins Wohnzimmer zurück, wo sie Carola sah, die wie gebannt auf das Buch der Schatten starrte.
„Das Buch beißt nicht“, sagte sie zu ihrer Schülerin. „Aber es ist nur für Nora, Anna und mich bestimmt. Also fass es lieber nicht an! Vor allem, öffne es nicht!“
Sie ging zu einem kleinen Wohnzimmerschrank aus Eiche, und öffnete ihn. Sie holte eine schwarze Umhängetasche heraus, in das sie das Buch der Schatten steckte.
„Wir können gehen“, sagte sie zu Carola. Diese nickte.
Beide Frauen gingen in den Flur von Gerlindes geräumiger Wohnung, und holten sich ihre, auf einem stummen Diener befindliche Mäntel. Carola zog ihren grauen Wollmantel, und Gerlinde ihren roten Mantel aus einem Synthetik- Baumwollgemisch an. Dann verließen sie mit schnellen Schritten Gerlindes Wohnung, um zu Nora zu gelangen, die sehnsuchtsvoll auf sie wartete.
Nadine fröstelte.
Die Frau, die sie in diesen dunklen Umhang gesteckt hatte, mit der sie verschwand, hatte ihr den roten Mantel abgenommen.
„Warte hier, bis ich wieder zu dir komme“, sagte sie. „ Und beweg dich nicht!“
Sie hatte sich bewegt, und wollte fliehen. Dabei wurde sie von drei grimmig aussehenden Männern und der Frau gefangen, die ihr den Mantel wegnahm, und sie durch die Männer fesseln ließ.
Die Lederstriemen fraßen sich in ihre Haut und schmerzten sie.
Sie stöhnte auf.
„Ja, stöhn du nur, meine Kleine“, hörte sie die Stimme ihrer Entführerin, die sie aber nicht sah, trotz all ihren Anstrengungen.
“Wenn wir mit deiner Pflegemutter und ihren Freundinnen fertig sein werden, wirst du froh sein, einen schnellen Tod zu
finden!“
Die Worte ihrer Entführerin machte Nadine angst, und sie wimmerte.
„Du bist der Köder, mehr nicht“, sagte die Entführerin Jochita.
Dann sah Nadine sie.
Ihre Augen glühten rot auf, und sie lächelte.
„Bitte Mama, hilf mir“, flüsterte Nadine leise.

„Und, hast du schon herausgefunden, wo der Dämon meine Tochter versteckt hatte?“
Nora ging in ihrer Wohnung auf und ab. Anna hatte auf dem breiten Wohnzimmertisch eine Landkarte von Deutschland ausgebreitet, und hielt in ihrer rechten Hand einen Faden, an dessen Ende ein eclypseförmiges Pendel hing, dessen Spitze auf die Karte deutete.
Das Pendel bewegte sich. Zuerst in weiten Umkreisungen, dann zogen sich die Kreise immer enger, bis sie sich auf ein Gebiet eingependelt hatte.
„Sie ist in Mecklenburg- Vorpommern“, sagte sie. „Irgendwo in der Nähe von Rügen!“
„Auch das noch! Wieder MäckPomm“, sagte Nora.
Sie erinnerte sich nur zu gut an ein Erlebnis vor einigen Monaten, wo drei Dämonen, darunter ihr Exgeliebter Nick, sie entführten, und in eine Höhle schleppten, wo sie erreichen wollten, das sie der Magie und der Macht der drei Hexen abschwören sollten.
Nur mit knapper Not, und mit Hilfe einer anderen Hexe, die dort als Vogel nach ihrem Tod lebte, konnten sie sich retten!
Und das Erstaunliche war, das dieser Vogel die Großmutter von Gerlinde war.
Und da erfuhr ich, dachte sie, das mein Vater ein Dämon war! Ich habe bis jetzt niemand davon erzählt! Ich habe ja gesehen, wie
Anna reagierte, als Gerlinde uns sagte, das sie früher mal ein Mann war
! Wie würde sie wohl reagieren, wenn sie erfahren würde, das meine Mutter mit dem Feind paktierte, sie, die früher auch zur Macht der Drei gehörte, und ihre Liebe zu meinem Vater mit dem Leben bezahlte?
Sie würde nicht verstehen!
Sie würde nicht verstehen, dass mein eigener Dämonenvater versuchte, meine Mutter und mich zu schützen, und deshalb starb.
Ihre Augen wanderten zu Anna, die ihren eigenen Gedanken nachzuhängen schien.
Und auch Gerlindes Gedanken schienen ganz wo anders zu sein, trotz des Buches der Schatten, das aufgeschlagen in ihrem Schoß lag.
„Woran denkt ihr“, fragte sie?
„An unser Erlebnis in der Nacht der Dämonen“, erwiderte Anna.

„An meine Großmutter“, sagte Gerlinde, und Nora sah, wie eine Träne aus Gerlindes Augen floss, die diese sich heimlich wegwischte.
„Dann denken wir alle an denselben Tag“, sagte Nora.
Sie setzte sich neben Gerlinde auf die Couch und fragte: „Schon einen passenden Zauberspruch gefunden?“
Irritiert blickte sie Gerlinde an.
„Nnnein, aber ich habe noch nicht lange gesucht!“
„Dann beeil dich ein wenig“, warf Anna ein. „Wir müssen Noras Pflegetochter befreien!“
Annas Stimme klang verbittert, und Nora zuckte zusammen.
Auch Carola, die gerade aus der Küche mit einer Kanne duftenden Kaffee kam, hatte mitbekommen, das etwas zwischen Nora und Anna war, das sie nicht einordnen konnte.
„Sagt mal, was ist eigentlich mit euch los? Anstatt der Kleinen zu helfen, hüllt ihr euch in Schweigen und giftigen Anspielungen. Meint ihr, ich hätte nicht gemerkt, dass mit euch beiden, mit die Anna und dir Nora etwas los ist! Für wie blöd haltet ihr mich?“
„Darauf erwartest du doch jetzt keine Antwort“, sagte Anna in einem zynischen Unterton, so das Gerlinde zischte: „Lass meine Schülerin in Ruhe, Anna! Wenn dein Liebesleben katastrophal ist, gib nicht anderen die Schuld daran!“
„Ach ja, wie will denn eine Transsexuelle wissen, wie mein Liebesleben ist?“
„Nun ist aber Schluss“, schrie Nora!
Sie stand auf, und ging auf Anna zu. Breitbeinig, wie eine Amazonenkönigin stand sie vor ihrer ehemaligen Geliebten.
„Anna, ich liebe dich! Aber nicht so, wie du es gerne möchtest! Ich liebe nun einmal einen Mann! Einen guten Mann! Es ist egal, das er nicht damit umgehen kann, das ich eine Hexe bin, denn es ändert nichts daran, dass ich ihn liebe. Es tut mir sehr Leid, das wir uns zueinander hingezogen fühlten, und wir was miteinander hatten, und nun auseinander sind! Aber wir haben eine Aufgabe! Die Göttin hat uns zusammengerufen, damit wir Frauen in Not helfen. Und meine Pflegetochter ist in Not! Und was Gerlinde und ihre Transsexualität angeht, meinst du nicht, dass sie uns mehr als einmal gezeigt hat, dass sie eine Frau ist? Also lass sie in Ruhe!“
„Whow, hier ist ja allerhand los gewesen“, warf Carola ein, und setzte sich zu ihrer Lehrmeisterin Gerlinde.
„Bist du fertig“, sagte Anna, und blickte Nora fragend an. Diese nickte.
„Dann werde ich dir einmal etwas sagen, junge Frau von Heterohausen! Du liebst mich, sagtest du? Da gebe ich dir Recht, ich habe deine Liebe oft gespürt! Und ich meine das nicht nur körperlich! Du willst einen Mann, ja? Soll ich mich für dich umoperieren lassen? Sag es, und ich mach es für dich!“
„So sehr liebst du mich also, dass du das tun würdest“, fragte Nora.
Anna nickte.
„Und das, trotz allem, was ich dir angetan habe, als du erfuhrst, was ich mit Arthur getan hatte?“
Anna nickte erneut, und Nora sah, wie sie weinte. Dieses stolze, eigensinnige Butch weinte!
„Komm“, sagte sie, und nahm Anna in ihre Arme. Anna schmiegte sich fest an sie.
Gerlinde stand auf, und ging auf beide Frauen zu.
Anna, ich liebe dich auch, dachte sie. Wie sehr, das wirst du hoffentlich nie erfahren!
Seit ihrer ersten Begegnung in dem Wald, wo die Göttin sie alle drei zusammengeführt hatte, liebte sie Anna. Aber sie wusste, dass für diese Liebe es nie eine Hoffnung geben würde, seit sie sah, wie Anna darauf reagiert hatte, als sie ihr und
Nora erzählte, das sie transsexuell war.
Wortlos umarmte sie Anna und Nora.
Nach einer Weile sagte sie: „He, wir sind die Macht der Drei, und sind nicht hier um Kaffee zu trinken, sondern einem bedrängtem Kind zu helfen, wieder frei zu bekommen, und einigen Dämonen kräftig in den Hintern zu treten!“
„Du hast ja Recht“ sagte Anna! „Und entschuldige bitte mein Verhalten eben, ja!“
„Wir sind alle mal neben der Spur“, sagte Gerlinde. Sie setzte sich erneut hin, und blätterte im Buch der Schatten.
„Wegen mir brauchst du dich nicht umoperieren zu lassen, Anna“, sagte Nora.
„Ich weiß“, erwiderte Anna, und setzte sich an den Wohnzimmertisch, wo sie auf einen Zettel den genauen Aufenthaltsort von Nadine aufschrieb.
„Ich weiß ja, wie sehr du mich liebst, Anna, aber ich kann diese Liebe nicht mehr in dem Maße wie früher erwidern.“
„Ich weiß“, erwiderte Anna kaum hörbar durch ihre brüchige, durch leise Tränen verursachte Stimme.
„Scheiße, warum muss Liebe nur so kompliziert sein“, sagte Nora.
„Damit das Leben immer schön aufregend ist, “ warf Carola ein!
„Ich hab was gefunden“, schrie plötzlich Gerlinde! „Und dabei könnte ich schwören, dass es vorher noch nie im Buch der Schatten stand!“
Sie stand auf, und ging mit dem Buch der Schatten zu dem breiten Wohnzimmertisch, wo sie das Buch geöffnet hinlegte.
Anna, Nora, und auch Carola, die inzwischen aufgestanden war, sahen sich an, was in dem Buch stand.
„Das Rezept können wir hier herstellen“, sagte Nora. „Alle Zutaten habe ich im Haus. Und der Spruch ist relativ leicht zu merken!“
„Ich schreibe ihn sicherheitshalber auf, falls wir ihn vergessen sollten“, sagte Gerlinde. Und Anna nickte.
„Dann hole ich in der Zwischenzeit unser Wohnmobil“, sagte Nora.
Zwei Stunden später fuhr ein Wohnmobil, bestückt mit einem gut durch Magie gesichertes Buch der Schatten und drei zu allem entschlossenen Hexen, mit einem „Azubi“ in Richtung Mecklenburg- Vorpommern auf der Autobahn.
Es sah so aus, als ob Anna auf dem Beifahrersitz des Wohnmobils schlafen würde. Aber sie schlief nicht, ihre Augen waren nur geschlossen.
Sie dachte nach.
Sie dachte an all die Erinnerungen, die ihr in dieser Höhle in Mecklenburg- Vorpommern wieder ins Gedächtnis gerufen wurden. Erinnerungen an ihre Kindheit, die sie seit langem glaubte, vergessen zu haben.
Sie dachte an ihren Vater, der sie vergewaltigt hatte, als sie noch ein Kind war, und an den Mann, der manchmal dabei war.

Bin ich deshalb eine Lesbe geworden, fragte sie sich? Habe ich deshalb eine Butch sein wollen, weil ich keine Frau sein wollte?
Habe ich deshalb alle transsexuellen Frauen gehasst, weil ich dachte, das die Männer so in unsere Räume eindringen wollten?
Ich habe Gerlinde dadurch Unrecht getan. Sie hat bewiesen, dass sie wie eine Frau denkt und handelt. Nicht wie eine heterosexuelle Frau, sondern wie eine selbstbewusste Frau
!
So, wie auch Nora eine selbstbewusste Frau ist!
Und das, trotzdem sie einen Mann liebt!
Nora!
Ich werde dich immer lieben! Und ich hoffe, das ich eines Tages über den Schmerz wegkomme, das wir nie wirklich ein Paar waren und werden konnten.

Gerlinde saß mit Carola im hinteren Teil des Wohnmobils auf einer Bank. Das Buch der Schatten lag aufgeklappt auf dem Tisch, daneben zwei Colas in schlanken, milchigen Gläsern.
„Wie waren deine Eltern so“, fragte Gerlinde ihre Schülerin?
„Meinst du meine wirklichen Eltern, oder meine Mutter und ihr neuer Lover, meinen Stiefvater?“
„Beides“, erwiderte Gerlinde. Eine Seite von ihr schien an Carolas Ausführungen interessiert zu sein, doch ein anderer Teil war weit weg von ihr.
In wenigen Stunden werden wir versuchen, Noras Kleine zu retten, und einen Dämonen zu vernichten, dachte sie, und Angst stieg in ihr hoch. Eine Angst, die sie beruhigte.
Nur wer keine Angst verspürt, ist ein Dummkopf, und lebt nicht lange, hatte einmal einer meiner Ausbilder beim Geheimdienst gesagt, erinnerte sie sich. Denn er wird keine Fehler machen, die sein Leben gefährden! Und ich habe keine Lust zu sterben!
„Also, mein richtiger Vater war bei den Mormonen, wie wir alle. Ein richtiges besserwisserisches Arschloch! Er hat meiner Mutter und mir immer vorschreiben wollen, was wir tun oder lassen sollen. „Rebecca“, hat er immer zu meiner Mutter gesagt, „Ich trage das Priestertum Gottes, und ich habe hier zu sagen, was läuft“. Aber meine Großmutter war genauso schlimm. Dauernd wollte sie, das ich heirate, und dauernd hatte sie Angst, das in unserer Familie durch ihren ersten Mann, über den niemand reden durfte, Homosexualität oder Transsexualität oder etwas Ähnliches in unsere Familie kommen würde.“
Carola griff nach ihrem Glas, aus dem sie hastig einige kurze Schluck trank, setzte das Glas ab, und sagte: „Tja, Großmutter Domenica war schon ne komische Type!“
„Was hast du eben gesagt“, fragte Gerlinde?
„Das meine Großmutter ne komische Type war“, erwiderte Carola.
„Nein, ich meine, wie hieß sie?“
„Domenica“.
„Und wie mit Nachnamen?“ Gerlinde spürte, wie es in ihr plötzlich heiß wurde, und Schweißperlen ihre Stirn herunter liefen.
Das kann doch nicht sein, überlegte sie. Das ist doch unmöglich das...
„Mit Mädchennamen hieß sie Kropp, und dann Kinkel, und bis kurz vor ihrem Tod vor zwei Jahren Jochensen“.
Nein, das gibt es nicht! Das kann nicht sein! Carola ist meine... „...Enkelin“, hörte sie in ihrem Ohr die vertraute Stimme der
Göttin ihren Satz vollenden.
„Und du hast es gewusst“, formte Gerlinde in ihrem Innersten einen Satz, den sie an die Göttin richtete, und nur von ihr verstanden werden konnte?
„Aber natürlich, meine Liebe! Ich wusste, das du ihr eine gute Lehrerin sein würdest, und das es ihr wichtig war, ihren
Großvater, über den niemand in der Familie ihrer Mutter reden durfte, kennen zu lernen.“
„Aber wie soll ich es ihr sagen? Wie soll ich ihr sagen, das ihr Großvater nun ihre Großmutter und ihre Lehrerin ist? Wenn ich es ihr sage, würde sie mich genauso verlassen, wie der Rest meiner Familie!“ Tränen rollten über Gerlindes Gesicht.
„Das muss nicht geschehen, meine Tochter“!
„Warum weinst du, Gerlinde“, fragte Carola?
„Erinnerungen aus einem früheren Leben“, erwiderte Gerlinde.
Verstohlen wischte sich Gerlinde die Tränen mit einem Papiertaschentuch fort, räusperte sich, und sagte: „ Und wie war deine Großmutter so drauf?“
„Sie war sehr auf Männer fixiert, und besonders was diese Geschlechtsrollen anbetrifft. Ihre Männer mussten extrem männlich sein, so als Ernährer der Familie und Haupt derselben eben. Meine Mutter hatte sich in der Schule einmal in eine Klassenkameradin verliebt, und da hat meine Großmutter sie so lange geschlagen, bis meine Mutter ihr versprach, nur noch Männer zu lieben!“
„Ist ja echt krass gewesen, deine Oma“, sagte Anna! „Und hat deine Mutter sich daran gehalten?“
„Ja und nein“, erwiderte Carola. „Sie hat einen Mann geheiratet, aber ihre wahre Liebe galt immer ihren Freundinnen, auch wenn sie sich das selbst nie eingestanden hätte!“
„Und du, wen liebst du“, fragte Gerlinde?
„Ich liebe einen Menschen, nicht ein Geschlecht! Technisch gesehen macht mich das wohl zur Bisexuellen. Ich hatte auch
Erfahrungen mit einigen Frauen, aber immer, wenn ich mit ihnen zusammen war, sehnte ich mich nach einem Schwanz. Und war ich mit einem Mann zusammen, sehnte ich mich nach einer Möse! Anscheinend ist meine wahre Liebe immer nur die Sehnsucht gewesen!“
Wir sind gleich am Zielort angekommen“, sagte Nora, die am Steuer des Wohnmobils saß. „Macht euch fertig, und denkt daran, dass es um meine Tochter geht!“
„Sie kommen“, sagte Jochita, und blickte ihren Herrn und Meister Hanim an.
Der lächelte.
„Ich weiß, ich spüre sie auch!“
Sein Blick wanderte zu Nadine, die gefesselt in einer Ecke der Höhle kauerte, und leise vor sich hin wimmerte.
„Bald wird es diese Hexen nicht mehr geben! Bald wird meine Rache vollendet sein! Bald wird meine Nichte, die es gewagt hatte, wie ihre Mutter eine Hexe zu werden, obwohl ihr Vater, mein Bruder, ein Dämon wie ich war. Wenn sie ihn nicht dazu gebracht hätte, ihm zu helfen, würde mein Bruder noch leben und mit mir herrschen!“
„Meister, ist diese Nora deine Nichte?“
„Ja!“
„Wollt ihr sie deshalb vernichten?“
„Ja, denn sie und ihre Mutter sind schuld daran, das ich meinen Bruder töten musste! Und dafür soll sie büßen! Die Mutter habe ich schon getötet, aber ich musste erst warten, bis die Tochter eine Hexe wurde, damit ich sie töten kann! Denn nur so bekomme ich ihre Macht!“
Er drehte sich zu Jochita, und sagte: „Ist alles vorbereitet?“
„Ja, Meister. Alles ist so vorbereitet, wie du es wolltest!“
„Dann geh, und lass mich allein!“
Mit einer leichten Verbeugung in Richtung ihres Meisters drehte sich Jochita um, und verließ die Höhle.
Hanim ging mit langsamen, gemessenen Schritten auf Nadine zu, und grinste. Seine Augen leuchteten in einem glühendem Rot auf, und er sagte: „Mein kleines Zicklein, deine Rolle hast du bald zu Ende gespielt. Aber bevor du stirbst, soll deine Pflegemutter noch sehen, wie du stirbst. Sie wird dir nicht helfen können, und das wird ihr Herz zerbrechen lassen! Und dann, werde ich ihr anbieten, zu mir, ihrem lieben Onkel zu kommen! Und wenn sie das tut, wird es
keine Macht der drei Hexen mehr geben, und ich werde alleine die Macht haben! Und wenn sie nicht darauf eingeht, wird sie sterben, so grausam sterben, wie du! Du siehst also, kleines Zicklein, ich kann nicht verlieren!“
Carola, Gerlinde, Anna und Nora waren aus dem Wohnmobil ausgestiegen. Jede der Frauen hatte in ihren Jackentaschen den Zauberspruch bei sich, den Gerlinde aus dem Buch der Schatten abgeschrieben hatte, sowie einige kleine Flaschen, die mit unterschiedlichen Inkredenzien gefüllt waren.
„Wir müssen jetzt diesen Weg steil nach oben gehen, dann sehen wir eine Felsformation mit vier Höhleneingängen“, sagte Nora, die eine Landkarte geöffnet in ihren Händen hielt. „Eine davon ist der Eingang, den wir benutzen müssen. Welcher, das versuche ich noch herauszufinden“.
„Na, dann mach mal“, erwiderte Anna ungeduldig. „Ich mag die Gegend hier nicht, und will so schnell wie möglich fort von hier!“
Sie gingen los.
Der Weg war holprig und uneben, und Nora konnte sehen, das sie auf einem Trampelpfad gingen, der mindestens schon seine hundert Jahre auf dem Buckel hatte.
Carola drehte sich um.
Sie hatte ein Geräusch gehört, ein Geräusch, das sie nicht einordnen konnte.
Ein leises, ein klagendes Geräusch, das von weit her zu kommen schien.
„Habt ihr das auch gehört“, fragte sie die anderen Frauen?
„Was“, erwiderte Gerlinde?
„Na, da Geräusch eben!“
„Welches Geräusch“, fragte Anna?
„Na, das von eben! Das, was wie ein leises Wimmern klang!“
„Ich hab nichts gehört“, erwiderte Anna. „Und ich habe Ohren wie ein Luchs! Wenn ich nichts höre, dann war da auch nichts!“
Ja, spinne ich denn, dachte Carola! Ich höre das Geräusch wieder!
Sie drehte sich erneut nach allen Seiten um, konnte aber nichts entdecken.
Plötzlich hörte sie das Schlagen von Vogelflügen, das ihr aus ihrem letzten Urlaub an der Nordsee so vertraut war, als Möwen über ihr hinweg flogen. Sie blickte in den Himmel, wo ein einsamer Habicht seine Kreise zog, nach unten stürzte, und Carola sah, wie sich Gerlinde erstaunt umdrehte, und „Großmutter“ rief.
Und plötzlich erinnerte sie sich an ihre erste Begegnung mit dem Vogel, der sie alle gerettet hatte, als drei Dämonen
Gerlinde, Anna und Nora vernichten wollten.
Der Vogel stürzte auf Gerlinde zu, drosselte seine Geschwindigkeit, und landete sanft auf der ausgestreckten Hand Gerlindes, die mit ihrer rechten Hand liebevoll den Habicht streichelte.
„Ich freue mich so sehr, dich wieder zu sehen, Großmutter“, sagte Gerlinde zu dem Vogel. In knappen Worten erzählte sie
ihrer Großmutter, warum sie hier waren, während sie den Weg weiter gingen, der nun etwas steiler wurde.
Gerlinde sah, wie ihre Großmutter sie bat, sie auf den Boden zu legen, was diese auch sofort tat. Rauch stieg plötzlich aus der Erde auf, und Gerlindes Großmutter mit ihren langen weißen Haaren stand vor ihnen.
„Schwestern der Göttin“, begann sie, „Ich habe gesehen, wie ein weiblicher Dämon ein kleines verängstigtes Mädchen, das aus einer Höhle flüchten wollte, wieder eingefangen hatte. Ich kann euch zeigen, wo sie verschwunden war!“
Sie deutete auf einen kleinen Felsvorsprung am hinteren Ende, nicht weit von einem einsamen Leuchtturm entfernt.
„Dort sind sie verschwunden, Schwestern!“
„Danke, das du hier bist, Schwester“, erwiderte Nora! „Sie hat meine Pflegetochter Nadine gefangen, und ich möchte dich fragen, ob du uns helfen kannst, herauszufinden, wo meine Tochter steckt!“
„Ich darf nicht in das Reich der Dämonen gehen“, erwiderte Gerlindes Großmutter. „Aber ich kann euch hier draußen helfen!
Ich rufe die Tiere des nahen Waldes und die Vögel, die hier leben. Vielleicht können sie euch helfen?“
„Danke Schwester“, erwiderte Nora. „Tu es bitte rasch! Wir wissen nicht, wie viel Zeit wir noch haben!“
 
Doktor Arthur Novak lag nackt in seinem Bett.
Er wollte schlafen, denn morgen Vormittag hatte er eine sehr komplizierte Operation vor sich. Frau Hänselers Zähne mussten neu implantiert werden, und er wusste, wie sehr er den Schlaf bei dieser anstrengenden und dauernd nörgelnden Patientin brauchte.
Aber er konnte nicht schlafen.
Er dachte an Nora, die er kennen gelernt hatte, und in die er sich verliebt hatte. Und zu der er, seit langer Zeit, Vertrauen gefasst hatte.
Sie hatte ihm gesagt, dass sie eine Hexe wäre, und er war fortgelaufen.
Doktor Arthur Nowak schämte sich dafür!
Er nahm den Hörer seines Telfons in seine linke Hand, und wählte mit dem rechten Zeigefinger Noras Nummer.
Ein leises Piepen ertönte. Dann noch eines, dann ein Drittes, und schließlich ein viertes Piepen.
„Halli, Hallo, wir sind nicht hier“, hörte er die vertraute und geliebte Stimme Noras auf ihrem Anrufbeantworter. „Aber wenn sie mir ihre Nummer, ihren Namen und eine kurze Nachricht hinterlassen, rufe ich sie sofort zurück!“
Mein Gott, durchfloss ihn plötzlich ein Gedanke. Was sag ich ihr bloß? Wie sag ich es ihr bloß?
Die Sekunden schienen wie Stunden an ihm vorbei zu laufen, und es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er in die
Sprechmuschel stammelte: „Wir müssen reden, Nora“. Er legte sofort auf.

„Wo bleibt deine Großmutter nur so lange“, fragte Anna nörgelnd? „Das dauert ja ne Ewigkeit, bis sie kommt!“
„Sie braucht halt Zeit, die Truppen zu rufen, sagte Carola, und sah, das Gerlinde etwas Ähnliches zu Anna sagen wollte.
Es ist schon merkwürdig, wie gut wir uns verstehen, Gerlinde und ich, dachte sie! So, wie zwei eineiige Zwillinge!
Sie hörte, wieder dieses Geräusch, und blickte in den Himmel, wo sie Gerlindes Großmutter fliegend ankommen sah.
Sie verwandelte sich wieder in ein Lebewesen mit menschlicher Hülle, kaum, dass sie den Boden berührt hatte.
„Und, wann kommt denn die Kavallerie“, fragte Anna ungeduldig?
„Niemand kommt“, sagte Gerlindes Großmutter. „Alle haben Angst, denn hier wohnt Hanim, ein mächtiger Dämon!“
„Also doch“, kam es aus den Mündern Gerlindes und Noras fast gleichzeitig. Und Nora fügte fragend hinzu: „Bist du sicher?“
„Absolut!“
„Gut, dann lass uns Hanim und seiner Brut einen kleinen Besuch abstatten!“
Nora spürte, wie der Zorn in ihr hochstieg, etwas, was Gerlinde und Anna bemerkten.
„Nora“, sagte Anna“, vergiss nicht, das in deinem Herzen kein Hass sein darf, denn Hanim wird durch deinen Hass nur noch
mächtiger!“
„Und wir wollen nicht auf unsere Schwester verzichten“, sagte Gerlinde! Und auch Nadine braucht dich!“
Carola stolperte.
„Scheiße, ich hab mir weh getan“, sagte sie.
„Ist es schlimm“, fragte Gerlinde?
„Nicht so schlimm, das ich darauf verzichten würde, einem Dämon in den Hintern zu treten“, erwiderte sie. „Außerdem will ich
meine kleine Lieblingsnadine da rausholen!“
Nora grinste.
„Dann komm“, sagte sie. „Aber halt dich zurück! Du hast noch nicht so viel Erfahrung wie wir!“
„Ja, Mama“, erwiderte Carola, und grinste ebenfalls.
Nora ging voran, gefolgt von Carola und Anna. Gerlinde ging neben ihrer Großmutter, und sagte: „Weißt du, das diese junge
Frau“, sie deutete auf Carola, die gerade zu ihr rüber sah und ihr zuwinkte, „das sie meine Enkelin ist?“
„Ich weiß es, schon an dem Tag, als ich euch beiden zum ersten Mal sah! Sie wird den Weg der Göttin weitergehen, und
eine starke Frau werden, noch viel stärker, als du und ich zusammen je hätten werden können!“
Sie blickte Gerlinde an.
„Weiß sie, dass du ihr Großvater und ihre Großmutter gleichzeitig bist?“
Gerlinde verneinte.
„Dann sag es ihr, meine Tochter! Sag es ihr, denn sie hat ein Recht darauf, es zu erfahren! Und sag es ihr, bevor ihr in die
Höhle geht!“
„Warum?“
Weil niemand weiß, ob du noch eine zweite Chance dazu haben wirst!“
„Du macht mir aber echt Mut dazu“, erwiderte Gerlinde, und grinste.
„Also gut, ich werde es ihr sofort sagen“, sagte sie, und entfernte sich von ihrer Großmutter, die ihr nachrief: „Möge die
Göttin dich segnen! Möge die Göttin euch alle segnen!“
Dann verwandelte sie sich wieder in einen Habicht, und flog in den Himmel hinauf. Gerlinde hörte noch, wie ihre Großmutter ein Lied zu singen schien, eine Weise, die ihr seltsam vertraut vorkam.
Dann ging sie zu ihrer Enkelin.
„Du bist was“, fragten Nora, Anna und Carola wie im Chor?
„Carolas Großmutter und auch ihr Großvater“.
Gerlinde hatte ihrer Enkelin gesagt, wer sie war! Ungläubig sah sie ihre Enkelin an, und sagte: „Also, wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, dann bist du der Vater meiner Mutter, über den niemand in der Familie reden durfte. Niemand reden durfte, weil du zur Frau geworden bist!“
„Genau!“
„Aber warum nicht?“
„Weil bei den Mormonen neben Homosexualität auch Transsexualität ein Tabuthema ist! Weil meine Exfrau, deine Großmutter sich wegen mir schämte, und diese Scham auch auf meine Tochter, deine Mutter, übertrug! Es war leichter zu ertragen für sie, wenn sie sich vorstellten, das ich tot wäre, das ich nicht mehr existieren würde, als das sie sich hätten damit auseinander setzen wollen!“
„Ist ja echt krass“, sagte Carola!
„Ach, jetzt versteh ich langsam“, sagte Nora. „Deshalb habt ihr euch gefunden! Die Göttin wusste von Anfang an, das ihr eine Familie seid!“
„Und da es eine gute alte magische Tradition ist“, vollendete Anna Noras Gedanken, „das eine Generation die Magie von der anderen Generation lernt, musstest du, Gerlinde, die Lehrerin deiner Enkelin werden.“
„Ich bin schon so lange eine Hexe“, erwiderte Gerlinde, „aber die Göttin schafft es immer wieder, mich aufs Neue zu überraschen.“
Sie waren angekommen.
Der Eingang zur Höhle war eng und ließ es nur zu, das eine Person auf einmal durch diese enge Ritze schlüpfen konnte.
„Flasche Nummer eins“, flüsterte Nora, und jede der Frauen holte eine kleine Flasche mit einer gelblich-grünen Flüssigkeit aus ihren Taschen hervor, mit deren Inhalt sie ihr Gesicht und ihren Körper eingerieben hatten, nachdem sie sich aller Kleider entledigt hatten. Gerlinde sprühte, wie die anderen Frauen, von dem restlichen Inhalt der Flaschen noch etwas auf ihre Jacken, Hosen und Schuhe, und danach zogen alle alles wieder an.
„Es fängst schon an zu wirken“, sagte Nora. „Ich spüre schon, wie ich mich langsam unsichtbar mache“.
„Aber wir werden dadurch doch nicht unsichtbar“ erwiderte Anna. „Wir werden doch nur für Dämonen unsichtbar. Menschen können uns sehen. Also auch deine Tochter!“
„Hoffentlich wird sie uns nicht verraten“, warf Gerlinde ein. „Kinder können ja manchmal so unvorsichtig sein!“
„Hört, hört, die Erziehungsexpertin spricht“, sagte Anna.
Gerlinde streckte ihr die Zunge heraus.
„Alles bereit“, fragte Nora?
Alle nickten.
„Dann kann es ja losgehen“, erwiderte Nora, und zwängte sich als Erste durch den schmalen Schlitz des Höhleneingangs durch.
Wenige Augenblicke später folgten ihr die anderen Frauen.
 

„Sie sind in der Höhle, Meister, sagte Jochita, die neben Hanim an einer Wand gelehnt stand „Gut, das ihr Wasser aus dem Fluss Oargh am Eingang vergossen hattet, so das wir gewarnt wurden durch die leisen Schreie der Dämonen, die im Fluss Oargh leben!“
„Schreie, die nur wir hören können!“
Hanims Augen glühten, und ein leises Lächeln umspielte seine fast durchsichtigen Gesichtszüge.
„Ja, Meister“, erwiderte Jochita.
„Ist alles vorbereitet?“
„Ja Meister! Alles ist so vorbereitet, wie ihr es wünschtet.“
„Dann kann meine Rache ja beginnen“, sagte er, und öffnete seinen schwarzen Umhang. Er legte seinen Umhang um Jochita, und einen Augenblick später verschwanden beide ins Nichts der Unendlichkeit.
„Meine Güte, stinkt das hier“, sagte Anna leise. „Hier müsste mal jemand dringend lüften!“
„Wie meine Socken, wenn ich sie einen Monat lang tragen würde“, erwiderte Nora, und Gerlinde sagte: „Wollt ihr durch eure Gespräche gleich auffallen?“
„Ist ja gut“, erwiderte Nora. „Frau darf ja wohl noch einen kleinen Spaß machen!“
„Einen Spaß, der uns das Leben kosten kann“, sagte Gerlinde. „Und darauf habe ich keine Lust, gerade, wo ich meine Enkelin wieder gefunden habe“.
Sie lächelte ihre Enkelin Carola an. Ein Gefühl der Wärme umschloss sie. Ein Gefühl, das sie nur einmal erlebt hatte: Als die Göttin sie zum ersten Mal berührte. Es geschah in der Waldlichtung, wo Nora, Anna und sie sich zum ersten Mal trafen, als die Göttin sie zu ihrem Dienst für die Frauen in Deutschland berief.
Carola lächelte zurück.
Ist ja echt krass, dachte sie. Ich habe den Menschen aus unserer Familie gefunden, über dessen Existenz alle schwiegen, und wenn über sie geredet wurde, dann in einem Ton von Abscheu und Hass.
Sie blickte sich in der Höhle um.
Dunkle, stalagnidartige Vorsprünge, deren Alter wohl niemand zu schätzen wusste. An der Decke der Höhle kleine glitzernde Lichter, die sich zu bewegen schienen.
„Hier stimmt was nicht“, flüsterte ihr Gerlinde zu. „Das spüre ich so sicher, wie meinen Hunger auf einen Milchshake mit Bananengeschmack!“
„Was sagst du“, flüsterte fragend Nora?
„Das ich glaube, dass das hier eine Fa...!“
„... lle ist“, horte sie eine dunkle, tönernde Stimme vor ihnen.
Aber nicht nur Gerlinde und Carola hörten diese Stimme. Auch Anna und Nora vernahmen diese Stimme. Eine Stimme, die ihnen vertraut war.
Die Stimme Hanims, des Dämons der Finsternis!
Plötzlich wurde der Raum erhellt.
Nora schrie erstickt auf.
Vor ihr stand ihre Pflegetochter, gefesselt und geknebelt, und von einer giftigen Kobra bewacht. Neben ihr stand eine Frau mit einem kindlichem Gesicht und schwarzen, sehr kurzen Haaren, schlank und in einem schwarzen Kleid gehüllt, dass mehr zeigte, als es verhüllte.
In ihrer Hand hielt sie eine Athame mit einem Drachenkopf und eine kleine Flasche, in der eine rote Flüssigkeit steckte.
Mit einem Griff öffnete sie die Flasche, hob die Athame, und sage: „Werdet sichtbar“! Sie warf die geöffnete Flache in die
Richtung der vier Frauen, die sofort auch für rotglühende Dämonenaugen sichtbar wurden.
„Willkommen in meinem Reich“, hörten sie erneut eine Stimme, die diesmal von hinten zu kommen schien.
Die Frauen drehten sich um, und sahen ihren Feind!
Hanim!
„Ich freue mich, euch alle hier in meiner bescheidenen Behausung begrüßen zu können“, sagte Hanim, und konnte in seiner
Stimme seinen Triumph nur mühsam unterdrücken. Schon viel zu lange hatte es gedauert, bis alle drei Hexen in seiner
Gewalt waren!
Nora wollte sich bewegen, doch sie konnte es nicht, als sie auf den Boden blickte. Ein Pentagramm, mit dem Kopf nach unten, dem Zeichen des Fluches hinderte sie daran. Aber nicht, weil sie es nicht konnte, sondern, weil sie wusste, das sie das
Pentagramm nicht verlassen konnte, es sei denn, Hanim würde es erlauben.
Sie erbleichte.
Scheiße, wir sitzen alle in der Falle, dachte sie! Niemand von uns kann hinaustreten!
Noras Blicke trafen sich mit den Augen Annas, die das Pentagramm auch bemerkt hatte.
„Und was willst du von uns“, fragte Anna? „Möchtest du, dass wir dich sofort killen, oder müssen wir erst noch deine Rede ertragen?“
Hanim lächelte spöttisch.

„Immer noch die gleiche freche Göre, als die mein Diener dich beschrieben hatte. Ach, du kennst ihn nicht? Aber sicher kennst du ihn! Es war dein eigener Stiefvater, den deine Mutter getötet hatte, weil er eine Schwäche für kleine Mädchen, besonders für kleine Hexen, hatte!“
Er kam auf Anna zu, berührte ihre Haare, und sagte lächelnd: „Gefällt es dir, die Tochter einer Mörderin zu sein?“
„Jetzt, da ich weiß, wen meine Mutter getötet hat, möchte ich vor Freude am liebsten jubilieren!“
Sie spuckte Hanim ins Gesicht, dessen Augen rot erglühten.
„Lass das Anna“, sagte Gerlinde! „Durch deinen Hass wird er nur noch stärker! Denk daran, das ROT“ immer gewinnt!“
Rot gewinnt? Was soll das, dachten Anna und Nora fast gleichzeitig?
Fragend blickten sie Gerlinde an?
„Tja, ich liebe halt alles was rot ist! Besonders DUNKELROTE FLASCHEN, die meist voller Überraschungen stecken“, sagte Gerlinde mit einem Ton, der entschuldigend klingen sollte, es aber nicht war. Sie wollte beide Frauen auf den nächsten Schritt hinweisen!
Jetzt begriffen beide Frauen, und auch Carola verstand, was ihre Großmutter meinte! Die dunkelrote Flüssigkeit in der Flasche, die, wenn sie gemeinsam alle auf Hanim werfen, und einen Zauberspruch aus dem Buch der Schatten aufsagen, den Dämon für immer töten würde!
„Warum hasst du uns eigentlich so sehr“, fragte Carola, um den anderen Frauen genug Zeit zu geben, sich auf den Wurf und den Spruch vorzubereiten?
„Warum ich euch hasse? Weil ihr alle, außer das ihr als Hexen meine Arbeit vernichtet, mir persönlich noch eine Rechnung zu begleichen habt!“
„Eine Rechnung“, fragte Gerlinde, während sie gleichzeitig versuchte, die Flasche mit der dunkelroten Flüssigkeit heimlich aus ihrer Jackentasche zu fischen?
„Ja, eine Rechnung“, erwiderte Hanim!
Er ging auf Nora zu, und blickte ihr tief in die Augen. Nora spürte den unbändigen Hass auf sie, der in dem Dämon zu stecken schien.
„Hast du deinen Freundinnen schon gesagt, wer dein Vater war?“
Nora erschauerte.
Woher weiß der Dämon, das mein Vater ein Dämon war, überlegte sie? Und woher weiß er, das weder Anna noch Gerlinde das wissen dürfen?
„Nun, dann werde ich es ihnen sagen“, sagte Hanim, und blickte in die Gesichter der Hexen.
„Dein Vater, Gorgol, war mein Bruder, mein eigener Bruder, meine liebe Nichte!“
„Mein eigener Bruder, den ich töten musste, weil er sich mit deiner Mutter eingelassen hatte, und sich in sie verliebt hatte!
In eine Hexe! Eine Hexe, die er benutzen sollte, um ihre Macht und die Macht ihrer Göttin zu zerstören! Ich hatte keine andere Wahl, als ihn zu töten! Du bist der lebende Beweis seines Versagens, deshalb hasse ich dich!“
Nora stand regungslos da.
Jetzt wissen es alle, dachte sie! Anna und Gerlinde werden mich verachten, werden nichts mehr mit mir zu tun haben wollen!
„Aber trotzdem ich dich am liebsten töten möchte, bist du doch auch von meinem Blut, Nichte. Deshalb werde ich dich und deine Pflegetochter verschonen, wenn du hier und jetzt den Hexen abschwörst, und mir dienst! Tust du es nicht, wirst du genauso wie alle anderen eines qualvollen Todes sterben!“
Noras Blick ging zu Nadine, ihrer kleinen Pflegetochter, die ängstlich und gefesselt, von einer Kobra und einem weiblichen
Dämon bewacht, sie flehendlich anblickte.
Ich wünschte, ich könnte dir und uns helfen, Nadine, dachte sie! Aber meine Flasche steckt unglücklicherweise in meiner rechten
Jackentasche. Und ich wage es nicht, die Flasche herauszuholen, weil entweder Hanim oder seine Dienerin das sehen könnten.

„Gut, du hast jetzt gesagt, was du gegen Nora und Anna hast“, sagte Carola. „Was ist mit Gerlinde? Was hast du gegen sie?
„Was ich gegen sie habe? Das fragst du noch? Wo du doch die Antwort selbst kennen müsstest, als ihre oder seiner Enkelin?“
„Nee, tut mir echt Leid, aber anscheinend stehe ich total auf der Leitung“, sagte Carola im Brustton der Überzeugung.
„Nun, dann werde ich dich aufklären. Der Vater war nicht nur mein treuester Diener, sondern auch mein bester Freund! Und sie hat ihn getötet!“
„Ja, weil dieses Schwein mich und meine Schwester über Jahre vergewaltigt hatte, und weil mir sein rechtes Gedankengut auf die Nerven ging“, erwiderte Gerlinde.
„Aber was beschwerst du dich darüber“, erwiderte Hanim? Er hat doch nur sein Recht als Vater in Anspruch genommen, so wie es bei den Mormonen oft geschah. Viele meiner Diener sind in Kirchen unterwegs, um gerade den Männern das zu erklären!“
Annas Hand ging langsam in das Innere ihrer Jackentasche, und achtete darauf, dass sie von allen Seiten abgeschirmt war, als sie die Flasche mit der dunkelroten Flüssigkeit ergriff.
Mit zwei kleinen Schritten wechselte sie mit Gerlinde ihre Position, die nun begann, aus ihrer Tasche die Flasche zu holen.
Auch sie bewegte ihre Hand langsam und gleichmäßig, so das niemand sah, was sie tat.
„Kann ich es mir noch überlegen“, fragte Nora?
„Mein Angebot?“
„Ja“!
„Gut, aber überleg nicht zu lange“, erwiderte Hanim.
Gerlinde hatte in ihrer Tasche die Flasche gefunden, und holte sie mit langsamen Bewegungen hervor. Sie steckte sie in ihre Hosentasche, und wechselte mit Nora die Position. Es dauerte nur wenige Augenblicke, Augenblicke die allen Frauen wie eine Ewigkeit vorkam, als auch Nora ihre Flasche in den Händen hielt, die sie in ihrer Jackentasche fest umklammert hielt.
„Nun, genug überlegt“, fragte Hanim?
„Ja, habe ich“, erwiderte Nora und lächelte.
„Und wie ist deine Antwort?“
„Ach, die ist eigentlich ganz einfach!“
„Und wie einfach?“
„So einfach“, sagte Nora, und nahm ihre Flasche mit der dunkelroten Flüssigkeit hervor. „Bei drei“, sagte sie zu ihren Mitschwestern, die wortlos nickten. „Eins, zwei und drei“, zählte Nora, und bei drei warfen alle Frauen gleichzeitig ihre Flaschen auf Hanim, die krachend vor ihm zerbarsten. Ein dunkler Hauch umhüllte ihn, begleitet von einem Gestank, der entfernt an faule Eier erinnerte, ein Hinweis auf hochprozentigem Schwefel, der Bestandteil der Rezeptur war.

Tara mod Dira,
was böse ist, geht,
das Gute bleibt!
Hanim verschwindet
und kehrt nie zurück!
Dreimal wiederholten Nora, Anna und Gerlinde diesen Spruch, während Carola ihr Schutzpentagramm in die Höhe hielt, und rief: „Göttin des Lebens und der Elemente, schütze uns!“
Nora blickte auf ihren Onkel Hanim, der Dämon, der ihren Vater getötet hatte. Er krümmte sich, ebenso diese Frau, die Nadine bewachte, als auch die Kobra, die in den letzten Zuckungen lag.
„Wir können das Pentagramm verlassen! Er ist zu schwach, die Energie dafür aufrecht zu erhalten“, sagte Anna, und stürmte auf Nadine zu, um sie zu befreien.
Es gelang ihr, und mit ihrer Athame befreite sie mit kurzen Schnitten Nadine von ihren Fesseln, und löste ihren Knebel, der in ihrem Mund steckte.
Die dunkelhaarige Frau kam auf sie zu, und sagte: „ Ihr habt meinen Meister verletzt, dafür werdet ihr alle zahlen, Hexen!“
Plötzlich traf sie ein gewaltiger Schlag von hinten, der sie mitten auf den Kopf traf, und den Gerlinde mit einer Ger, einem alten germanischen Wurfspieß, den sie gefunden hatte, ausführte. „Dann fang ich am besten schon einmal an, die Rechnung zu begleichen“, sagte sie, und grinste Anna an, die zurücklächelte.
„Ich liebe deinen Stil“, sagte sie zu ihr!
„Dito“, erwiderte Gerlinde.
Die Frau drehte sich um, und entriss Gerlinde den Wurfspieß, den sie noch in ihrer Hand hielt.
„Stirb, Hexe“, rief sie, und stach auf Gerlinde ein, die sich jedoch mit einer Schnelligkeit, die ihr niemand bei ihrem Körpergewicht zugetraut hätte, zur Seite drehte, und mit einem gezielten Tritt gegen den Hals bei gleichzeitiger Entwendung des Wurfspießes, der Gefahr zu sterben, entledigte.
Sie nahm den Wurfspieß, und stach dem Dämon mitten ins Herz. Voller Schmerz und Wut aufschreiend, zuckte der Körper des Dämons zweimal auf, bis er still liegen blieb.
Der weibliche Dämon war tot!
„Tante, lass mich zu Nora“, sagte Nadine“, und Anna sah, wie Nadine ihre Angst und ihre Tränen nur mühsam beherrschen konnte.
Arme Kleine, dachte sie voller Mitgefühl. So klein, und hast schon so viel mitgemacht! Zuerst einen Vater der dich missbraucht und
an andere Männer verkauft hat, dann eine Mutter, die dich nicht beschützen konnte, und sich aus Kummer und Schuldgefühlen umbrachte, und zu guter letzt ein Dämon, der dich als Lockvogel für deine Pflegemutter benutzte
! Wein nur, Kleine!
Ihre Augen wanderten in dem Raum der Höhle umher, und sie sah, wie Hanim mit letzter Kraft versuchte, sich aufzurichten, und Nora in seine Gewalt zu bekommen, die regungslos vor im stand, und ihn wortlos ansah.
„Pass auf, Nora“, rief sie durch den Raum! „Er will dich gefangen nehmen!“
Wie aus einer Starre erwacht, reagierte Nora plötzlich, und sprang beiseite. Gerade noch rechtzeitig, denn ein Feuerball, den
Hanim auf sie geworfen hatte, verfehlte sie nur knapp!
„Carola, pass bitte auf Nadine auf“, sagte Anna, und drückte ihr Nadines Hand in ihre Handfläche. „Und pass auf, das sie nicht wegläuft!“
„Mach ich“, erwiderte Carola, und drückte Nadine eng an sich.
„Wir müssen ihm den Rest geben“, sagte Anna zu Gerlinde, die wortlos nickte. Beide liefen, gefolgt von Hanims Blitz- und Feuerbällen zu Nora, die hinter einem kleinem Felsvorsprung Deckung gefunden hatte.
„Was machen wir am besten“ fragte Nora, deren Augen zeigten, das sie sich über die Anwesenheit ihrer Mithexen sehr freute? „Nadine ist bei Carola in Sicherheit“, sagte Anna. „Und sowohl die Kobra als auch der weibliche Dämon sind erledigt. Bleibt  nur noch Hanim. Hast du was für ihn in deiner Trickkiste, Gerlinde?“
„Aber natürlich! Nur ist es verdammt gefährlich, ihm das Zeug zu verabreichen, denn er muss es oral bekommen!“
„Wenn es gefährlich ist, dann ist es ein Job für Super-Anna“, erwiderte Anna. „Sag mir nur, was ich beachten muss!“
„Du musst nah genug an ihn heran kommen, das du ihn dieses Zeug hier“, sie holte aus ihrer Jackentasche ein kleines Reagenzglas mit einer gelblich- grün aussehenden Flüssigkeit, „so schnell es geht in seinen Rachen kippen, und dann sofort abhauen, und Deckung suchen!“
„Was ist das?“
„Etwas ähnliches wie Nitroglyzerin, nur viel effektiver und nicht so anfällig!“
„Na, dann Prost Mahlzeit“, erwiderte Anna.
Sie nahm das Reagenzglas aus Gerlindes Hand. Sie spürte, wie ein leises Kribbeln ihren Körper durchfloss, als beide sich berührten, achtete aber nicht sehr darauf.
„Na, willst du mich fangen, Hanim“, rief sie zu dem verdutzten, schwer angeschlagenen, doch immer noch voller schwarzer
Magie steckendem Dämonen zu? „Dann komm, und hol mich! Ich warte, Süßer“, verhöhnte sie ihren Gegner, um ihn zu einer Unvorsichtigkeit zu verleiten.
Aber es gelang ihr nicht!
Hanim war zu klug, zu gerissen, um auf diesen Trick hineinzufallen!
Er stemmte sich auf, geschwächt, wie er war.
„Ihr werdet alle sterben, hört ihr! Ihr werdet alle sterben, Hexen!“
„Wollen wir wetten, das nicht“, sagte Gerlinde aus ihrem sicheren Versteck, um Hanim abzulenken?
„Um einen langsamen Tod für euch, wenn ich euch bekomme!“
„Und wenn nicht? Sind wir dann von deinem Geschwafel auf ewig befreit, Onkelchen“, warf Nora ein, die Gerlindes Taktik durchschaut hatte.
Hanims Augen glühten voller Wut und Hass.
Das ist meine Chance, dachte Anna, und stürmte vor.
Sie lief, so schnell sie konnte, setzte kurz vor Hanim zum Sprung an, denn sie wollte die Flüssigkeit aus dem Reagenzglas im Flug in seinem Mund befördern, so das sie relativ geschützt war.
Hanim drehte sich um, sah sie, brüllte, und warf einen großen Feuerball in Annas Richtung.
„Neiiiiiiiiiiiiin“, rief Gerlinde, sprang hoch, und warf Anna zu Boden, so dass der Feuerball knapp an beiden Frauen vorbei flog. Gerlinde nahm das Reagenzglas aus Annas Hand, die diese noch immer festgeklammert hielt, sprang auf, und stürmte auf Hanim zu, der ihr einen züngelnden Blitzball entgegen warf, den sie nur mit Mühe entkommen konnte.
„Nimm das“, sagte sie, und warf mit einem gezielten Wurf, dem jedem Baseballspieler zur Ehre gereicht hätte, das Reagenzglas in den vor Überraschung weit geöffneten Mund Hanims. Sofort drehte sie sich um, und warf sie auf die immer noch am Boden liegende Anna, als eine Nanosekunde später eine mächtige Detonation den Raum der Höhle erschütterte.
„Schnell raus hier, bevor noch alles zusammenbricht“ rief sie, und half Anna auf. Mir raschen Schritten gelangten alle Frauen ans Tageslicht, bevor hinter ihnen der Eingang zur Höhle durch die Schallwellen der Detonation für immer verschlossen blieb.
Sie hatten es wieder einmal geschafft!

Diesmal fuhr Carola das Wohnmobil.
Während draußen die Nacht hereingebrochen war, und nur vereinzelt Autofahrer auf der Landstraße zu sehen waren, umarmte und tröstete Nora ihre Pflegetochter, die beide auf der Eckbank saßen, und Carola unterhielt sich mit ihrer Großmutter, die ebenfalls dort am anderen Ende des Tisches saß.
Nur Anna war die Einzigste, die still im Beifahrersitz saß, und nachdachte.
Sie hat mir das Leben gerettet! Warum hat sie das getan? Warum hat sie nicht mich machen lassen? Meinte sie, ich schaff das nicht, mit Hanim alleine fertig zu werden?
Ihre Augen wanderten zu Gerlinde, die weinte.
Warum weint sie, dachte Anna? Wir haben Hanim und seine Brut besiegt, Noras Pflegetochter befreit, und sind alle noch am Leben!
Warum zur Hölle weint sie denn
?
„Vielleicht, weil so froh ist, dass alle dieses Abenteuer lebend überstanden hatte“, hörte sie fragend die vertraute Stimme der Göttin in ihrem Ohr?
Anna blickte zu Boden.
„Und wenn ich schon einmal dabei bin, hast du dir einmal darüber Gedanken gemacht, warum sie das getan hatte?“
„Nun, ich nehme an, weil wir drei zusammenarbeiten! Weil wir ein Team sind!“
„Ist das der einzige Grund?“
„Was für einen Grund sollte es sonst noch geben“, erwiderte Anna gedanklich?
„Denk einmal nach, Anna!“
Worüber sollte ich nachdenken, dachte Anna?
Sie schloss ihre Augen.
Und plötzlich, wie aus dem Nichts kamen ihr Erinnerungen ins Gedächtnis, Erinnerungen, die so schon längst vergessen glaubte! Erinnerungen, wie die, als Gerlinde ihr Leben einsetzte, damit sie aus dem Keller eines Zuhälters fliehen konnte, und wo sie zum ersten Mal Gerlinde nicht als Transsexuelle, sondern als Frau, und als vollwertiges Mitglied des Hexenteams ansah!
Sie erinnerte sich daran, wie sie sich manchmal von Gerlinde beobachtet fühlte, und sie mitunter eine Träne in Gerlindes Augen sah, Tränen, die sie verwirrte, und die Gerlinde verstohlen versuchte, aus ihrem Gesicht zu wischen, ohne das andere es merken sollten.
Aber sie hatte es gemerkt!
Und heute, wo sich unsere Hände berührten, und ich dieses Kribbeln kurz verspürte, dachte sie? Da war doch was?
Sollte sie etwa....?
„Ja, meine Tochter, sie ist in dich verliebt. Sie liebt dich, schon seit dem ersten Tag, wo ihr euch getroffen hattet“, sagte die Göttin zu ihr.
„Und ich habe das nicht gemerkt!“
„Aber du hättest es merken können, meine Tochter! Weißt du, warum sie darüber geschwiegen hatte?“
„Ich kann es mir schon denken“, erwiderte Anna, und sie fühlte, wie ein Stich durch ihr Herz ging. „Es liegt an mir und meinen Vorurteilen! Wenn ich allein schon daran denke, wie ich mich ihr gegenüber verhalten hatte, als sie sich uns gegenüber geoutet hatte, möchte ich am liebsten in den Boden versinken!“
„Ein guter Anfang, meine Tochter“, erwiderte die Göttin!
„Aber ich empfinde nichts für sie“, erwiderte Anna laut!
„Was meinst du“, fragte Nora, und Gerlinde zuckte zusammen, so, als ob sie das Gespräch zwischen ihr und der Göttin mitverfolgt hätte?
„Ach nichts“, erwiderte Anna! „Ich hatte nur geträumt“.
„Bist du sicher, dass du nichts für sie empfindest, außer Schwesterlichkeit? Kann es nicht sein, das du dich gegen sie gewehrt hast, weil sie dir zu ähnlich war? Das du, genauso wie bei Vivien, sie deshalb ablehnst, weil sie dir zu ähnlich ist, und du das nicht glaubst ertragen zu können? Das du sie ablehnst, weil sie das ist, was sie ist? Eine Frau mit transsexueller
Vergangenheit! Es gab zwei Frauen, die dich genug lieben, um ihr Leben mit dir verbringen zu wollen, und du lehnst sie ab,
weil sie nicht als Frauen geboren wurden, obwohl du mit ihnen den Frieden hättest finden können, den du immer gesucht
hast?“
Annas Augen blitzten, wie sie es immer tat, wenn sie sich falsch beurteilt oder ungerecht behandelt sah.
„Meinst du, ich wäre intolerant“, schrie sie in das Wohnmobil hinein?
„Was ist los mit dir“, schrie Nora? „Und erzähl mir bloß nicht, das du geträumt hast!“
„Willst du das wirklich wissen, Nora“, fragte Anna ihre ehemalige Geliebte? „Gut, dann werde ich es dir sagen! Ich habe eben
mit der Göttin eine sehr interessante Unterhaltung gehabt! Sie machte mir deutlich, das Gerlinde mich seit langem lieben
würde, und ich diese Liebe nicht zulassen würde, weil ich nur ihre Vergangenheit sehen würde! Ich denke, das sie da
ungerecht ist, deshalb habe ich geschrieen!“
Nora blickte Gerlinde an, die betreten auf den Boden des Wohnmobils blickte.
„Stimmt das, Gerlinde? Liebst du Anna“, fragte sie, woraufhin Gerlinde wortlos nickte.
„Also habe ich mich nicht geirrt“, sagte Nora zu sich selbst!
„Du hast es also auch gewusst, und hieltst es nicht für nötig, es mir zu sagen? Wirklich toll von dir, Nora!“
„Gewusst habe ich es nicht, aber geahnt schon“, erwiderte Nora. „Die Art, wie Gerlinde dich ansah, die Art, wie sie deine Nähe
suchte, und oft versuchte, mäßigend einzugreifen, wenn dein Temperament dich wieder mal ergriffen hatte, und du im
Begriff warst, wieder etwas zu zerstören!“
Nora blickte Gerlinde in die Augen.
„Warum liebst du Anna“, fragte sie Gerlinde
„Zum einen, weil sie eine Butch ist, und ich mich immer in eine Butch verliebte, wenn ich mich als Bisexuelle in eine Frau
verliebte.“
„Warum gerade eine Butch? Warum gerade mich“, fragte Anna?
„Warum eine Butch? Weil gerade maskuline Frauen das Beste aus beiden Welten haben! Sie sind männlich genug, das ich mich bei ihnen geborgen fühle, und weiblich genug, das sie nicht solche Machoarschlöcher wie die Originale sind!“
„Und warum hast du dich ausgerechnet in mich verliebt?“
„Weil ich so vieles an dir sah, was ich liebenswert finde! Deinen Sinn für Humor, deinen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und dein Temperament, das mich an mich in jungen Jahren erinnerte, als ich von den Mormonen ausgeschlossen wurde.“
Gerlinde blickte Anna ins Gesicht.
„Ja, ich liebe dich,. Anna! Ich liebe dich, obwohl ich wusste, dass du diese Liebe nie erwidern würdest! Ich werde mich für meine Liebe weder entschuldigen, noch sie weiter leugnen. Ich bin stolz darauf, die Fähigkeit zu besitzen, zu lieben! Diese, wenn auch unerfüllte Liebe zu dir hat mich reich gemacht!“
Plötzlich kamen Tränen aus Annas Augen.
Göttin, sie liebt mich wirklich, durchzuckte sie ein Gedanke! Sie liebt mich so, wie ich bin! Für sie hätte ich mich nicht ändern brauchen, oder meine magischen Fähigkeiten verleugnen brauchen, wie ich es bei Sabine, meiner Ex tun musste! Und die war trotzdem gegangen, und verließ mich!
„Und sie war die Frau, die ich als Sabines Nachfolgerin geben wollte“, hörte sie erneut die vertraute Stimme der Göttin in ihrem Ohr. „Aber du wolltest sie ja nicht!“
„Wer sagt denn, dass ich das nicht will“, erwiderte Anna trotzig in ihrem Kopf der Göttin?
„Willst du denn?“
„Nun, ich brauche erst einmal Zeit, mich mit der Situation zu beschäftigen. Vielleicht sollten Gerlinde und ich uns erst einmal einfach kennen lernen, um zu sehen, ob und wie weit wir miteinander harmonieren? Vielleicht wird ja mehr daraus?“
„Nun, dann scheinst du doch klüger zu sein, als ich gedacht habe“, erwiderte die Göttin!
Anna ging zu Gerlinde hinüber, die sie ansah. Ihre Tränen rührten Anna, und sie umfasste Gerlindes Hand.
„Gerlinde, ich weiß nicht, was ich sagen soll, sagen will, aber ich denke, das wir beide eine Chance verdient haben, um für uns herauszufinden, ob wir beide genug füreinander empfinden können, um aus uns ein Paar zu machen!“
„Meinst du das im Ernst, Anna“, fragte Gerlinde sie, und lächelte etwas?
„Du müsstest mich doch genug kennen, um zu wissen, dass ich nie etwas nur so sage, Gerlinde!“
Wortlos nahm Gerlinde Anna in den Arm, und reglos verharrten beide so, bis Nora neckisch meinte: „Göttin sei Dank, ein neues Paar!“

Zwei Stunden später hatten sie den Stadtrand von Berlin erreicht. Nora hatte in der Zwischenzeit das Steuer des Wohnmobils in die Hand genommen, während Carola sich liebevoll mit Nadine unterhielt.
Nach einer Weile hielt der Wagen an, und Gerlinde stieg aus.
„Warte einmal, Gerlinde“, sagte Carola, „wir sollten uns morgen noch treffen, Oma!“
„Sag bitte nicht Oma zu mir“, sagte Gerlinde. „Sonst fühle ich mich uralt! Aber komm morgen wann immer du willst, vorbei, Enkeltochter!“
„Sag nicht Enkeltochter zu mir, „Oma“ ,sonst werde ich sauer“, knurrte Carola, aber Gerlinde wusste, das sie nur Spaß machte.
„Kann ich am Wochenende auch zu dir kommen, Gerlinde, damit wir gemeinsam was unternehmen können“, fragte Anna?
Gerlindes Herz machte einen Hüpfer, der selbst Anna nicht verborgen blieb, und den sie lächeln ließ.
„Aber natürlich“, erwiderte Gerlinde. „Weißt du auch schon, was wir machen könnten?“
„Ich habe an einen Theaterbesuch, ein leckeres Essen in meinem Lieblingslokal, einem Kroaten, und zum Abschluss an einem Spaziergang am Tegeler See gedacht, der sehr einsam gelegen liegt. Wäre dir das recht?“
„Aber natürlich, Anna! Besonders der letzte Teil am See!“
„Dann ist es abgemacht! Ich hol dich um 19 Uhr ab. Die Theatervorstellung beginnt um 20 Uhr, und ich wollte ohne Hast mit dir da ankommen, so das wir unsere Plätze im Theater einnehmen können“.
Herzlich verabschiedeten sich alle von einander, und sahen Gerlinde nach, bis sie in ihrer Wohnung verschwunden war. Dann ließ Nora den Motor aufheulen, um Carola und Anna nach Hause zu bringen. Nachdem sie das Wohnmobil in ihr Versteck gebracht hatte, fuhren Nadine und sie in ihrem Wagen nach Hause.
Nadine hatte sich die ganze Zeit an sie geklammert, seit sie in den Fahrstuhl ihres Hauses eingestiegen war. Und auch jetzt, als Nora mit ihrem Schlüssel die Wohnungstür aufschloss, klammerte sich Nadine an ihr fest.
Der Flur sah dunkel und verlassen aus, genauso wie die Zimmer ihrer Wohnung. Sie schaltete das Licht der
Deckenbeleuchtung an, und blickte sich um. Alles schien so auszusehen, wie sie, Anna, Gerlinde und Caroline den Raum verlassen hatten, als sie sich aufmachten, Nadine, ihre Pflegetochter zu befreien.
Sie blickte auf ihre Pflegetochter, die ängstlich zu ihr hochblickte.
Ich muss ihr alles erklären, dachte sie!
Das arme Kind hat buchstäblich die Hölle durchgemacht, und ist verwirrt, weil sie nicht begreift, was ihr geschehen ist!
Sie zog ihre Jacke aus, und warf sie auf den Boden. Dann streifte sie die Schuhe von ihren müden Füßen, und begann,
Nadine auszuziehen.
„Nadine, wir müssen miteinander reden“, sagte sie, und wischte gleichzeitig eine Träne aus Nadines ängstlichem Gesicht.
„Ja“, erwiderte ihre Pflegetochter fast wortlos.
Sie klammerte sich noch enger an Nora.
„Ist ja gut, Nadine“, sagte sie zu dem Kind, das sie wie ihre eigene Tochter liebte. „Ich bin ja bei dir!“
Sie nahm Nadine auf den Arm, und setzte sie auf die breite Couch in ihrem Wohnzimmer. Sie setzte sich daneben, und drückte Nadine eng ans sich.
„Nadine, wenn du etwas mich fragen willst, dann tu es bitte“, sagte sie und in ihrer Stimme klang die Zärtlichkeit mit, die sie für Nadine empfand.
Nadine sagte nichts, sondern kuschelte sich noch enger an ihre Pflegemutter.
Nun, wenn du nicht willst, dann muss ich wohl versuchen, dir alles zu sagen, dachte sie.
„Nadine“, sagte sie, und blickte ihrer Pflegetochter in die Augen. „Was du erlebt hast, war schrecklich! Ich und meine
Freundinnen sind Hexen, die für das Gute kämpfen, und dafür, dass das Leben für Frauen und Mädchen wie dir, etwas sicherer wird“.
„Was ist eine Hexe“, fragte Nadine? „So wie bei Hänsel und Gretel?“
„Nein, nicht wie bei Hänsel und Gretel, Nadine! Vor vielen, sehr vielen Jahren, waren Frauen, die wie ich Hexen genannt wurden, jemand, die sich mit der Heilung von Menschen, und der Bekämpfung der Naturgewalten und Dämonen auskannten.
Die Frau, die dich entführt hatte, war ein Dämon, die für einen anderen Dämon arbeitete.“
„Dein Onkel?“

„Ja, aber das wusste ich nicht bis zu diesem Augenblick. Sein Bruder, mein Vater, war, soweit ich mich an ihn erinnern konnte, ein lieber Mensch, der meiner Mutter, die auch eine Hexe war, half. Darum hatte ihn sein eigener Bruder getötet, und darum hatte er meine Mutter und mich gehasst!“
Nadine wischte sich mit dem Rücken ihrer linken Hand die Tränen aus dem Gesicht, und blickte Nora an.
„Tante Nora“, begann sie, „kann ich bei dir bleiben?“
„Für immer“?
Nadine nickte.
Ein Lächeln huschte durch Noras Gesicht. Sie liebt mich, so wie ich sie liebe, dachte sie!
„Aber natürlich bleibst du bei mir! Sobald ein Jahr um ist, werde ich alles in die Wege setzen, um dich adoptieren zu können!
Dann wirst niemand uns voneinander trennen!“
„Und mein Vater?“
„Dein Vater hat, nach allem, was er dir angetan hatte, nicht die geringste Chance, dich auch nur wieder zu sehen! Und sollte er wagen, den Kontakt zu dir zu suchen, bin ich und meine magischen Möglichkeiten immer noch da, um ihm das Leben schwer zu machen!“
Das Telefon klingelte.
Nora stand auf, und nahm den Hörer ab.
„Hallo, wer spricht da?“
„Bist du es, Nora“, hörte die sie vertraute Stimme ihres Geliebten Doktor Arthur Nowak, der sich vor wenigen Wochen von ihr getrennt hatte, als er erfuhr, das sie eine Hexe ist.
Nora spürte, wie ihr Herz sich vor Schmerz an diese Erinnerung zusammenzog.
„Ja, ich bin es“, erwiderte Nora.
„Hast du meine Nachricht auf dem AB schon abgehört?“
„Du hast mir eine Nachricht auf meinen Anrufbeantworter gesprochen? Ich bin gerade nach Hause gekommen, und hatte  noch keine Zeit dazu. Was hast du denn gesagt?“
„Das wir miteinander reden müssen“, erwiderte er!
„Warum? Du hast doch sehr deutlich gezeigt, was du von mir hältst! Das du mit einer Hexe wie mir nichts zu tun haben willst!“
„Nora, als ich das damals erfuhr, wusste ich nicht, wie ich damit umgehen sollte! Ich habe mich immer für einen nüchternen, rational denkenden Menschen gehalten. Und innerhalb von wenigen Sekunden wurde ich von einem Dämon angegriffen, und hatte erfahren, dass du eine Hexe warst! Das war zuviel für meinen Verstand!“
„Und jetzt?“
„Nora, du bedeutest mir sehr viel! Ich liebe dich! Ich fühle mich in deiner Nähe wohl. Und dein Leben als Hexe ist ein Teil von dir, also muss ich, wenn wir ein Paar bleiben wollen, ich lernen, damit zurande zu kommen!“
Noras Herz sprang.
Er liebt mich, dachte sie! Er liebt mich, und will mit mir zusammen sein! Und er will auch lernen, die Hexe in mir zu akzeptieren! Das ist ja zu schön, um wahr zu sein!
„Wann wollen wir miteinander reden“, fragte sie Arthur?
„Was hältst du von morgen Abend. Meine Schwester würde gerne auf Nadine aufpassen, während wir uns ansehen, wie schön der Grunewald ist“.
„In Ordnung, aber ich mache den Picknickkorb fertig, und wir benutzen unsere Räder. Nach zu viel Laufen steht mir im Moment nicht der Sinn!“
„Dann ist es gebongt“, sagte er. „Ich komme dann so gegen sieben Uhr zu dir.“
Sie legte den Hörer wieder in die Gabel, und lächelte.
Vivien ging eine einsame Seitenstraße entlang, bis sie zum Ende der Straße kam. Eine riesige Mauer versperrte ihr den Durchgang. Vorsichtig blickte sie sich um, und blickte die beiden Häuser hinauf.
Sie konnte niemand erblicken.
Eine Pfütze, die vor ihr auf dem Boden war, zeigte ihre langen, rotgefärbten Haare, ihr geschminktes, leicht breites Gesicht, und ihr eng angelegtes Kostüm in beige, dazu die beigen Pumps und die fliederfarbene Strumpfhose. Sie trug eine schwarze Umhängetasche über ihrer rechten Schulter
Sehe ich nicht toll aus, dachte sie, und griff mit ihrer linken Hand in ihre schwarze Umhängetasche. Wenige Augenblicke später zog sie eine silbern glänzende Athame hervor, und klopfte dreimal gegen die Mauer, wobei sie: „Halu mea trandic“, rief.
Die Steine der Mauer zogen sich auseinander, so dass sie genügend Platz ließen, damit Vivien hindurch schreiten konnte, was sie auch tat. Kaum war sie hindurchgegangen, verschoss sich die Mauer wieder.
Von irgendwoher war eine jaulende Katze zu hören, und der Wind wehte leise durch die spärlichen Büsche, die vor Vivien standen.
In einem der Büsche steckte eine kleine, rote Rose.
Vivien bückte sich zur Rose hinunter, und roch an der Blume, die ein Symbol der Göttin war.
„Ich liebe dich“, sagte sie! „Ich liebe dich, und begehre deine Gegenwart, Mutter allen Lebens!“
Plötzlich, wie von Geisterhand, verschwanden der Strauch und die Rose. Vivien stellte sich auf den Platz, wo der Strauch gestanden hatte, und sagte: „Ich bin bereit!“
Sie verschwand, und tauchte wenige Augenblicke später in einem hell erleuchteten Raum der keine Wände zu haben schien auf, in dem viele Frauen standen, auf Marmorstühlen saßen, oder in Betten lagen, und sich miteinander unterhielten oder große Bücher vor sich hatten, die sie eifrig zu studieren schienen. .
„Hallo Vivien“, begrüßte sie eine der Frauen mit blonden Haaren und eckigem ungeschminkten Gesicht. Sie umarmte Vivien, und sagte: „Sei gesegnet, Schwester. Sie erwartet dich schon!“
„Dann will ich sie nicht warten lassen“, erwiderte Vivien, die feststellte, das auch sie, wie alle anderen Frauen, eine weiße Toga mit einem roten Band um ihre Hüfte trug.
Ich bewundere immer, wie sie arbeitet, dachte sie. Eben hatte ich noch Straßenkleider an, und nun, kaum das ich die Welt der Menschen verlassen habe, trage ich das, was ich hier trage. So bin ich nie falsch angezogen!
Mit schnellen Schritten ging sie zu einer weißen, marmornen Treppe, die sie mit schnellen Schritten hinauflief. Sie stand vor einer großen Tür mit Rundbogen aus einem Holz, das sie nicht kannte, dessen rötliche Farbe und deren feine Maserung sie aber immer wieder aufs Neue faszinierte.
Vorsichtig klopfte sie an die Türe.
„Komm herein, Vivien“, sagte eine weibliche Stimme.
Die Tür öffnete sich wie von Geisterhand geöffnet, und Vivien trat in einen hellen Raum. Eine Frau in einer strahlend weißen Toga mit einem roten, dreifach geflochtenen Band stand vor ihr.
Sie war groß und schlank, fast schon athletisch. Ihre halblangen Blonden haare wurden von einem Kranz aus Blüten zusammengehalten, und hingen bis zu ihren Ohren hinunter. Ihr ovales Gesicht war ungeschminkt, und ihre blauen Augen strahlten, als sie Vivien erblickte.
„Sei gesegnet, meine Liebste“, erwiderte die Frau, und umarmte sie.
„Ich habe deinen Auftrag so gut ich konnte erledigt, Herrin“, erwiderte Vivien. „Gerlinde und Anna haben den Anfang für eine mögliche Beziehung gemacht, und Nora und der Doc sind wieder zusammen, und Nadine hat jetzt eine neue Mutter, Nora, bekommen. Ach ja, und Hanim ist Geschichte!“
Die Frau sah Vivien in die Augen.
„Ich weiß, wie schwer es für dich war, als du Anna kennen gelernt hattest! Aber glücklicherweise hattest du an deinen Auftrag gedacht, meine Tochter!“
„An meinen Auftrag, und an unsere Liebe, Herrin“, erwiderte Vivien.
Es klopfte.
„Ja, Helga, was ist?“, fragte die Frau?
„Eure Tiere verlangen nach euch!“
„Ich komme“, sagte die Frau, hakte sich bei Vivien ein, und sagte: „Begleite mich, Liebste.“
„Aber gerne, Herrin“, erwiderte Vivien.
„Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du mich nicht „Herrin“ nennen würdest, wenn wir alleine sind, Vivien. Für alle anderen mag ich die Herrin sein, für die Menschen auf der Erde bin ich die Göttin, aber diejenigen, die mich lieben, und die ich liebe, können mir den Namen geben, den ich seit Anbeginn meiner Existenz von meiner Mutter Gaja bekommen habe: Artemis! Oder, wenn dir der andere Name lieber ist: Diana!“
„Ich liebe dich, Herr...“. Sie sah das strenge Gesicht der Göttin. „Ddddiana“.
„Gut“, sagte die Göttin. „Dann lass uns meine Tiere besuchen“.
Wenige Augenblicke später, die Göttin hatte mit ihren beiden Tieren, einer riesigen Braunbärin und einer Wölfin geredet, waren sie und Vivien erneut in den Räumen der Göttin angekommen.
Mit einer leichten Bewegung ihrer linken Hand durch die Luft, erschien wie aus dem Nichts eine Bank aus weichem Holz, auf dem weiche Kissen aus rotem und grünem Samt lagen, auf denen Vivien und die Göttin platz nahmen.
Eine Frau mit brünetten langen Haaren, einem breiten Gesicht und einem leicht geschminkten Gesicht, die ihre braunen
Augen vorteilhaft zur Geltung brachte, die in einer weißen Toga und mit einem doppelt geflochtenem grünen Band um ihre
Hüften erschien, kam mit einem kleinem Tablett, auf dem zwei Gläser und eine große Karaffe standen, in dem eine gelbliche Flüssigkeit zu sehen war.
„Ich liebe Nektar“, erwiderte Vivien, und umarmte die Göttin.
„Und ich liebe dich“, erwiderte die Göttin.
Die junge Frau kam näher, und die Göttin bewegte erneut ihre Hand, und ein kleiner runder Tisch aus Marmor erschien, auf dem die junge Frau das Tablett ablegte.
„Darf ich dir eine neue Dienerin vorstellen“, Vivien. Sie heißt Domenica, und war einmal eine Mormonin, und mit Gerlinde verheiratet. Sie hatte im Alter die Mormonen verlassen, und mich entdeckt. Dann war sie gestorben, und kam in mein Reich, weil sie, wie du und alle anderen Frauen, als meine Töchter auf die Erde geschickt werdet, um den Frauen zu helfen, wobei meine Tochter Aradia die Erste war!“
„Herrin, ihr kennt meinen Exmann, der jetzt eine Frau ist“, fragte die junge Frau?
„Ja, und sie dient viele Jahre ihres Lebens mir. Und nun hat sie durch meine Hilfe endlich den Menschen gefunden, der sie so lieben wird, wie sie ist!“
„Ich schäme mich so für mein Verhalten, Herrin“, erwiderte Domenica, die, wie alle Elevinnen der Göttin, einen neuen Körper erhalten hatten. „Ich habe ihn, das heißt, sie geliebt, und nur weil meine Eltern und die Kirche das von mir erwarteten, hielt ich nicht zu ihr!“
Sie blickte die Göttin an. „Ich wünschte, ich könnte ihr all das sagen, was ich empfinde, damit sie mir verzeiht!“
„Verzeihung und Vergebung ist eine jüdisch-christliche Erfindung meine Tochter! Aber ich kann dir sagen, dass sie dir nicht böse ist. Sie ist traurig, das ja! Aber sie ist dir nicht böse! Denn dadurch, das sie ihr Frauenleben führte, bekam sie mehr und mehr Weisheit, und verstand dich besser!“
„Und ihre Enkelin, Carola, die Tochter deiner Tochter Rebecca, ist ihre Schülerin geworden“, fügte Vivien hinzu.
„Gepriesen sei die Weisheit der Göttin“, erwiderte Domenica, und verabschiedete sich.

„Ja, gepriesen sei deine Weisheit und deine Liebe zu allen Frauen, Herrin“, sagte Vivien. „So lange es Frauen geben wird, die dich brauchen, wist du für sie da sein!“
Durch das Dach in ihrem Palast sahen beide Frauen, wie der Himmel sich öffnete, und ein neuer, hoffnungsvollerer Tag auf der Erde begann. Ein neuer Tag mit neuen aufregenden
Abenteuern der  :  MACHT DER DREI HEXEN!

 

 

Ende

 


 

 

Liebe Leserinnen,

nun haben Sie die letzte Folge der „Macht der drei Hexen“ gelesen. Haben sie Ihnen gefallen? Dann empfiehlt sie weiter! Haben sie Ihnen nicht gefallen? Dann schreiben Sie eine eigene Serie!

 

Eure

Gerlinde Kenkel

 

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