Ihr war kalt.

Ihr schwarzes Cocktailkleid, das in Fetzen an ihrem voluminösen Körper herunterhing, wärmte sie schon lange nicht mehr. Die Fesseln, die ihre Hände auf den Rücken gebunden hatten, schmerzten sie sehr, schnitten sich tief in ihr Fleisch hinein; so das sich Bluttropfen auf dem nackten Kellerfußboden ansammelten, wo sie in der Luft nach kurzer Zeit trockneten.

Der Knebel in ihrem Mund schmerzte, hinderte sie am Atmen. Sie war erkältet, und deshalb fiel ihr das Atmen durch die laufend Nase schwer.

Der muffige, seit Tagen nicht durchlüftete Keller, war vollgestopft mit allerlei Gerümpel.

Sie wusste nicht, seit wann sie hier war, noch, warum?

Sie wusste nur, das ihr schwarz vor Augen wurde, als sie mit ihrem Freund Matthias, mit dem sie seit zwei Wochen zusammen war, auf eine Party gegangen war. Und dann wachte sie in diesem Keller auf, orientierungslos und ängstlich. Irgendwo hörte sie, wie Wassertropfen langsam zur Erde fielen. Plopp, ... plopp,... plopp, das monotone Geräusch begann sie zu nerven.

Plötzlich drang ein schmaler Lichtschein zu ihr durch. Sie hörte das Knarren einer leicht verrosteten Tür, durch die sich eine schlanke, vermummte Gestalt zwängte. Die Gestalt kam auf sie zu, prüfte ihre Fesseln, und sagte: „Na, gefällt dir deine neue Behausung, Baby?“

Sie versuchte sich zu wehren, zu schreien, doch der Knebel in ihrem Mund unterdrückte alle Geräusche.

Die vermummte Gestalt lächelte. Ein diabolisches Lachen, das zeigte, dass es ihm Spaß machte, sie voller Angst und leidend zu sehen.

Er drehte sich um und verließ sie.

Sie hatte panische Angst, eine Angst, die sie lähmte! Eine Angst, die nichts riskierte!

Und das wusste er!

Er ging nach oben, in einen Raum, wo drei Männer, alles kräftige Gestalten mit Goldketten und protzigen Ringen, auf ihn warteten.

„Wird sie bald soweit sein“, fragte ein Muskelpaket mit schwarzen Haaren, und dem Tatoo

einer riesigen nackten Frau auf seiner glattrasierten Brust?

„Ja“, erwiderte der Maskierte, und zog seine Maske aus. „Morgen früh können wir sie alle rannehmen, und wenn sie zugeritten ist, können wir sie für einen guten Preis verkaufen. Sie ist noch Jungfrau, wie ich mich überzeugen konnte, als sie bewusstlos da lag. Irgendein Bordell in Deutschland oder im Ausland wird sie schon haben wollen!“

Er blickte in den Spiegel.

Sein blondes, kurzgeschnittenes Haar hing wirr durcheinander. Er nahm einen Kamm von der Anrichte, und kämmte sich mit raschen, geübten Bewegungen. Dann wischte er noch schnell den Fleck weg, den er in seinem ovalen Gesicht erblickte, legte noch ein wenig Fett auf seine schmalen Lippen, und zog sich um; um seinen muskulösen Body in einer hellblauen Jeans und einem Holzfällerhemd vorteilhafter zu Geltung zu bringen.

„Also, dann bis morgen früh, Matthias“, sagte der schwarzhaarige Athlet, und drückte ihm zum Abschied die Hand.

„Bis morgen, Jürgen“, erwiderte Matthias. „Ich verspreche euch, ihr werdet morgen voll auf eure Kosten kommen!“

Er spielte mit der goldenen Panzerkette, die versteckt unter seinem Hemd steckte.

Und er grinste, als er das sagte!

 

 

Der Wecker in Noras Schlafzimmer klingelte unbarmherzig!

Verdammt, überlegte sie. Warum muss ich jetzt so früh aufstehen? Ich hab doch letzte Woche gekündigt, so wie die Göttin es wollte, ebenso wie Anna, die auch ihren Job los war! Und wir haben von der Göttin keinen neuen Auftrag bekommen! Also kann ich wohl jetzt ein wenig schlafen!

Sie drückte den Schalter an ihrem Wecker herunter, und die Klingel verstummte.

Na also, dachte sie. Warum nicht gleich so?

Sie stopfte sich ihr Kopfkissen zurecht, kuschelte sich in ihre wohlig warme Daunendecke die in ihrem Bettbezug aus leuchtend rosigem Satin steckte, und schloss die Augen.

Brrrrrrrrrrrrrrrrr!

Unbarmherzig läutete der Wecker erneut.

Mist! Das Ding muss kaputt sein! Also, das war’s dann mit der guten Nachtruhe bis in die Mittagsstunden, überlegte sie, und stand auf.

Sie ging ins Bad, und betrachtete sich im Spiegel.

Heute sehe ich echt beschissen aus, sinnierte sie!

Wird Zeit, das ich mich etwas anhübsche!

Sie drehte den Wasserhahn auf, und benetzte ihr ovales Gesicht mit etwas Wasser, gerade so viel, um wach zu werden. Sie trocknete sich ab, und ging in die Küche, wo sie die am Abend vorher schon vorbereitete Kaffeemaschine anwarf.

Sie ging ins Bad zurück, wusch ihre halblang gewellten dunkelblonden Haare; und ging in die Küche zurück, wo sie, mit einem kunstvoll gedrehten Handtuch auf ihrem Kopf, bei einer Tasse Kaffee mit Milch und Zucker, und einer Scheibe Marmeladentoast, frühstückte.

Das Telefon klingelte.

Sie nahm den Hörer ab, und sagte: „Ja? Wer ist da?“

„Ich bin’s“, hörte sie die Stimme ihres Ex- Verlobten Nick sagen! „Können wir uns treffen, und über uns reden?“ Sie hörte eine kurze Zeit nichts. Anscheinend wollte er ihr die Gelegenheit geben, etwas zu erwidern, aber als sie nichts sagte, sagte er im flehenden Ton: „Biiiiiiiiite!“

Sie konnte seinem Charme sehr selten widerstehen, das wusste sie.

„Also gut“, sagte sie. „Komm heute um 15:00 Uhr zum Café an der Ecke, dort, wo wir uns mit Markus getroffen hatten!“

„Ich werde so was von pünktlich da sein, das glaubst du nicht!“

Sie legte auf.

„Sie wird um drei Uhr im Café sein“, sagte Nick zu jemanden, dessen Gesicht schemenhaft im Schatten lag. Dann kannst du mit ihr machen, was du willst!“

Ein teuflisches Grinsen flog über sein Gesicht, und seine Augen blitzen in einem dunklen Rot auf. „Und dann gibt es keine Macht der drei Hexen mehr!“

 

 

Gerlindes Gesicht und Körper waren voller Schweiß.

Sie hatte schlecht geschlafen.

Sie hatte wieder einmal geträumt. Von ihrer Tochter geträumt. Von ihrer Tochter, die in Gefahr war, die Wölfe zerfleischen wollten. Sie hatte sich dazwischen geworfen, und versuchte, mit ihrem Körper ihre Tochter zu schützen.

Die Wölfe fielen nun über sie her. Sie bissen, zerrten und knurrten um die Wette. Ihre Tochter Rebecca stand an einem Felsen, und sah zu, wie sie zerfleischt wurde. Plötzlich feuerte sie die Wölfe an, noch fester zu beißen, und Gerlinde sah ihren blanken Hass auf sie, ihre Verachtung, und ihren brennenden Wunsch, sie tot zu sehen.

Dann plötzlich, als ein Wolf sich in ihrer Kehle festbiss, wachte sie stöhnend und voller Halsschmerzen auf.

Sie stand auf, und duschte ihren ganzen Körper ab, aber das, was sie von sich abwaschen wollte, konnte sie nicht abwaschen! Denn Hass in ihr. Den Hass der anderen Menschen, den sie so verinnerlicht hatte! Den Hass der Menschen, die sie immer noch liebte! Menschen, wie ihre Tochter, die seit über dreißig Jahren nichts mehr von ihr wusste, nichts mehr wissen wollte!

Sie ging in die Küche, setzte Kaffeewasser auf, und holte sich aus dem Kühlschrank Margarine, Diätmarmelade mit Erdbeergeschmack, und aus dem Brotschrank eine Scheibe Knäckebrot. Ihr ganzes Essen für heute morgen, da sie wieder einmal abspecken wollte und legte es auf ein Frühstücksbrett.

Sie schmierte die Margarine auf das Brot, fügte etwas Marmelade dazu, die sie mit dem Teelöffel verteilte. Sie nahm einen anderen Teelöffel, und fügte einen Löffel Instantkaffee in ihre Lieblingstasse. Die Tasse mit dem Bären, die Karin, eine Ex, ihr einmal geschenkt hatte, in einer Zeit, als sie noch nicht wusste, was und wer sie einmal war.

Sie hatte Karin sehr geliebt!

So sehr geliebt!

Aber auch sie, die sie zu Beginn als Frau wahrgenommen hatte; die sie liebte, wie ein Mensch einen anderen Menschen nur lieben konnte, unschuldig und begehrend; auch sie konnte damit nicht umgehen, das sie einmal als Mann geboren war.

Als Mann!

War ich das überhaupt jemals gewesen, fragte sie sich?

War es nicht nur die Hülle, dieses Anpassen an männliche Normen, die mich nach außen hin „männlich“ wirken ließen; damit niemand sah, wer ich wirklich bin?

Das Wasser sprudelte. Sie stand auf, und goss das Wasser in ihre Tasse, und setzte sich.

Sie blickte in die Kaffeetasse, und bemerkte einen kleinen Fussel, der sich unbemerkt in ihr Lieblingsgetränk geschmuggelt hatte.

Sie nahm einen Teelöffel, und versuchte, den widerspenstigen Fussel zu erwischen, ihn vor dem Ertrinken zu retten.

Es gelang ihr nicht!

Enttäuscht legte sie den Löffel beiseite, und überlegte, ob sie den Kaffee nicht wegschütten sollte. Plötzlich drehte sich der Kaffee, wurde schneller und schneller, bis er sich zu einem Strudel entwickelte, der sie zu sich hineinzuziehen drohte. Sie blickte in den Strudel, und sah eine junge Frau, gefesselt an Händen und Füßen, die schreien wollte, aber deren Angst jeden

Schrei im Keim erstickte.

„Hilf mir“, hörte sie die Stimme der jungen Frau zu ihr sprechen. „Hilf mir!“

„Wo bist du“, sagte sie. „ Bitte sag mir, wo du bist, damit ich dir helfen kann!“

„Ich weiß nicht“, hörte sie die junge Frau sprechen. „Ich war mit einem Freund bei einer Party, und plötzlich wurde mir übel, und ich erwachte in diesem dunklen Raum“.

„Wie heißt du?“ Sie versuchte so viel Informationen wie möglich zu bekommen, bevor die Verbindung zu diesem Mädchen abbrach.

„Anja“, erwiderte sie. „Anja Schubert. Ich wohne in Lübeck, und da war auch die Party!“

„Wo war die Party? Welchen Name hatte der Gastgeber? Wie war die Adresse. Kannst du dich noch an etwas erinnern?“

„Nein“, erwiderte Anja, „nur, das es im Behaimring Nummer drei bei „Schwarz“ war, mehr nicht. Ich weiß nur noch, das ich eine Cola trank, die mir mein Freund Matthias gebracht hatte, und es mir danach speiübel wurde!“

Ihr wurde was ins Glas getan, und ihr sauberer „Freund“ hängt mit drin, das ist sonnenklar, überlegte sie blitzschnell.

„Wie heißt dein Freund mit Nachnamen“, fragte Gerlinde?

„Schwarz! Mattias Schwarz“, erwiderte sie. Das Bild zu Anja wurde dünner und dünner. Sie versuchte, sich noch mehr zu konzentrieren, aber Anja verschwand aus ihrem Blick.

Ich muss schnell die anderen anrufen, überlegte sie. Nur zu dritt schaffen wir es, Anja zu retten!

 

 

Annas Appetit war an diesem Morgen sehr groß.

Sie hatte schon das dritte Brötchen verdrückt, und immer noch Hunger. Im Radio spielten sie gerade einen alten Song von Count Basie, und sie trommelte mit ihren Fingern im Rhythmus der Musik auf der Tischkante. Sie fühlte sich sehr wohl! Sie hatte ihren Job gekündigt, und fühlte sich entspannt. Sie nahm ein weiteres Brötchen, schnitt es auf, und schmierte ein wenig Butter darauf. Was soll ich als Nächstes drauf tun, fragte sie sich? Sie blickte sich auf dem Tisch um. Marmelade lag einträchtig neben verschiedenen Wurst- und Käsesorten auf verschiedenen Tellern, und eines sah köstlicher als das andere aus! Es fiel ihr schwer, sich zu entscheiden! Dann, entschied sie sich doch. Sie nahm eine Scheibe Käse und eine Scheibe italienischer Mortadella, und belegte damit je die Hälfte des Brötchens.

Das Telefon klingelte. Sie stand auf, und nahm den Hörer ab.

„Ja, hier bei Weber. Wer spricht da?“

„Anna“, hörte sie die Stimme Gerlindes. „Eine Frau in Lübeck ist in größter Gefahr. Sie braucht uns. Ich hab Nora schon angerufen, und sie kommt mit dem Wohnmobil der Göttin uns abholen. In etwa einer Stunde wird sie bei dir sein. Alles weitere unterwegs!“

Gerlinde!

Die Frau, die mal ein Mann war!

So richtig traue ich ihr nicht, überlegte sie. Aber die Göttin traut ihr, wollte, das sie mit Nora und mir ein Team bildet. Also muss ich wohl oder übel in den sauren Apfel beißen. Aber ich mag es nicht, wie sie anfängt, die Führung übernehmen zu wollen. Typisch männliches Verhalten, bemerkte sie! Da werden wir sie wohl umerziehen müssen!

„Okay“, sagte sie zu Gerlinde. „Ich mach mich dann fertig!“

Sie legte auf

Sie ging ins Bad, wusch ihre Haare und duschte ihren Körper ab, und kam, nachdem sie sich abgetrocknet hatte, aus dem Bad heraus. Sie föhnte und modellierte ihre kurzen roten Haare, und zog sich Jeans und ein rotes T- Shirt an, auf dessen Rücken „Küss mich, Lesbe“ stand. Sie liebte dieses Shirt, hatte es doch für viele lustige Gespräche in Lesbenbars, und so manch aufregenden Kuss gesorgt.

Sie deckte den Tisch ab, und legte alles, was gekühlt werden musste, in den Kühlschrank.

Dann suchte sie das Geschenk, das die Göttin ihr überreichte, und für alle gelten sollte. Die Geldbörse, die immer gefüllt blieb. Nach kurzen Suchen im Wohnzimmerschrank aus lasierter Eiche, fand sie die Börse. Sie steckte sie ein, und wartete darauf, von Nora und Gerlinde abgeholt zu werden.

 

 

Es regnete, als Nora in die Straße zum 17. Juni einbog. Die wenigen Menschen, die auf den Straßen hin und her hasteten, versuchten, so gut sie irgend konnten, sich mit Regenschirmen und hochgeschlagenen Mänteln vor den hereinstürmenden Wassermassen zu schützen.

Sie hasste es, bei einem Wetter wie diesem unterwegs zu sein!

Schon damals, als sie mit 18 Jahren ihren Führerschein machte, graute es ihr immer vor den Fahrstunden, die an regnerischen Tagen stattfanden. Eine Ampel, nur wenige Meter vor ihr, wechselte von gelb auf rot. Sie trat automatisch auf die Bremse, und merkte, wie das Wohnmobil sachte dahinschlitterte, bevor es vor der Markierung stehen blieb.

Sie spürte, dass sie den Wagen noch etwas besser kennen lernen musste, damit sie alle sicher ans Ziel kamen.

Aber das schien ein Notfall zu sein, so eindringlich, wie Gerlinde am Telefon klang.

„Nora“, sagte sie zu ihr, „ich habe eben eine Vision von einer Frau gesehen, die unsere Hilfe braucht. Sie wohnt in Lübeck, und vermutlich wird sie festgehalten und vergewaltigt, wenn nicht noch schlimmeres! Hol bitte das Wohnmobil und uns ab. Ich werde das Buch der Schatten einpacken, und erwarte dich so schnell du kannst!“

„Aber ich habe heute mit meinem Ex einen Termin“, erwiderte sie zu Gerlinde. „Und ich halte meine Versprechungen!“

„Mit deinem Ex kannst du ein anderes Mal immer noch sprechen, die Lübeckerin ist im Moment wohl wichtiger!“

„Okay“, sagte Nora, die einsah, dass  Gerlinde recht hatte. „Ich bin in etwa zwei Stunden bei euch, den der Wagen steht in der Tiefgarage eines Wohnkomplexes in Marzahn. Und da ich kein Auto habe, muss ich erst mit den öffentlichen Verkehrsmitteln dahin“.

Sie legte auf, und wählte die Nummer von Nick, ihrem Ex- Verlobten. Nick, der am Apparat sich meldete, schien sehr enttäuscht zu sein, und schlug vor, dass sie sich treffen würden, wenn sie wieder zurück wäre. Nora stimmte zu, froh darüber, dass Nick Verständnis für ihre Situation zeigte, was bei ihm in früheren Tagen nicht selbstverständlich war.

Sie erinnerte sich noch zu gut an die Zeiten, wo sie sich mehr nach ihm richten musste, als er sich nach richtete. Zeiten, die nun endlich vorbei waren!

Die Ampel wechselte auf gelb, und sie startete den Motor. Als die Ampel auf rot umschaltete, heulte ihr Motor auf, und sie preschte die fast menschenleere Strasse entlang, bis sie vor der Wohnung Gerlindes stand, die schon auf sie mit aufgeklapptem Regenschirm und einer Ledertasche auf sie wartete.

„Was für ein Scheißwetter“, sagte sie, und stieg ein!

„Und wir müssen noch zu Anna“, erwiderte Nora, und schmiss den Motor an, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass Gerlindes voluminöser Körper vorschriftsmäßig angeschnallt war. Sie blickte Gerlinde an, die sich mit einem Taschentuch gerade die letzten Wassertropfen aus dem Gesicht tupfte. „Sag mal“, begann sie, „was hast du in der Vision genau gesehen?“

„Nur Geduld! Warte, bis Anna auch hier ist.“ Sie deutete auf eine lederne Tasche, die sie mitgebracht hatte. „Sag mal, wo kann ich das Buch der Schatten verstauen?“

„Vielleicht in dem Schrank da hinten“, schlug Nora vor? „In dem, wo dieser komische Griff aus Messing dran ist“.

„Okay, wenn wir bei Anna angekommen sind, werde ich es da verstauen“.

Gerlinde hielt die Tasche fest an sich geklammert. Schon einmal hatte sie vergessen, in der Aufregung vergessen, das „Buch der Schatten“ mitzunehmen, was sich rächte, denn sie lernten Hanim, einen Dämon der Unterwelt kennen, über den sie nichts wussten, und den sie nur dadurch vertreiben konnten, weil Nora einfiel, was ihr ihre Mutter, ebenfalls eine Hexe und Vorgängerin in der Arbeit für die Göttin, einmal über die Wirkung von Zaubersprüchen

sagte: Das gereimte Sprüche eine starke Macht hatten!

Mittlerweile hatte sie im Buch der Schatten nachgelesen, und sie wusste nun etwas mehr über den Dämon! Ein Wissen, das sie beiden Frauen mitteilen wollte, wenn sie nach Lübeck unterwegs waren.

Eine halbe Stunde später waren sie bei Anna.

Nora stieg aus, und klingelte. Fünf Minuten später, der Regen hatte schon aufgehört, stand Anna vor ihr. Ihre rote Lederjacke mit dem schwarzen Adler auf dem Rücken, glänzte ich fahlem Licht der Straßenbeleuchtung, unter der sie standen.

„Na, dann los“, begann Nora. „Wir müssen gleich losfahren, denn der Regen könnte wieder anfangen!“

Anna blickte in den Himmel.

Nora hatte recht!

Der Himmel war im Moment klar, aber in der Ferne zogen die ersten dunklen Wolken auf, und sie wusste, dass es nicht mehr allzu lange dauern würde, bis es wieder in Strömen gießen würde.

Sie öffnete die Seitentür des Wohnmobils, und wollte auf dem Beifahrerinnensitz Platz nehmen, als sie Gerlinde dort sitzen sah. Neben ihr war noch genug Platz um dort zu sitzen, aber alles in ihr sträubte sich dagegen!

„Ich setz mich wohl lieber nach hinten“, sagte sie zu Nora, ohne Gerlinde eines Blickes zu würdigen. Sie fühlte sich unangenehm, und Gerlinde, die das bemerkte, sagte: „ Ich kann ja nach hinten gehen. Da hab ich auch mehr Platz, und kann das Buch der Schatten aufschlagen, und euch das vorlesen, was ich da über unseren speziellen Freund Hanim gefunden habe“.

„Ja, mach das“, sagte Anna.

Demonstrativ blickte sie zu Nora, als Gerlinde aufstand, und mit der Tasche in ihrer rechten Hand, sich nach hinten auf eine Sitzbank setzte. Sofort setzte sich Anna auf den Platz, auf dem eben noch Gerlinde saß, uns schnallte sich an. Nora blickte missbilligend auf Anna, sagte aber nichts. Wenn wir eines Tages ein Team sein wollen, dann muss Anna aufhören, Gerlinde so die kalte Schulter zu zeigen! Sonst gehen unsere ganzen Energien in Grabenkämpfe, anstatt den Frauen im Namen der Göttin zu helfen, überlegte sie.

Nora startete den Motor, und langsam bogen sie in die Straße ein, um nach der Autobahnausfahrt nach Hamburg zu gelangen. Von hier ging eine Ausfahrt nach Lübeck ab, wie sie nach einem Blick in dem sich im Wohnmobil beiliegenden Straßenplan Deutschlands und Europas sehen konnte.

„Also, Gerlinde, nun erzähl mal uns, um was es geht, und vor allem, was du über den Dämon herausgefunden hattest!“

Nora konzentrierte sich auf die Fahrbahn, hörte aber doch konzentriert zu, als Gerlinde mit ihrem Bericht begann. Sie konnte schon seit ihrer Kindheit sich auf zwei oder mehr unterschiedliche Sachen gleichzeitig konzentrieren, was ihre Lehrer und Mitschüler jedes Mal in Erstaunen versetzte. Dazu hatte sie noch ein photographisches Gedächtnis, was ihr damals vor allem bei Schulprüfungen und Gesprächen sehr half.

Anna blickte auf die Fahrbahn.

Sie vermied es, Gerlinde direkt anzusehen, doch verfolgte sie jede ihrer Bewegungen im Mittelspiegel, der Gerlinde trotz ihrer Leibesfülle gut erfasste. Sie fühlte sich in ihrer Gegenwart unwohl, und sie wusste, dass Gerlinde das auch spürte. Sie wünschte sich, dass sie nicht so denken würde, das sie Gerlinde wie eine normale Frau ansehen könnte, und wusste doch gleichzeitig, das dieses nicht möglich für sie war.

Gerlinde war für sie keine richtige Frau! Und, sie würde es niemals sein!

Sie wurde nicht als Frau sozialisiert, wurde nie unterdrückt und hatte nie gespürt, wie der eigene Körper sich veränderte, wenn der nächste Zyklus wieder einmal begann.

Ich werde sie nie als Frau akzeptieren, solange ich lebe, überlegte sie, und zog den Gurt so fest an sich, das es schmerzte.

Gerlinde bemerkte es, und Dank der Gabe, die ihr von der Göttin geschenkt wurde, fühlte sie

Annas Ablehnung. Sie spürte, wie sich ihre Augen mit Tränenflüssigkeit füllten, und unterdrückte ihr Gefühl, zu weinen. Niemand sollte spüren, wie es in ihr wirklich aussah. Was zählte, war die junge Frau aus Lübeck, die in Gefahr schwebte, und, das alle drei zum Wohle der anderen Frauen zusammenarbeiteten. Was im Verhältnis dazu waren schon die Probleme, die Anna mit ihr hatte?

„Also, zunächst einmal, der Grund, warum wir hier nach Lübeck fahren“, begann sie zu erzählen, und berichtete alles, was sie wusste.

„Du hast recht, Gerlinde, da muss was getan werden“, sagte Nora, während Anna betreten auf den Boden sah. Auch sie stimmte Noras und Gerlindes Meinung zu, konnte es aber nicht zeigen. Alles in ihr sträubte sich dagegen in aller Öffentlichkeit Gerlinde zuzustimmen! Zu sehr lehnte sie Gerlinde innerlich ab!

Und nun zu dem, was ich im Buch der Schatten über Hanim gefunden habe“. Gerlindes Stimme, obgleich monoton klingend, ließ doch etwas von der inneren Aufregung erahnen, die sich in ihr befand.

„Hanim ist ein Dämon der Unterwelt, der die Macht hat, sich in den Gehirnen von Menschen zu platzieren, und auch in einer äußerlichen Gestalt aufzutreten. Deine Mutter, Nora, wurde von ihm getötet, und er ist, was das Buch der Schatten besagt, nicht zu besiegen, höchstens zu vertreiben.“

 

 

Hanim hat meine Mutter getötet?

Tränen flossen aus ihrem Gesicht, nahmen ihr die Sicht auf die Fahrbahn. Sie fuhr auf den Seitenstreifen der Autobahn, und ließ die Rücklichter aufblinken. Dann ließ sie ihren Tränen freien Lauf. Ihr Kopf legte sich auf das breite Lenkrad, das mit einer schwarzen Lederhaut umhüllt war, und ihre Hände verkrampften sich.

Anna legte ihren Arm um sie, streichelte sie sanft, und Gerlindes Augen, füllten sich ebenfalls mit Tränen.

„Nora“, sagte Anna, und streichelte beruhigend Noras Rücken. „Wir werden ihn erwischen, und wenn ich dabei drauf gehe! Wir werden ihn töten, so das er niemanden mehr töten kann!“

„Ja Nora“, erwiderte Gerlinde. Das gilt auch für mich!“

Anna blickte Gerlinde an.

Meinte sie das wirklich? Wollte sie ihr eigenes Leben riskieren, um den Tod einer Frau zu rächen? Um das Leben vieler anderer Frauen zu retten?

Würde ein Mann das tun?

Vielleicht habe ich sie falsch eingeschätzt, überlegte sie? Vielleicht ist sie doch mehr Frau, als ich bisher dachte?

Nein, das kann nicht sein! Sie ist als Mann geboren, und wird sich letztendlich immer wie ein Mann verhalten, wenn es hart auf hart kommt! Sie wird uns im Stich lassen, da würde ich meinen Hintern verwetten!

Zwei Seelen kämpften in ihr. Seelen, von denen sie nicht wusste, welche letztendlich gewinnen würde! Aber im Moment war das auch nicht wichtig! Viel wichtiger war, dass es Nora gut ging, und das Hanim für immer vernichtet wird!

„Soll eine von uns fahren, Nora“, fragte Gerlinde, und verstaute das Buch der Schatten in der untersten Schublade des Schrankes, in dem außer Besteck und verschiedenen Kleinutensilien nichts weiter lag.

„Nein, es geht schon“, sagte Nora, und trocknete ihre Tränen mit einem Zellstofftaschentuch ab. Sie setzte sich gerade hin, warf den Motor an, und wenige Augenblicke später waren sie alle wieder unterwegs nach Lübeck, das sie in vier Stunden ohne Zwischenfälle erreichten.

 

 

Sie waren am Stadtrand von Lübeck angelangt.

„Wohin müssen wir genau hin“, fragte Nora, und wandte ihren Kopf zu Gerlinde, die, ihre Augen in einen Stadtplan von Lübeck heftend, diesen studierte. Den Stadtplan hatten sie gekauft, als sie auf einer Raststätte halt gemacht hatten, und im Kiosk den Stadtplan entdeckten.

„Wir müssen jetzt ne ganze Weile geradeaus fahren, dann über eine Brücke, und dann rechts in eine Hauptstraße. Dann, nach zwei Straßen wieder rechts, und ne Weile wieder geradeaus. Der Behaimring liegt dann links, kurz vor der ehemaligen innerdeutschen Grenze, und ist eine Straße, die fast rund verläuft. Keine Angst, Anna wird dich bestimmt gut einweisen können!“

Sie gab Anna die Landkarte, und zeigte ihr, wo sie jetzt waren, und wo der Behaimring lag.

Wortlos, ohne sie anzusehen, nickte Anna.

Gerlinde, die die Spannung zwischen ihnen fühlte, ebenso Annas Ablehnung, seufzte innerlich auf. Ob sich das wohl je ändern wird, fragte sie sich, als sie sich wieder hinsetzte.

Dank der guten Einweisung Annas, fanden sie den Behaimring sehr schnell, parkten den Wagen, und stiegen aus.

Es dauerte nur wenige Minuten, bis sie die Hausnummer drei fanden, die gegenüber einer Minigolfanlage lag, und ein Teil einer mehrstöckigen Plattenbausiedlung war. Nora blickte auf die Klingelschilder, und es dauerte nicht lange, bis sie den Namen „Schwarz“ fand.

Sie klingelte.

„Ja, sie wünschen“, hörte sie die Stimme eines älteren Mannes?

„Mein Name ist Jansen. Und ich möchte gerne zu Matthias Schwarz, in einer privaten Angelegenheit!“

„Mein Sohn ist nicht da, er wohnt auch nicht mehr hier, schon lange nicht mehr! Er ist bei sich zu Hause. Besuchen sie ihn da!“

„Und wo ist das?“

„In der Stargasse zweiunddreißig“, erwiderte ungeduldig die Stimme des älteren Mannes.

„Darf ich sie noch etwas fragen?“

„Wenn es nur eine Frage ist, ja! Wir sind heute aus dem Urlaub zurückgekehrt, und hundemüde, und mussten entdecken, das jemand in unserer Wohnung während unserer Abwesenheit war, und eine Party gefeiert haben muss“.

„Nun, damit hat sich meine Frage schon erübrigt“, erwiderte Nora, und blickte die beiden anderen an. „Was denkt ihr darüber?“

„Das da viel mehr dahintersteckt, als nur eine einfache Entführung mit einer eventuellen Vergewaltigung oder einem Mord, meinte Anna. „Ich hab’s in der Nase!“

„Bestimmt“, erwiderte Gerlinde, „ steckt da mehr dahinter, weshalb wir Anja Schubert so schnell wie möglich finden müssen!“

 

 

Anja Schubert weinte.

Ihr Unterleib tat ihr weh.

Irgendwann, sie hatte schon lange jedes Zeitgefühl verloren, kamen mehrere vermummte Männer, und vergewaltigten sie. Sie bat sie aufzuhören, schrie um Hilfe, aber die Männer lachten nur. Das Lachen machte ihr Angst, und als einer der Männer ihr ein Messer an ihre Kehle hielt, verstummte jede Form von Widerstand, und sie ließ alles über sich ergehen. Dann fiel sie in einer Art Ohnmacht, und fühlte, wie sie aus ihrem Körper heraustrat. Sie beobachtete, wie die Männer sich lachend weiter an ihr vergingen, und dann gingen.

Dann, sie wusste nicht mehr wann, kehrte sie wieder in ihren Körper zurück.

 

 

Anna hatte Nora in die Stargasse dirigiert, einer schmucken Reihenhaussiedlung mit gepflegten Gärten und spielenden Kindern auf der Straße. Etwas, was ganz ungefährlich für die Kinder zu sein schien, da nur sehr selten ein Wagen in die Strasse fuhr.

Die Hausnummer zweiunddreißig zu finden war nicht schwer, da die Straße nicht groß war.

„Am besten ist, ich sehe mich da erst einmal um, ohne das der mich sieht“, sagte Anna. „Wozu hat mir die Göttin den sonst diese Gabe gegeben?“

„Sei vorsichtig“, sagten Nora und Gerlinde fast gleichzeitig, und Gerlinde fügte hinzu: „Und mach nichts auf eigene Faust!“

Anna versetzte sich in Trance.

Sie summte ein Mantra, eine leise, sich immer wiederholende Melodie, bis ihr Körper sich entspannte. Dann erschlaffte er, und sie trat aus ihrem Körper heraus. Gerlinde sah sie an, doch sie erwiderte ihren Blick nicht, sondern sah demonstrativ zu Nora, deren Hand sich zur Beifahrertür streckte, um diese für Anna zu öffnen.

„Lass das“, erwiderte sie, „ich brauch das nicht. Hast du schon vergessen, das jede Form von Materie kein durchdringen von mir verhindern kann?“

„Entschuldige bitte, Anna. Aber unsere Kräfte sind immer noch relativ neu für mich.“

Nora lächelte.

„Pass gut auf dich auf, meine Kleine“, sagte sie zu Anna, die sich schon auf dem Weg aus dem Wohnmobil gemacht hatte, und ihr zulächelte.

Sie blickte Anna nach, wie sie durch die Wohnungstür verschwand.

„Hoffentlich passiert ihr nichts“, sagte Gerlinde. „Sie kennt ihre Kräfte noch nicht so gut!“

„Das hoffe ich auch, Gerlinde! Das hoffe ich auch!“

Ihre Stirne runzelte sich bei dieser Bemerkung. Genauso wie Gerlinde hatte auch sie um Anna Angst.

 

 

Anna bewegte sich vorsichtig, als sie den Flur der Wohnung von Matthias Schwarz betrat. Sie blickte in den mit goldenen Ornamenten verzierten Spiegel, konnte sich aber nicht sehen, was sie mit einem befriedigenden Lächeln quittierte. Mehrere Schuhe, die in akkurater Reihenfolge nebeneinander lagen, zeugten von der peinlichen Ordnungsliebe des Wohnungsinhabers. Eine Ordnungsliebe, die ihr persönlich nicht lag.

Links neben ihr war eine Tür, durch die sie Sprachfetzen mehrerer Männer vernahm. Sie konzentrierte sich auf die Tür, und wenige Augenblicke später stand sie in einem Raum, der das Wohnzimmer zu sein schien.

Auf einer mit braunem Leder bezogenen Couch saßen mehrere muskulöse Männer, alle in teuren Anzügen und mit Goldketten und Armbändern behängt, die gerade einem Mann zuhörten, der vor ihnen stand.

Seine Haare waren kurz geschnitten, und durch viel Haargel wirr in Form gebracht. Er hatte ein ihr unsympathisches ovales Gesicht, in den denen zwei eiskalt dreinblickende blaue Augen die anderen auf der Couch anblickten. Er hatte dünne Lippen, die er nach jedem gesprochenen Satz zusammenpresste.

Der Typ war ihr auf den ersten Blick unsympathisch!

„Matthias“, sagte ein dicker Mann mit schwarzen Haaren, dessen goldene, mit Diamanten besetzte Rolex, im Licht der hell erleuchteten Tiffany- Lampe erstrahlte. „Hast du schon einen Käufer für die Kleine unten im Keller?“

Der Angesprochene lächelte. Ein Lächeln, das Anna Angst machte. Erinnerte es sie doch fatal an einen ihrer Kollegen bei der Polizei, mit dem sie öfters Probleme hatte.

Wachtmeister Klein, ein großer, breitschultriger Polizist, der seine Frau regelmäßig schlug, und seine Tochter vergewaltigte. Sie hatte ihn mit ihrem Kollegen erwischt, nachdem seine Tochter bei ihr Hilfe gesucht hatte, da ihre Mutter dazu aus Angst nicht mehr fähig war. Bei der Gerichtsverhandlung blickte er sie so an, und zum ersten Mal in ihrem leben verspürte sie

eine panische Angst, eine Angst, die sie lernte, später in den Griff zu bekommen. Ein halbes

Jahr später erfuhr sie, das er durch einen angeblichen Unfall gestorben war. Es wurde zwar ermittelt, aber der Täter wurde bis zum heutigen Tag nicht gefunden.

Matthias Schwarz lächelte immer noch, als er sagte: „ Einen? Wir haben zwei Dutzend interessierte Parteien! Ein Scheich aus Saudi- Arabien ist darunter, genauso wie ein amerikanischer Playboy, der dafür bekannt ist, das er Frauen kauft um sie zu quälen und sie dann zu töten. Von den vielen Bordellbesitzern im In- und Ausland ganz zu schweigen. Ich habe mir gedacht, dass wir sie an den Meistbietenden verkaufen. Irgendwelche Einwände?“

„Wie sollten wir, Matthias! Seid du die Geschäfte übernommen hast, läuft es doch prima für uns alle!“ Der Mann, der das sagte, hatte flammend rote lange Haare, die nach hinten zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden waren. „Ich hab auch ein paar Mädchen, die ich bei der Gelegenheit mit anbieten könnte.“

Die anderen murmelten ihre Zustimmung, worauf dieser Matthias sagte, dass es damit abgemacht wäre.

Sie redeten über die Einzelheiten, aber Anna wollte nicht mehr zuhören. Also hatte Gerlinde recht gehabt, überlegte sie. Aber das heißt noch lange nicht, das ich sie auch als Frau akzeptiere!

Sie sah eine Tür, durch die sie ging, und fiel an der anderen Seite in einen dunklen Raum, in dem sie ein leises Wimmern hörte.

Vorsichtig, sich nach allen Seiten absichernd, blickte sie sich um, bevor sie langsam auf das Wimmern zuging. Es war dunkler, als in der Hölle, fand sie, aber die Dunkelheit machte ihr nichts aus. Sie konnte alles sehen! Ob es die Ratte war, die vor ihren Füßen vorbeihuschte, oder die Kisten mit Benzin, die in der Ecke des Kellers standen, alles sah sie so, als ob es taghell wäre!

Und sie sah das junge Mädchen!

Anja Schubert!

Sie lag gefesselt und zusammengekauert auf einem verschmutzten und kaputten Sofa, ängstlich wimmernd und voll Schmutz und eingetrocknetem Blut, das überall an ihrem Körper zu sehen war.
Sie blickte an ihrem Körper entlang, und bemerkte, das zwischen Anjas Beinen eine Reihe von blauen Flecken sichtbar wurden, als ihr Kleid sich ein wenig nach oben geschoben hatte.

Sie ging auf sie zu. Ihre Gedanken konzentrierten sich auf Anja, und sie berührte sanft Anjas Schulter. „Anja“, rief sie leise. „Ich bin mit einigen Freundinnen hier, um dich zu retten“.

Ungläubig blickte sich Anja um.

„Ist da jemand? Warum hilft mir niemand?“

Sie kann mich nicht hören. Verdammt, daran hatte ich nicht gedacht! Vielleicht klappt es, wenn ich mich noch mehr konzentriere?

Sie versuchte, sich noch mehr zu konzentrieren, und merkte dabei, dass sie sichtbar wurde. Anja stieß einen erstickten Schrei hervor.

„Wer sind sie“, fragte sie leise? „Können sie mich befreien?“

„Ich heiße Anna, und bin eine Hexe!“

„Eine Hexe? Ja, gibt es denn so was? Ich dachte, so was existiert nur in der Phantasie“.

„Anja, wir werden später noch genug Zeit haben, ausführlich darüber zu reden! Erst einmal muss ich dafür sorgen, dass du hier rauskommst. Draußen warten noch zwei andere Freundinnen und mein Körper. Ich muss bald zurück, und werde ihnen beschreiben, wie es hier aussieht, und wir werden darüber nachdenken, wie wir dich hier herausholen können, ohne dein oder unser Leben zu gefährden. Hab etwas Geduld, Anja!“

Anja weinte. Anna berührte sanft ihre Hand, um sie zu trösten, und merkte, wie Anjas Hand zurückzuckte, so weit ihre Fesseln es zuließen. Sie hatte angst, und Anna wusste, dass sie nichts tun konnte, um Anja zu helfen. Das Einzigste, was sie konnte, war, ihr Mut und Hoffnung zu geben. Eine Hoffnung, die Anja schon lange aufgegeben hatte!

Die Kellertür öffnete sich.

In der Tür, vom fahlen Lichtschein des Wohnzimmers erleuchtet, sah sie, wie ein vermummter Mann dort stand, und zu Anja hinabblickte. Er lachte, und Anna wusste, dass der Vermummte Matthias Schwarz gewesen sein musste!

Sie hatte keine Zeit mehr, sich darauf zu konzentrieren, wieder unsichtbar zu werden, und so drückte sie sich in ein der vielen dunklen Ecken des Kellers hinein. Sie konzentrierte sich, und merkte, wie sie wieder unsichtbar wurde.

Matthias Schwarz kam herunter, die Treppen knarrten laut bei jedem seiner Schritte. Die Last seines Gewichtes, seiner verbrecherischen Taten Frauen gegenüber ließ die Treppe und ihre Bretter sprechen.

Er ging auf Anja zu, prüfte die Fesseln, und berührte Anjas Brüste.

„Bitte, bitte lassen sie mich in Ruhe? Mein Freund Matthias wird bestimmt kommen, und mich befreien!“

Die vermummte Gestalt lachte.

„Soso, dein Freund will dich also retten!“

Er zog seine Maske vom Gesicht.

„Ich bin Matthias“, Anja! Und du wirst die Attraktion auf meiner ersten Auktion sein!“ Er lachte dämonisch!

Anja schluchzte laut auf.

„Siehst du, Anja! Niemand kommt, um dich zu retten! Niemand kommt, um dich hier raus zu holen! Also ist es auch für dich das Beste, wenn du mitmachst, wenn du dich deinem Schicksal ergibst!“

Er drehte sich um, und stieg nach oben. Als Anna hörte, dass das Schloss der Tür eingeschnappt war, kam sie aus ihrem Versteck hervor, und konzentrierte sich erneut darauf, wieder für Anja sichtbar zu werden. Wenige Augenblicke später, stand sie erneut vor Anja, die weinend sagte: „ Ausgerechnet Matthias! Sind denn alle Männer Schweine?“

„Nicht alle, aber zu viele!“

Anna blickte sich im Keller um.

Allerlei Gerümpel lag hier herum, aber nichts, was sie wirklich gebrauchen könnte! Dann, sie hatte bei der Suche schon far aufgegeben, entdeckte sie, von einer reihe von Winterreifen versteckt, eine kleine Rutsche, eine Rutsche, die früher in fast jedem Keller zu finden war. Eine Rutsche, auf die Kohlen oder Kartoffeln in den Keller transportiert wurde. Sie räumte die Reifen beiseite, und sah, dass die Rutsche nur durch einen unverschlossenen Riegel gesichert war. Vorsichtig kletterte sie, nachdem sie die Tür der Rutsche wieder angelehnt hatte, nach oben. Es war dunkel und roch modrig, und sie hielt die Luft an. Wenige Augenblicke später stand sie vor einer verschlossenen Holztür, durch die sie leicht hindurchgehen konnte.

Der Eingang war durch Sträucher verdeckt, so dass die Tür von außen nicht sichtbar wurde. Anna grinste. Dann konnte ja niemand sehen, wenn wir in den Keller runterrutschen, überlegte sie. Das wird Nora aber freuen!

Sie lief zum Wohnmobil, wo Nora und Gerlinde schon sehnsüchtig auf sie warteten. Nachdem sie sich wieder auf ihren Körper konzentriert hatte, ging sie in ihren Körper hinein, und erwachte.

 

 

„Ich bin heilfroh, das du wieder da bist“, sagte Nora erleichtert, und auch Gerlinde atmete erleichtert auf, wie Anna verwirrt registrierte.

„Und, was hast du herausbekommen“, fragte Nora?

„Nun“, erwiderte Anna, „Gerlinde hatte recht. Anja ist im Keller. Gefesselt. Dieser Matthias ist der Anführer einer Bande von Mädchenhändlern und Zuhältern, die sie und andere Frauen auf einer Auktion verkaufen wollen!“

„Na, denen werden wir die Suppe aber versalzen! Oder?“

Gerlinde blickte Nora und Anna an.

„Und wie sollen wir das Deiner Meinung nach machen“, fragte Nora?

„Durch eine alte Kohlenrutsche“, erwiderte Anna. „Ich habe sie im Keller gefunden, und der Eingang ist gut durch Büsche gesichert, so dass wir ungesehen hineingelangen können.“ Sie blickte beide Frauen an. „Wer macht mit?“

„Ich“, ertönten gleichzeitig die Stimmen Noras und Gerlindes, und Gerlinde fügte hinzu: „Aber wir sollten uns vorher überlegen, was und wie, und vor allem wer was tut, damit das Risiko so klein wie möglich ist!“

Sie ist eine Schisserin! Genau wie ich gedacht hatte! Sie kneift! Also hatte ich mich nicht in ihr getäuscht!

Wut und Enttäuschung stieg in Anna hoch.

Ich hasse es, recht zu haben! Aber dieser umoperierter Mann wird nie eine Frau, wird nie eine Hexe sein! Warum hat die Göttin sie nur in unser Team berufen? Nora und ich sind ein Team! Ich und jede andere Frau, jede RICHTIGE Frau wären ein Team! Aber nicht ich und diese „FRAU“

„Gerlinde hat recht“, erwiderte Nora! „Nur so sind wir auf alle Eventualitäten vorbereitet!“

Anna blickte Nora an.

Auch das noch! Typisch Hete! Anstatt auf meiner Seite zu sein, steht sie auf Seiten dieser nachgemachten Frau. Himmel, ich platze gleich!

Sie versuchte, ihren schneller gewordenen Atem zu kontrollieren, und ruhiger zu werden. Sie wusste, dass sie sich ihren Zorn jetzt nicht leisten konnte. Immerhin hatten sie einen Auftrag von der Göttin bekommen! Sie mussten Anja aus den Klauen fieser Typen retten, und da ist im Moment kein Platz für etwas anderes, so wütend sie auf Gerlinde auch war.

Dann, nach wenigen Augenblicken, war es soweit. Sie hatte sich beruhigt.

„Gut, was schlägt ihr also vor?“

Nora sagte es ihnen.

 

 

Mit katzenhaften Bewegungen, jede Deckung ausnutzend, schlichen drei Schatten um das Haus. Die erste der drei Schatten, Gerlinde, blickte vorsichtig um die Ecke, wo der Eingang in den Keller war, den Anna gefunden hatte. Niemand zu sehen. Mit einer leichten Kopfbewegung deutete sie den beiden anderen Schatten, Nora und Anna, ihr zu folgen, was diese auch taten.

Sie gelangten zu der Tür der Kohlenrutsche, die Gerlinde öffnete. Gerlinde legte ein dickes Seil, das sie eine halbe Stunde vorher gekauft in der Nähe in einem Geschäft für Schifffahrtzubehör gekauft, und mitgebracht hatte, auf den Boden seitlich der Tür. Nora, die als Erste ging, rutschte vorsichtig, alle paar Zentimeter abbremsend, nach unten. Anna folgte ihr, und zum Schluss Gerlinde, der es schwer viel, Dank ihres Gewichtes und ihrer Breite, sicher den Weg nach unten zu rutschen.

Wenn das vorbei ist, habe ich keinen Grund mehr, meine Diät nicht mehr zu machen, überlegte sie. So was passiert mir kein zweites Mal! Endlich war auch sie unten angelangt, und durch die enge Öffnung gestiegen. Sie blickte sich um. Alles war dunkel, nur irgendwelche Lichtstrahlen, die sich von draußen ihren Weg bahnten, erhellten ein wenig den Raum. Anna deutete beiden Frauen, ihr zu folgen, und nach wenigen Schritten standen sie vor einer alten, nach Moder riechende Couch, auf der eine junge Frau zusammengekauert und gefesselt lag.

Anja!

Sie schien zu schlafen, und so presste Nora ihre Hand auf den Mund der jungen Frau. Anja wurde wach, wollte schreien, aber als sie Anna erkannte, verstummte sie.

„Kann ich meine Hand jetzt von dir nehmen, Anja“, fragte Nora?

Anja nickte, und Noras Hand verschwand von ihrem Mund.

„Seid ihr die drei Hexen, die mich hier rausholen wollen“, fragte Anja. Alle drei Frauen nickten.

Anna kam auf Anja zu, ein großes Bowiemesser mit zwei Klingen in ihrer linken Hand, das sie unter ihrer Jacke verborgen gehalten hatte. Wortlos schnitt sie die strammen Fesseln auf, und sah, dass Anja mit einer Handschelle um ihre rechte Hand an einem Regal aus Eisen befestigt war. Anna fluchte. Damit hatte sie nicht gerechnet, sah sie die Handfesseln doch zum ersten Mal.

„Lass mich mal machen“, flüsterte Gerlinde, und holte ein kleines Schweizer Offiziersmesser hervor, das sie immer in ihrer Hosentasche mittrug. Vorsichtig öffnete sie mit Hilfe des Messers und einer leicht gebogenen Büroklammer, die sie fand, die Handschelle. Anja rieb sich ihre Handfessel, und das Blut floss wieder ungestört durch ihren Körper.

„Wie hast du das nur gemacht“, fragte Nora?

„Ich war nicht immer eine Hexe und auf der Seite des Rechts“, erwiderte Gerlinde lächelnd. Wenn ihr wüsstet, was ich früher alles gemacht habe, ihr würdet mir nicht glauben, dachte sie.

„Lass uns von hier abhauen, bevor es zu spät ist“, sagte Anna, die sich nervös umblickte.

„Stimmt, unser Job hier ist erst einmal getan“, erwiderte Gerlinde. „Vielleicht sollte vor Anja noch jemand vorgehen, um die Gegend zu sondieren und ihr rauskommen abzusichern?“

Anna fluchte.

Verdammt, muss diese nachgemachte Frau sich immer in den Vordergrund spielen! Auch wenn sie recht hat, aber muss sie immer wieder den Boss spielen?

„Ich gehe vor“, sagte Nora.

„Gut“, erwiderte Gerlinde. „Und dann kannst du ja auch das Seil runterwerfen, um Anja hochziehen zu können“.

Nora nickte Gerlinde zu, was Anna bemerkte.

Ein Stich durchzuckte ihr Herz. War das Eifersucht? Auf wen? Nora? Sicher, ihr gefiel Nora sehr, aber zum einen war Nora heterosexuell, und zum anderen viel zu jung für sie, überlegte sie. Auf Gerlinde? Sie lächelte. Nein, dieser Gedanke wäre zu abwegig! Eher paare ich mich mit einem Elefantenmenschen, als das ich auch nur denken würde, mich in sie zu verlieben!

„Was grinst du so“, fragte Nora?

„Nichts“, erwiderte Anna. „Gar nichts“.

Also war es keine Eifersucht bei mir, konstatierte Anna, und beobachtete, wie Nora langsam auf der Rutsche nach oben kletterte. Minuten später, die allen wie Stunden vorkamen, sahen sie, wie ein dickes Seil sich am Boden der Rutsche entlangschlängelte. Gerlinde nahm das Seil, und band es um Anjas Hüfte mit einem Seemannsknoten fest. Dann zog sie leicht an dem Seil, und mit gleichmäßigen Bewegungen wurde sie nach oben hochgezogen.

„Du bist die Nächste, Anna“, flüsterte Gerlinde.

„Kannst du nicht einmal aufhören, hier wie ein Mann zu befehlen“. Anna schrie. „Wir entscheiden alle drei zusammen, oder gar nicht, kapiert!“

Plötzlich hörten beide ein Poltern. Die Tür ging auf, und ein Schatten wurde durch das fahle Licht, das vom Wohnzimmer her schien, sichtbar.

„Anna, wir haben jetzt keine Zeit für Diskussionen! Los nach oben. Und dann verschwindet ihr sofort, klar!“ Sie schob Anna zur Tür der Rutsche, und drückte sie fast hinein.

„Verdammt, was ist hier los“, ertönte die Stimme von Matthias Schwarz, der, mit einem Butterflymesser in der rechten Hand bewaffnet, die Kellertreppe herunterstürzte.

„Was ist los, Matthias“, war eine Stimme aus dem Wohnzimmer zu hören. „Brauchst du uns?“

„Ja, verdammt noch mal! Jemand versucht, unsere Ware zu stehlen!“

Gerlinde hörte ein Poltern, und während Anna hastig die Rutsche hochkletterte,

kamen zwei weitere Männer die Kellertreppe herunter. Sie stellten sich um sie, und bedrohten sie mit ihren mitgebrachten Messern.

Matthias nahm sein Messer und hielt es unter ihren Hals.

„Wer bist du, Schlampe? Und warum stielst du unsere Ware?“

Gerlinde sagte nichts, sondern lächelte ihn an. Das verwirrte ihn, und so schlug er zu. Ein dünner Blutstrahl floss aus Gerlindes Lippe, und bahnte sich seinen Weg bis zum Kellerboden, auf den er fiel. Gerlinde lächelte immer noch. Sie schien keine Angst zu haben. Ruhe und Sicherheit durchfloss ihren Körper, und ihr vielen wieder all die Lektionen ein, die Horst Schiffel, ihr Kampfsporttrainer bei der „Firma“ ihr beigebracht hatte.

Ihr Körper entspannte sich, fixierte ihr Gegenüber, seine Hand, dass das Messer hielt, und seinen Kehlkopf. Und dann, schneller noch, als ein Politiker „Diätenerhöhung“ sagen konnte, schnellte ihre linke Handkante hervor, und schlug ihm das Messer aus der Hand, während gleichzeitig ihre rechte Faust gezielt seinen Kehlkopf traf. Röchelnd fiel Matthias Schwarz wie ein nasser Sack zu Boden. Mit einer Bewegung, die niemand ihr zugetraut hätte, sprang sie über Matthias Schwarz hinweg, und landete auf dem Treppenabsatz. So schnell ihre Füße sie nur tragen konnten, stürmte sie nach oben, und schloss die Kellertür hinter sich ab. Sie hörte, wie gegen die Tür gedonnert wurde, und lächelte. „Tja, eine gute Ausbildung ist was fürs Leben“, sagte sie, und mit ruhigen Schritten gelangte sie zur Wohnungstür, die sie öffnete. Von Ferne hörte sie die Sirenen der Polizei, die immer näher kamen.

Wenige Augenblicke später hielten mehrere Polizeiwagen, die von beiden Straßenenden gekommen waren um die Straße abzusichern, vor der Wohnung von Matthias Schwarz. Aus einem Polizeiwagen in Zivil, der ebenfalls hielt, stieg eine junge Frau aus, und ging auf das Wohnmobil zu, während ihr Partner mit gezogener Waffe ebenfalls das Haus stürmte.

Diese Frau, schlank und durchtrainiert, hatte, wie Gerlinde fand, nichts an sich, was sie als heterosexuelle Frau ausmachte. Ihre kurz geschnittenen dunkelblonden Haare, ihr ovales, ungeschminktes Gesicht, und ihre ungepflegten, unlackierten Hände und Finger, ließen, ebenso wie ihre Jeans und Lederjacke, den Verdacht zu, dass sie eine Lesbe war.

Sie gelangte zum Wohnmobil, das Nora an der Fahrerseite öffnete.

„Ich bin Kommissarin Hübner. Wer von Ihnen heißt Anna Weber, und wer ist Anja Schubert?“

„Ich bin Anna Weber“, hörte Gerlinde Annas Stimme aus dem Inneren des Wagens. „Und das hier ist Anja Schubert“, sagte sie, und deutete auf eine junge Frau, die gerade aus dem Wohnmobil ausstieg.

Anja Schubert war eine hübsche Frau, denen Gesicht und Körper im Moment nur sehr ramponiert aussah. Sie hatte lange schwarze Haare, die kunstvoll zu einem Pferdeschwanz gebunden ihre rechte Schulter bedeckte. Ihr eckiges Gesicht, voller verkrustetem Blut und blauer Flecken, ließ die Schönheit ihres Gesichtes nur erahnen, ebenso ihre schwarzen Augen, deren Glanz schon lange erloschen war. Ihr schlanker, sehr femininer junger Körper hing in den Resten eines schwarzen Cocktailkleides, das ihre Blöße nur notdürftig bedeckte. Anna reichte ihr eine Wolldecke, die Anja umlegte, und fest an sich drückte.

Die Kommissarin befragte Anja.

Ihre Fragen waren vorsichtig und voller Mitgefühl gestellt, und sie akzeptierte auch, wenn Anja aus Scham oder Schmerz nichts sagen wollte.

Die Polizisten kamen aus dem Haus zurück, und führten alle ab, die sie im Keller gefunden hatte, allen voran Matthias Schwarz, der lauthals gegen die Handschellen protestierte, und schrie, dass er unschuldig sei.

„Der hat Nerven“, entfuhr es der Kommissarin. „So zu tun, als ob er die arme verfolgte Unschuld wäre, bei der erdrückenden Beweislast!“

Die Blicke Anjas und Matthias Schwarz trafen sich.

Seine Augen funkelten sie voller Hass an. Anja bekam Angst, was Gerlinde und die Kommissarin fast gleichzeitig bemerkten.

„Du brauchst keine Angst mehr vor ihm zu haben, Anja! Er kann dir nichts mehr tun!“ Die Stimme der Kommissarin klang beruhigend, aber verriet Gerlinde auch etwas von der Angst, die sie hatte. Eine Angst, die nicht unbegründet war! Denn solche Typen hatten immer Freunde, die versuchen würden, Anja unter Druck zu setzen, damit sie vor Gericht log oder die Aussage verweigerte.

Sie musste Anja in Sicherheit bringen! Vielleicht bei jemanden, den ihr Vergewaltiger nicht kannte? Einem Familienangehörigen oder einen guten und wirklichen Freund?

„Kann ich sie mal sprechen, Frau Kommissarin“, fragte sie!

„Aber ja, um was geht es denn“, erwiderte die Beamtin mit Pensionsanspruch.

Gerlinde erklärte es ihr in kurzen Worten, und die Beamtin versprach, für Anjas Sicherheit zu sorgen, und sie erst einmal zu ihren Eltern zu bringen.

Kurze Zeit später, die Polizeiwagen waren mit Anja verschwunden, ging Gerlinde zum Wohnmobil zurück, wo sie sich nach hinten durchsetzte.

Sie blickte ihre Mithexen an.

„Warum seid ihr bloß nicht abgehauen? Es hätte sonst was passieren können!“

„Na ja“, begann Nora, „Irgendwie dachten wir, das wir ohne dich nicht vollzählig wären“.

„Und außerdem tue ich prinzipiell nicht das, was andere von mir erwarten“, fügte Anna zu.

Gerlinde lächelte.

Ich glaube, dieses ist der Beginn einer wundervollen Freundschaft, dachte sie.

Nora warf den Wagen an, und sie machten sich wieder auf den Weg nach Berlin.

 

 

Die Fahrt nach Berlin verlief ruhig, nur unterbrochen von der dudelnden Radiomusik und einem Fahrer auf der Autobahn, der meinte, auf dem Nürburgring zu sein. Jede der Frauen hing ihren Gedanken nach.

Heute waren wir zum ersten Mal wirklich ein Team, überlegte Nora, während sie auf den vor ihr fließenden Verkehr blickte. Jede war für die Andere da, und sogar Anna, unsere Nörglerin vom Dienst hatte mir gesagt, dass sie Gerlindes Verhalten im Keller bewunderte, ihr Leben für sie aufs Spiel zu setzen. Wenn sie es ihr nur sagen würde! Gerlinde würde sich bestimmt sehr darüber freuen!

Sie blickte zu Anna hinüber, die in ihren Gedanken versunken dasaß, die Augen fest geschlossen. Schlief sie? Oder träumte sie? Noras Augen sahen auf Annas Gesicht. Mehr und mehr gefiel ihr diese tatkräftige, leicht impulsive Frau, die dort saß.

Sie studierte Annas Falten, Zeugnisse eines nicht allzu langen, doch nicht ereignislosen Lebens. Ich finde, sie ist eine sehr schöne Frau, diese Butchlesbe! Ich würde sie jetzt am liebsten...!

„Nora“, hörte sie plötzlich Gerlindes Stimme leise sprechen. „Hast du Durst oder Hunger?“

„Ja, aber wir haben nichts zum Essen im Wagen“.

„Sag das nicht, ich hab noch schnell ein wenig mich beim Kühlschrank dieses Herrn Schwarz umgesehen. Übrigens gut bestückt das gute Stück! Und da er ja für eine ganze Weile nun auf Diät gesetzt sein wird, und ich nichts verkommen lasse, habe ich das hier für uns organisiert“. Sie holte eine Flasche teuren Rotweins, die Reste eines Rinderbratens, Weißbrot, und Butter hervor.

„Sag mal, bist du verrückt! Das ist doch Diebstahl! Dafür kannst du in den Knast kommen!“

„Das ist Mundraub, dafür gibt’s Mildere“, sagte Gerlinde mit einem Ton der Überzeugung, die auf Noras Gesicht ein Lächeln zauberte, und sie einen Augenblick von Anna ablenkte.

„Also gut, dann mach was für uns alle“.

Gerlinde holte, während Noras Augen auf der Fahrbahn hin und her wanderten aus eine der Schubladen ein Messer, und aus einem Schrank drei Teller und ein Schneidebrett hervor.

„Sag mal, soll ich deine Brotscheibe dick oder dünn machen?“

„Dünn“

„Immer diese Hungerhaken! Aber gut, wird sofort erledigt, gnädige Frau. Und dann wahrscheinlich nur dünn gekratzte Butter und eine hauchdünne Scheibe Rinderbraten, die als Brillenersatz beim Lesen der Zeitung taugt. Stimmt es Nora?“

Gerlinde hatte mit solchem Ernst gesprochen, dass Nora wieder lachen musste. „Nun, mit der Butter kannst du ruhig etwas sparsamer sein, aber wenn du schon so ein feines Essen für uns organisiert hast, dann auch bitte eine dicke Scheibe Fleisch!“

„Bitte sehr, bitte gleich, gnädige Frau. Ihr Wunsch ist mir Befehl, daraus mach ich kein Hehl!“

„Was ist denn mit dir los? Hast du zu viel vom Rotwein genascht?“

Nora grinste!

„Nee“, erwiderte Gerlinde. „Ich habe nur so ne verdammt gute Stimmung im Moment! Wir konnten Anja helfen, und nem Fiesling den Weg in den Knast zeigen! Wenn das kein Grund zur Freude ist?“

Nora verstand ihre Freude, ging es ihr doch ähnlich!

Am liebsten hätte sie jetzt Anna nach ihrer Meinung gefragt, aber deren Augen waren immer noch geschlossen. Wahrscheinlich schläft oder träumt sie, dachte sie. Da will ich sie halt nicht wecken.

 

 

Anna hatte weder geschlafen noch geträumt.

Sie hatte die Augen geschlossen, weil sie in Ruhe nachdenken musste, und nicht dabei abgelenkt werden wollte.

Gerlinde!

Warum hat sie das für mich getan? Ihr Leben für mich aufs Spiel zu setzen! Sie wusste doch, wie ich über sie denke! Und doch hat sie es getan? Ich verstehe es nicht! Und während das Wohnmobil weiter die Autobahn entlangfuhr, dachte sie an das, was sie vorher über Gerlinde gedacht hatte, und sie fühlte sich mies. Sie wollte sich bei Gerlinde entschuldigen, aber ihr Stolz hielt sie davon ab.

Sie hielt die Augen so lange geschlossen, bis alle wieder in Berlin angekommen waren, und Nora vor Annas Wohnung anhielt.

Nora, schüttelte leicht an Annas Schulter.

„He Anna, wir sind bei dir angekommen“.

„Was, sind wir schon da? Das ging aber schnell!“

Anna löste den Gurt des Beifahrersitzes, umarmte Nora, und sagte: „Tschüss, kommt gut nach Hause!“

Sie drehte ihren Kopf in Gerlindes Richtung, nickte ihr zu, und verließ den Wagen.

Nora sah ihr nach.

So eine attraktive Frau, fand sie, und doch so was von dickköpfig! Sie beobachtete im Mittelspiegel, wie Gerlinde sich verstohlen eine Träne wegwischte. Ich muss mal mit ihr ein ernstes Wort reden, überlegte sie. So kann es auf jeden Fall nicht weiter gehen!

„Also dann zu dir, Gerlinde“, sagte sie, und drehte den Zündschlüssel um. Wenige Augenblicke später fuhren sie los. Anna blickte ihnen nach. Plötzlich überkam sie ein Gefühl der Angst, so, als ob etwas geschehen würde, und sie machtlos war.

Sie holte ihr Handy hervor, und wählte Noras Nummer.

„Ja“, hörte sie die vertraute Stimme Noras fragen?

„Hallo Nora. Ich bin’s, Anna. Ich hab so ein komisches Gefühl, als ob ihr in Gefahr seid. Seid vorsichtig, ja?“

„Versprochen“, erwiderte Nora.

Etwas beruhigter machte Anna ihr Handy aus, und steckte es in ihre Tasche zurück.

Dann ging sie in ihre Wohnung.

 

 

Nora war in ihrer Wohnung angekommen. Kein Unfall, kein Verbrechen während ihrer Fahrt zu Gerlindes Wohnung und zum Stellplatz des Wohnmobils, auch nicht, als sie mit den Öffentlichen nach Hause fuhr.

Also hatte sich Anna geirrt!

Sie lächelte bei den Gedanken an Anna.

Sie mochte sie sehr, das hatte sie gleich am ersten Abend gespürt, als sie sich kennen gelernt hatten. Und das verwirrte sie, liebte sie doch bis jetzt nur Männer. Ob ich bisexuell bin? Na ja, wenn dem so wäre, dann wäre es nicht so schlimm! Es gibt Schlimmeres als das!

Ihr Blick fiel auf den Anrufbeantworter, der zwei Nachrichten anzeigte.

Sie drückte auf den Wiedergabeknopf, und zwei Sekunden später hörte sie, wie Nick, ihr Ex- Verlobter sie um ein treffen bat, was er bei der zweiten Nachricht wiederholte.

Sie nahm den Hörer in die Hand, und wählte die Nummer von Nick, der sich sofort meldete.

„Nick, ich bin gerade zurückgekommen. Wenn du willst, können wir uns in einer Stunde im Café treffen“.

„Aber sicher, Nora! Ich werde in einer Stunde da sein!“

Sie legte auf.

Als ihr Verlobter den Hörer aufgelegt hatte, blickte er die Gestalt an, deren Gesicht im Schatten lag, und sagte: „In einer Stunde ist es soweit! Mach es schön lange und schmerzvoll für sie, aber ohne Zeugen. Niemand darf wissen, das es uns gibt!“

Die Gestalt nickte, und verschwand.

Nicks Augen wurden dunkelrot, und kleine Feuerstrahlen züngelten in seiner Iris herum, und er lächelte.

„Hanim wird stolz auf mich sein!“

 

 

Nora stieg aus dem Bus aus und blickte sich um.

Nur wenige Menschen waren noch auf der Straße. Ein Liebespaar, das eng umschlungen vor ihnen her ging, und ihren Weg durch gelegentliches küssen unterbrach, was Nora zu einem sanften Lächeln verführte.

Hach, ist Liebe doch was Schönes! Ob ich wohl eines Tages jemanden finde, der mich liebt?

Nora beobachtete, wie beide sich eng aneinander drückten, und wie ein zerlumpter unrasierter Mann, nach billigem Fusel riechend, sich an einer Straßenlaterne festhielt. Sie ging an ihm vorbei, und beobachtete, wie er ihr nachblickte. Nur noch wenige Schritte, bis zum Café, bemerkte sie, und ich werde mit Nick sprechen. Ein unbehagliches Gefühl durchfloss sie plötzlich. Was er wohl mit dem Gespräch bezwecken will? Falls er denken würde, das ich zu ihm zurückkommen würde, hat er sich wohl geschnitten!

„Bleib stehen Hexe“, hörte sie plötzlich hinter sich eine Stimme mit tiefem Timbre sprechen..

Erschreckt fuhr sie herum, und entdeckte, das der vermeintliche Penner sich plötzlich in einen Dämon mit roten Augen verwandelte, und sie durchdringend ansah.

„Deine letzte Stunde hat nun geschlagen, Hexe“, ertönte triumphierend seine Stimme.

„Wenn du meinst, du kleiner Wicht! Aber flenne nicht, wenn ich mit dir fertig werde“.

Sie begann, sich auf den Dämon zu konzentrieren, als ihr plötzlich von hinten die Augen verbunden, und ihre Hände gepackt, und nach hinten festgebunden wurden.

„Wenn du eine Chance hast, sich gegen uns zu wehren“, hörte sie eine Stimme, während eine andere, männlich klingende Stimme, sagte: „ Sie ist unter Kontrolle, Mrula!“

Sie hörte, wie die Stimme des Dämons, Mrula, siegessicher lachte, und befahl: „ Bringt sie in den Wagen, und dann tötet sie auf dem Ritualplatz. Und wenn ihr fertig seid, nehmt euch die anderen Hexen vor!“

Einer schlug ihr mit einem schweren Gegenstand auf dem Kopf, und sie umhüllte Dunkelheit.

 

 

 

Anna hatte es sich vor dem Fernseher gemütlich gemacht. Das Glas Rotwein war wohl temperiert, die Käsehäppchen großzügig belegt, und die Fernbedienung direkt neben ihr.

Im Fernsehen liefen die „Golden Girls“, ihre Lieblingsserie mit Bea Arthur als Dorothy Sporneck, der Hünin von Frau, die sie so sehr liebte.

Gerade war Dorothys Freundin angekommen, die lesbisch war, und die sich in eine ihrer Zimmergenossinnen mit Namen Rose, verliebt hatte.

Sie hatte diese Folge schon so oft gesehen, aber sie sah sie jedes Mal wieder gerne!

Plötzlich verschwand das Bild, und sie hörte eine Stimme, die ihr sehr vertraut vorkam.

Die Stimme der Göttin!

„Anna, Nora ist in großer Gefahr. Sie wollen sie töten, und danach auch euch!“

„Wo ist sie“, fragte Anna angstvoll?

„Auf einem alten Ritualplatz der Dämonen, etwas außerhalb von Berlin, in Falkensee. Weißt du, wie du dahin kommst?“

„Ja“

„Gut, dann ruf Gerlinde an, und sag ihr, wo ihr Nora finden werdet. Sie soll das Buch der Schatten nicht vergessen, hörst du! Ich werde euch führen, wenn ihr in Falkensee angekommen seid“.

„Gut, ich werde es ihr sagen“, erwiderte sie, und hatte den Telefonhörer in der Hand. Mit raschen Bewegungen wählte sie die Nummer Gerlindes, die sich verschlafen meldete.

„Gerlinde, Nora ist in höchster Gefahr. Die Göttin hat mir gesagt, das Dämonen sie auf einem Ritualplatz in Falkensee töten wollen, und danach auch uns.“

Sie hörte, wie Gerlinde leise „Große Göttin“ ausstieß.

„Schmeiß dir schnell was über, und fahr nach dem Ortseingang von Falkensee. Ich werde da auf dich warten!“

„Okay, ich beeile mich so schnell ich kann!“

Anna legte den Hörer auf.

Der Fernseher lief wieder wie normal, aber sie hatte keinen Nerv mehr, weiterzusehen. Sie nahm die Fernbedienung, und schaltete das Gerät aus.

Nora!

Wo war sie nur?

Geht es ihr den Umständen entsprechend gut?

Ist sie noch am Leben?

Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn ihr etwas geschehen würde!

Sie zog sich schnell ihre Lederjacke über, und rannte, die Wohnungstür hinter sich zuschlagend, die wenigen Schritte zum Fahrstuhl. Sie drückte auf den Knopf der nach unten zeigte, und wartete.

„Na komm schon, du lahme Ente“, herrschte sie die Fahrstuhltür an. „Ich hab nicht viel Zeit, hörst du?“

Dann, nach wenigen Augenblicken, die ihr wie eine Ewigkeit erschien, öffnete sich die Türe des Fahrstuhls, was ihr ein „na endlich“ entlockte. Sie drückte den Knopf, der zu ihrer Tiefgarage führte, wo ihr Wagen, ein Toyota, auf sie wartete.

Sekunden später, ihr schienen es Stunden zu sein, kam sie unten an, und sie lief so schnell sie konnte zu ihrem Wagen.

Sie öffnete die Tür, und stieg ein.

Wenige Augenblicke später war sie aus der Garage herausgefahren, und auf dem Weg nach Falkensee, als ihr plötzlich einfiel, das sie vergessen hatte, Gerlinde zu sagen, das sie das Buch der Schatten mitbringen sollte.

„Scheiße“ entfuhr es aus ihrem Mund! Sie wählte Gerlindes Handy durch ihre Freisprechanlage an.

„Ja, was ist?“

„Gerlinde, hier Anna. Ich hab vergessen, dass die Göttin mich gebeten hatte, dir zu sagen, dass du das Buch der Schatten noch mitnehmen solltest. Wo bist du jetzt?“

„Noch zu Hause. Aber gut, das du noch einmal angerufen hattest, Anna! Vielleicht hätte ich es in der Aufregung vergessen?“

Anna war erleichtert.

Also war das noch rechtzeitig, überlegte sie. Hoffentlich kommen wir noch rechtzeitig um Nora zu helfen?

Angstschweiß trat auf ihre Stirn.

„Wie weit ist es von dir bis nach Falkensee“, fragte sie Gerlinde?

„Mit dem Auto etwa zwanzig Minuten, wenn der Verkehr nicht zu verstopft ist“, erwiderte Gerlinde.

„Gut, dann beeil dich!“

„Bin schon unterwegs!“

Sie legte auf.

Hoffentlich ist Gerlinde schnell da, überlegte sie. Jede Minute ist kostbar!

Sie passierte die Stadtgrenze des Bezirkes Spandau, und fuhr den Schildern entsprechend nach Falkensee.

Dann, etwa fünf Minuten später hielt sie vor dem Ortseingang und wartete auf Gerlinde, die kurze Zeit später eintraf.

Gerlinde stieg aus ihrem VW, und lief mit dem Buch der Schatten auf Anna zu, die wortlos die Beifahrertür geöffnet hatte.

„Irgendwelche Neuigkeiten“, fragte Gerlinde?

„Nein, bis jetzt noch nicht“, erwiderte Anna. „Aber da du ja mit dem Buch der Schatten endlich da bist, kann sich das ja vielleicht ändern.“

„Ich hab noch nicht wegen dem Ritualplatz hineingesehen, aber vielleicht sollte ich das jetzt tun?“

„Ja, und ich werde mir überlegen, welchen Zauberspruch wir anwenden könnten, um den Dämon zu vernichten“, sagte sie grimmig!

„Wichtiger ist erst einmal, Nora zu retten, findest du nicht auch? Um den Dämon und seine Helfershelfer können wir uns danach immer noch kümmern!“

Immer musst du das letzte Wort haben, Gerlinde! Auch wenn du recht hast, ich mag das nicht, sagte sie zu sich.

Gerlinde schlug das Buch der Schatten auf. Aber sie fand... nichts! Keinen Hinweis auf einen Ritualplatz in Falkensee. Warum sollte ich das Buch der Schatten trotzdem mitbringen, wenn eh nichts drin steht, was uns weiterhelfen könnte, überlegte Gerlinde? Also muss es einen anderen Grund dafür geben!

Sie blickte zu Anna, die wie in Trance versunken am Lenkrad ihres Wagens saß.

„Gerlinde, ich weiß jetzt, wohin wir müssen. Schnall dich bitte an, und mach dich auf eine rasende Ex- Polizistin gefasst, der sämtlichen Verkehrsregeln egal sind!“ Sie lächelte grimmig und entschlossen!

Kaum hatte Gerlinde den Gürtel um sich festgemacht, quietschten schon ihre Reifen; und mit einer Geschwindigkeit, die niemand diesem alten Wagen zugetraut hätte, fuhr Anna die Straßen entlang, bis sie in einen Waldweg einbogen, und dort nach wenigen Metern hielten.

„Wir sind gleich da“, sagte sie zu Gerlinde! „Hoffentlich kommen wir nicht zu spät?“

 

 

Nora wachte mit Kopfschmerzen von der Größe eines Bienenschwarms auf.

Ihr war kalt, und als sie sich umblickte, sah sie, das sie in einem Wald inmitten eines Bannungspentagramm stand, einem Pentagramm, das nur auf einem Fuß, das in nördlicher Richtung ausgerichtet war, und, das wusste sie, nur zu dem einen Zweck diente, sie ihrer

Magie zu berauben, um sie dann leichter töten zu können.

Sie spürte, dass sie in diesem Pentagramm keine Macht mehr hatte, Dinge zu bewegen, oder auch nur den kleinsten Zauber zu bewirken.

„Da kommst du nicht mehr raus, Hexe“, sagte der Dämon, während eine Helfershelferin, die Frau, die sie als Teil des Liebespaares wiedererkannte, ihre Fesseln prüfte, die ihr ins Fleisch schnitten.

„Die Mitte der Nacht ist noch nicht erreicht“, erwiderte sie. „Da kann noch viel passieren!“

Sie wusste, das er erst um Mitternacht mit dem Ritual beginnen konnte, das ihr die Macht nahm, um sie dann zu töten. Es war Vollmond, und sie spürte, wie ihre Lebensgeister langsam aus ihr entwischen. Sie sah keine Chance mehr für sich, konnte auch nicht durch Telepathie Anna oder Gerlinde anrufen, da sie in dem Bannpentagramm festgebunden saß.

Plötzlich spürte sie einen leisen Windhauch, der sanft um ihr Gesicht wehte.

Woher kam er, es war doch windstill?

Sie blickte sich um, und bemerkte, wie ein kleiner Busch sich im Rhythmus langsam hin und her bewegte. Sie strengte ihre Augen an, und sah, wie Gerlinde und Anna sie anlächelten.

Neue Kraft durchfloss ihren Körper!

„He, Dämon“, rief sie!“

„Ich habe wie du einen Namen, Hexe! Ich heiße Mrula, und bin der Diener meines Herrn, Hanim, den ihr ja schon kennen gelernt habt! Also nenn mich bei meinem Namen!“

„Ich habe aber keine Lust dazu, du Abklatsch aus der Hölle!“

Mrula wurde wütend. Er ging in das Pentagramm auf Nora zu, und schlug ihr ins Gesicht.

„Hexe, wenn ich mit dir fertig bin, wirst du dir wünschen, dass wir uns nie begegnet wären!“

„Den Wunsch habe ich jetzt schon, da ich das Gefühl habe, bei deinem Anblick andauernd kotzen zu müssen!“

Ein erneuter Schlag traf sie ins Gesicht.

Mrula drehte sich um, und verließ das Pentagramm, nachdem er sich vergewissert hatte, das ihre Fesseln fest waren.

„Na warte, du Fiesling“, sagte Anna in ihrem Versteck zu Gerlinde. „Du bekommst auch noch dein Fett weg!“

Das Buch der Schatten, das Gerlinde neben sich ins trockene Gras gelegt hatte, öffnete sich wie von Geisterhand berührt. Die einzelnen Blätter schlugen sich in rascher Folge um, bis sie plötzlich aufgeschlagen da lagen.

Gerlinde sah hinein, las, und stupste Anna leicht an, und deutete ihr, ebenfalls das Gelesene zu lesen. Anna tat es, und grinste. So könnten wir es schaffen, überlegte sie. Sie merkte sich den Zauberspruch, und blickte sich um. Viele unterschiedliche Baumarten standen in schönster Eintracht bunt durcheinander gewürfelt. Eiche neben Birke, Esche neben Erle, und Kieferbäume neben einer riesigen Trauerweide, deren Äste die Zweige einiger anderer Bäume berührten.

Gerlinde gab ihr das Schweizer Offiziersmesser, das sie immer bei sich trug, und wie eine Indianerin schlich Anna zu einigen Bäumen, von denen sie jeweils einen geraden Ast abschnitt.

Den Ast einer Eiche, dem Symbol der Macht. Einen Ast einer Eberesche, dem Baum der Göttin, mit der Macht, Schaden abzuwenden.

Und den gerade gewachsenen Ast einer Eibe, dem Baum des Lebens, des Todes und der Widergeburt, ebenfalls ein Baum, der der Göttin geweiht ist.

Katzenhaft schlich sie wieder zu Gerlinde zurück, der sie den Ast der Eberesche in die Hand drückte.

„Wir können beginnen“, sagte sie.

„Okay, wenn du bereit bist, bin ich es auch!“

„Ich zähle bis drei“, sagte Anna. Und dann werde ich den Ast der Eiche ins Pentagramm werfen, und du deinen Ast danach mit meinem Ast kreuzen. Hoffentlich wirkt der

Zauberspruch  den wir dann sagen auch so gut, das Nora wieder ein Teil der Macht der Drei

sein kann?“

„Bis jetzt hat alles gewirkt, was wir darin ausprobiert haben“, sagte Gerlinde, „wir brauchen also nicht sorgenvoll in die Zukunft zu blicken!“

Du bist gut, Gerlinde, überlegte sie! Wann haben wir das Buch der Schatten denn nun wirklich gebraucht? Noch nie! Also weiß ich auch nicht, wie zuverlässig es ist?

„Also, ich fang jetzt an zu zählen. Eins, zwei, und dr...“.

Wie von einer geübten Ballwerferin geworfen, landete der Ast der Eiche in mitten des Zentrums des Pentagramms, direkt vor Noras Füße.

Sie spürte, wie ihre Kraft wieder zurückfloss. Sie konzentrierte sich auf ihre Fesseln, die sich plötzlich dehnten, und auseinander sprengten. Sie nahm den Ast in ihre Hand, und verließ das Pentagramm. Die Frau wollte sie aufhalten, doch ein kurzer Gedanke Noras, und sie flog gegen eine Birke, und ein lautes knacken verriet, das ihr Genick gebrochen war.

„Hexe, du wirst mir nicht entkommen“, ertönte Mrulas Stimme wütend.

„Habe ich dir nicht gesagt, dass vor Mitternacht noch vieles passieren kann? Und nun passiert so einiges!“

Anna und Gerlinde kamen aus ihrem Versteck hervor, ihre Äste gekreuzt. Sie gingen langsam auf Nora zu, während sie sagten:

 

„Wie die Göttin es versprochen,

ist der Bann nun gebrochen!

Ist der Feind nun besiegt,

er nun seine Strafe kriegt!“

 

Nora legte ihren Ast der Eiche zu den der anderen. Sie fiel in den Singsang Annas und Gerlindes mit ein, und sie wiederholten ihn immer und immer wieder. Mrulas Körper veränderte sich. Er wurde dünner und dünner, kleiner und kleiner, bis er ganz verschwunden war.

„Ob er für immer erledigt ist“, fragte Gerlinde?

„Weiß ich nicht“, erwiderte Anna. „Ich pflege keine intensiven freundschaftlichen Kontakte zu Dämonen zu haben!“

„Na, und wie stehen deine intensiven freundschaftlichen Kontakte zu deinen Mithexen“, fragte Nora, während sie sich ihre Arme rieb, um das gestaute Blut wieder zirkulieren zu lassen?

„Besser, Schwester! Viel besser!“

„Na, dann lasst uns jetzt alle nach Hause fahren, und der Göttin danken, dass wir einander haben!“

„Hast recht, Nora“

Sie blickte Gerlinde an.

„Gerlinde, es fällt mir schwer, Fehler einzugestehen, einzugestehen, dass ich mich in bezug auf dich geirrt hatte. Aber ich bin auch Frau genug, meine Fehler einzusehen. Also, ich bin verdammt froh, das du ein Teil des Teams bist, und das meine ich diesmal wirklich so!“

„Na, dann komm her, du Dickköpfige, du!“

Sie umarmte Anna, und zum ersten Mal spürte sie so etwas wie Freundschaft zu Gerlinde, und zum ersten mal sah sie, das Gerlinde eine Frau war! Eine Frau wie sie du Nora!

 

 

Nick wartete in seiner Wohnung, die spärlich nur mit einem Bett, einem Tisch und zwei Stühlen möbliert war.

Er wartete darauf, das Mrula, der Dämon, den Hanim ihm unterstellt hatte, um Nora ihrer Macht zu berauben und zu töten, ihm mitteilte, das sein Werk vollendet wäre.

Seit Jahren schon arbeitete er für Hanim.

Hanim hatte ihm, als er noch ein Dämon war, menschliche Gestalt verliehen, damit er so Jagd

auf Hexen machen konnte, und Menschen finden konnte, die Hanim dienen wollten, wenn sie dafür Macht und Geld bekamen.

Er hatte viele gefunden!

Menschen, die nun Politiker, Richter und Wirtschaftsbosse waren. Es gab wenige Frauen unter ihnen! Anscheinend, weil Frauen nicht so sehr auf Macht und Geld erpicht waren, dachte er! Aber manche Frauen wurden doch schwach!

So wie Rita, die mit ihrem Freund Daniel, der ebenfalls Hanim diente, und Mrula, die Hexe, seine EX gefangen nahm und bestimmt schon getötet hatte, wie ein Blick auf seine Rolex ihm verriet. Es war eine halbe Stunde nach Mitternacht.

Ein Grinsen durchzuckte sein Gesicht.

Endlich hat die Hexe das bekommen, was sie verdiente. Mein Auftrag war eh an dem Tag beendet, an dem sie ihre Macht bekam. Ich hätte keinen Tag länger mit ihr ausgehalten! Einfach widerlich dieser Gestank einer Hexe, die auf Seiten der Göttin steht!

Er schüttelte sich!

Gut, das es jetzt endlich vorbei ist! Er blickte aus dem Fenster. Was mache ich denn mit den beiden anderen Hexen, überlegte er?

Die Wand seiner Wohnung öffnete sich zu einem großen Nichts der Unendlichkeit. Ein riesiger schwarzer Punkt, wie aus dem Nichts kommend, gelangte in seine Wohnung, und vergrößerte sich zu einem Wesen, deren äußere Gestalt der von Nick etwas ähnelte.

„Nun“, hast du Erfolg gehabt“, fragte das Wesen?

„Ich weiß nicht, großer Hanim“, erwiderte Nick, und verbeugte sich demutsvoll vor ihm?

„Aber ich weiß es! Mrula und die Helfershelferin sind tot, für immer vergangen! Und die Hexe ist wieder frei! Du hast versagt!“

„Großer Meister Hanim, wir haben vielleicht diesmal verloren, aber nicht für immer! Wir werden uns eine andere Falle für die Hexen ausdenken, und ich bin sicher, das wir es dann schaffen werden, die Macht der Drei zu zerstören!“

„Ich hoffe sehr, dass du recht hast! Ich hoffe es.... für dich!“

Hanim verschwand wieder in das Nichts der Unendlichkeit, und die Wand wurde wieder so eintönig, wie sie vorher war.

Nick atmete auf.

Noch einmal Glück gehabt!

Er wusste genau, dass sein nächster Plan, die Macht der drei Hexen zu zerstören, gelingen musste, sonst war er für immer verloren im Nichts!

Er setzte sich hin, und überlegte, wie er diese Aufgabe erreichen konnte, während Nora, Anna, und Gerlinde friedlich in ihren Betten bis zum nächsten Morgen schliefen.

 

ENDE

 

 

Welchen Plan heckt Nick aus, die Macht der drei Hexen zu zerstören?

Kommen Nora und Anna sich näher?

Werden die Drei Hexen nun endlich ein Team werden?

Wird Nora ihre große Liebe finden?

Und Anna Gerlinde nun als Frau ansehen?

 

Die Antworten auf diese und andere Fragen findet ihr in einer neuen Folge der  MACHT DER DREI HEXEN!

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