Er wartete schon seit einer Stunde auf seine Frau! Ungeduldig ging er die Kacheln auf demBoden des Foyers der Bibliothek, in der sie sich verabredet hatten, auf und ab. Er bemerkte,wie einige Besucher der Bibliothek ihn verwundert oder belustigt ansahen. Aber das war ihmegal!Er blickte auf die Uhr, die sie ihm zu ihrem ersten Hochzeitstag geschenkt hatte. Das wardoch sonst nicht ihre Art, zu spät zu kommen, überlegte er. Sonst rief sie mich doch immeran, wenn ihr etwas dazwischen gekommen war! Er holte sein Handy aus der rechtenInnentasche seiner schwarzen Anzugsjacke, und blickte auf das Display. Das Handy war eingeschaltet. Keine SMS, kein Eintrag auf seiner Mailbox. Er wählte ihreHandynummer, doch es war ausgeschaltet.Er legte das Handy wieder in seine rechte Innentasche der Jacke zurück, und fing wieder an,hin und her zu laufen. Eine Angestellte der Bibliothek kam auf ihn zu.„Sind sie Herr Stefan Schell“, fragte sie?„Ja?“„Eben hat die Polizei angerufen, und mitgeteilt, das ihre Frau einen sehr schwerenVerkehrsunfall hatte, und in ein Krankenhaus gebracht wurde, wo sie versorgt wird.“ Sie gabihm einen Zettel mit der Anschrift des Krankenhauses.Also, deswegen konnte sie nicht kommen! Tränen rannen über sein Gesicht. Er liebte sie seitdem Tag, an dem er sie kennen lernte, als sie den Laden betrat, in dem er als Verkäuferarbeitete. Er liebte ihr Lächeln, die Art, wie sie ihre Haare offen über ihre Schultern trug. Erlernte später ihr Wissen, ihre Intelligenz zu lieben, und freute sich jeden Tag, wenn er von derArbeit nach Hause kam.Und er wusste, dass sie ihn auch liebte!

 Aber etwas schien sie zu bekümmern!Im letzten Monat, das war ihm aufgefallen, hatte sie sich verändert!Und heute wollte sie mit ihm darüber reden, nachdem er auf sie eingeredet hatte, aus Angst,sie zu verlieren! Aus Angst, das sie einen anderen Mann liebte!Er wischte die Tränen aus seinen Augen fort, und stieg in seinen in der Nähe geparktenschwarzen Mercedes, ein Geschenk seines Vaters zu seinem 21. Geburtstag, ein. Er besaß denWagen nun schon viele Jahre, und er musste kaum in die Werkstatt mit ihm. Brigitte, seineFrau, liebte das Auto!Er steckte den Schlüssel in das Schloss, und startete die Zündung. Wie ein leises Uhrwerkschnurrte der Motor. Er legte den ersten Gang ein, und langsam bewegte sich der Wagen ausdem Parkplatz heraus, und reihte sich in den Straßenverkehr ein. Wenige Minuten später warer auf das Krankenhausgelände gefahren, stieg aus, und ging zum Pförtner, der ihm sagte, dasseine Frau im ersten Stock auf Zimmer 111 lag.Wenige Augenblicke stand er vor der Zimmertür, die er nach kurzem Anklopfen vorsichtigöffnete. Das Zimmer war leer bis auf eine Krankenschwester, die gerade ein Bett neu bezog.„Guten Tag, mein Name ist Schell, und ich wollte zu meiner Frau, die hierhin nach einemVerkehrsunfall gebracht wurde. Könnten sie mir sagen, wo ich sie finden kann?“Betreten blickte die Krankenschwester ihn an.Und da begriff er!Seine Frau war tot!Für immer und ewig tot!
Weinend brach Stefan Schell im Krankenzimmer zusammen.


    Nora saß seit Stunden schon in einem recht gemütlichen roten Sessel aus Samt und einergolden umrandeten Lehne, der zur Inneneinrichtung der Bibliothek gehörte. Die Zeit, die wieim Fluge an ihr vorbeizog, schien sie nicht zu bemerken. Das Buch, das sie gerade studierte,war aber auch viel zu spannend, um aufzuhören!Es erzählte von einer Frau, die sich in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts alsReiseschriftstellerin und Feministin einen Namen machte.Sie war gerne in dieser alten, den Charme vergangener Jahrzehnte ausstrahlender Bibliothekmit der modernen Inneneinrichtung. Und genoss es, den Menschen beim Lesen zuzusehen.Wie die weißhaarige alte Frau, die schräg gegenüber saß, ihre Brille auf den Kopf gesteckt,und mit der Intensität eines lesebegeisterten Menschen in ihr Buch vertieft war. Am meistenaber faszinierte sie der junge Mann in grauem Flanellanzug und roter Krawatte, der eineAusgabe des „Spiegels“ las, und dabei sich auf seinem Sitzplatz unruhig hin und her bewegte.Ein zarter Geruch nach Lavendel umhüllte ihre Nase.Sie drehte sich um, und sah eine Frau, die hinter ihr zum Computerraum der Bibliothek ging.Ihre Schritte waren hastig, und ihr grauer Hosenanzug von der Eleganz, die eigentlich aufeinen eigenen PC zu Hause schließen ließ.Nora beobachtete sie neugierig.Sie setzte sich an einen PC und loggte sich im Internet ein, wo sie eine Email zu schreibenschien. Sie blickte aus dem Fenster, und sah einen Mann in einem schwarzen Anzug, der imFoyer unruhig hin und her lief, und anscheinend auf jemanden wartete.Dann, nach etwa zehn Minuten, bemerkte sie, wie die Frau immer noch auf den Mann imFoyer blickte, und ebenfalls unruhig wurde.Was verbindet sie nur mit diesem Mann, fragte sie sich? Seine Geliebte? Seine Frau?Jedenfalls spannender als mein Buch! Sie legte das Buch beiseite, und beobachtete, wie einejunge Frau zu dem Mann im Foyer ging, ihm etwas sagte, und der Mann sofort durch die Türnach draußen ging. Die Frau am Computer stand auf, und mit hastigen Schritten strömte siean Nora vorbei, und gelangte zur Treppe, die sie hastig herunterlief.Na ja, was geht es mich an, wenn er seine Frau betrügt, überlegte sie kurz, und wandte sicherneut ihrem Buch zu.Ihr Handy klingelte.Sie griff in ihre Denim- Jeanstasche, und holte ihr Handy hervor, und blickte gleichzeitig aufdas Display.Die Telefonnummer ihrer besten Freundin Barbara erschien. Sie kannte Barbara schon seitihrer Schulzeit, als sie in einer Klasse waren, und sich unsterblich, wie sie damals dachten, inihren Klassenlehrer Herrn Heindl verliebt hatten.Sie machte das Handy an.„Hallo Barbara“, begann sie. „Das ist ja eine Freude! Wo bist du so lange geblieben?“„Auf Mallorca, wo mein Mann und ich eine kleine Ferienpension geleitet haben.“„Und, was machst du in Deutschland? Du bist doch in Deutschland, oder?“„Aber natürlich! Ich besuche hier Verwandte und Freunde, da wir kaum etwas zu tun haben,und mein Mann Helmut ein paar Tage ohne mich auskommen kann!“„Und hast du Lust, das wir uns treffen? Zum Abendessen bei Gino’s vielleicht?“„Was, den gibt es noch“, fragte Barbara? „Ich dachte, der müsste schon längst tot sein!“„Aber natürlich lebt er noch! Und seine Lasagne ist immer noch ein Gedicht auf dem Teller!“„Gut, dann also morgen Abend bei Gino! Sagen wir um acht Uhr?“„Ist gebongt“, erwiderte Nora, und schaltete das Handy aus.Irgend etwas stimmte nicht mit ihr, überlegte sie! Ich kenne sie zu gut! Ihre Fröhlichkeit waraufgesetzt, war nicht echt! Sie bedrückt etwas, und ich hoffe, das sie es mir morgen sagt!Ihr Blick wanderte zum Fenster, durch das die Strahlen der warmen Nachmittagssonne ihrmitten ins Gesicht schien.
„Hoffentlich sagst du es mir, Barbara!“


    Anna hastete den langen Flur des Krankenhauses entlang.Ihre schwarze Jeanshose lag eng an ihrem Körper, ebenso wie ihre schwarze Lederweste, undihr rotes Holzfällerhemd, das dezent ihre roten Haare und ihr breites Gesicht unterstrich.Mark, ein ehemaliger Kollege, war von einem flüchtenden Bankräuber angeschossen worden,und lag nach seiner Operation auf der Intensivstation. Eine Frau in einem weißen Kittel kamihr entgegen, mit einer Akte unter ihrem Arm und einer kleinen Flasche Cola in der rechtenHand. Um ihren Hals hing ein Stethoskop, und Anna atmete erleichtert auf, als sie die Frau inWeiß wieder erkannte.„Hallo Anna“, sagte die Frau, „wie geht es dir?“„Gut Klara! Und wie geht es meiner Lieblingsärztin und ihrer Frau?“„Verdammt gut, seid du uns nicht mehr besuchst, und den Kühlschrank leer futterst“,erwiderte die Ärztin mit einem Lächeln, der ihre Worte Lügen strafte.„So verfressen bin ich aber nun wieder auch nicht“, erwiderte Anna, und grinste ebenfalls.„Sag mal, wie komme ich am besten zur Intensivstation? Ein ehemaliger Kollege von mirliegt dort.“„Heißt der zufälligerweise Mark Hübner“, fragte die Ärztin? Anna nickte. „Der schläft imMoment. Die Operation ist den Umständen entsprechend gut verlaufen, und du kannst morgenfrüh wiederkommen, wenn du willst. Die Intensivstation ist die nächste Tür rechts, und duweißt ja, das du da nicht hin darfst!“„Und wenn ich im Warteraum einfach nur sitzen bleibe, und warte, bis er aufwacht?“„Du hängst sehr an ihm, nicht war?“„Er hat mir mehrmals mein Leben, und bei Vorgesetzten meinen Arsch gerettet! So etwasverbindet, Klara!“„Gut, aber dann nerv die Schwestern nicht alle fünf Minuten, hörst du!“„Aber du kennst mich doch, Klara“, erwiderte Anna.„Eben“, sagte Klara, und zwinkerte Anna verschwörerisch zu.Sie verabschiedeten sich mit einer Umarmung, und Anna blickte Klara nach, als sie in einZimmer ging. Dann machte sie sich auf den Weg zum Wartezimmer der Intensivstation.Der Raum war gähnend leer, bis auf eine Frau, die verloren auf einem Stuhl saß. Ihr grauerHosenanzug war sehr elegant, und sie roch einen zarten Lavendelduft, der sie an ihre Muttererinnerte. Die Frau hatte kurz geschnittene blonde Haare, die ihr ovales Gesicht breitererschienen ließ, als es war. Ihre graublauen Augen wirkten leblos, genauso wie ihrungeschminktes Gesicht und ihre eingefallenen Wangen.Plötzlich fing die Frau an, zu weinen.„Was ist denn los, junge Frau“, fragte Anna, und kniete sich vor der fremden Frau hin. Ihrerechte Hand berührte leicht die Hand der Frau, die sie anblickte.„Sie ist tot! Große Göttin, sie ist tot“, und ein erneuter Tränenschwall floss aus ihren Augenüber ihr Gesicht.„Wer ist tot“, fragte Anna?„Die Frau, die ich über alles liebe, ist heute gestorben!“„Und wie?“„Bei einem Verkehrsunfall, wie ich erfahren hatte. Mehr wollte die Schwester mir nichtsagen, weil ich keine Verwandte wäre! Keine Verwandte! Pah! Wir lieben uns seit einemhalben Jahr, aber ihr Ehemann hat mehr Rechte als ich!“„Ich glaube, da kann ich ihnen helfen“, erwiderte Anna, vom Schmerz der Liebe dieser Fraugerührt. „Ich bin auch eine Lesbe, und eine Ärztin hier im Krankenhaus ist eine Freundin, dieihnen bestimmt helfen wird, die notwendigen Informationen zu bekommen. Sollen wir zuihrem Büro gehen, das gleich auf dieser Etage liegt?“Die Frau nickte, und erhob sich von ihrem Sitzplatz.„Ich heiße Brigitte, und du?“„Anna“.
„Na, dann lass uns zu deiner Freundin gehen!“


    Stefan Schell saß in seiner unaufgeräumten Wohnung auf dem braunen Teppichboden, undweinte. Vor ihm lagen Briefe, die seine Frau erhalten hatte. Briefe, die ihre Liebe zu seinerFrau ausdrückten. Briefe einer Frau, die, wie der Inhalt im verraten hatte, auch von seinerFrau geliebt wurde.Frederike liebte eine Frau!Seine Frau liebt Frauen!Das war es bestimmt, was sie ihm sagen wollte!Und ausgerechnet ihre Nachbarin, Brigitte Solisch, die Staatsanwältin am Strafgericht war!Bestimmt hat sie meine arme Frau verführt, überlegte er in seinem Schmerz! Das ist jaallgemein bekannt, das Homosexuelle Frauen und Männer zu ihrer perversen Art von„Liebe“ verführen, und das meine Frau bestimmt nicht wusste, wie sie aus diesemTeufelskreis herauskommt! Bestimmt wollte sie mich deswegen sprechen! Ja, je mehr ichdarüber nachdenke, desto wahrscheinlicher ist es, das sie da raus wollte!Er redete sich in Rage.Er fing an, seine Nachbarin zu hassen, und gab ihr die Schuld daran, das seine Frau Frederikegestorben war.Er stand auf, barfuss und mit einer ausgeleierten Sporthose und Unterhemd bekleidet, undging zur Wohnungstür, die er öffnete. Sein Blick wanderte im Hausflur umher, bis er auf dergrün gestrichenen Tür seiner Nachbarin haften blieb.Kein Geräusch drang aus ihrer Wohnung.Weder von ihrer Katze, Mrs. Marple, einer frechen kleinen Katze von zwei Jahren, die esliebte, Gäste von ihrer menschlichen Mitbewohnern zu umgarnen und anzuschnorren, nochvon ihr selbst!Wütend schlug er die Tür zu, und ging in die Küche, wo er sich aus dem Kühlschrank eineFlasche Bier holte, die er in wenigen Zügen austrank. Es war seine vierte Flasche neben einerhalben Flasche Korn und einem Rest von Wacholderschnaps, den er im Bücherschrankgefunden hatte.„Verdammte Hexe“, brummte er. „Ich wünschte, du wärst tot, und nicht meine Frau!“Mit schlürfenden Schritten ging er zum Sofa, auf das er sich legte, nachdem er eine weitereFlasche Bier, die er aus dem Kühlschrank geholt hatte, ausgetrunken; und auf denWohnzimmertisch ablegte, und den Fernseher, der die ganze Zeit vor sich hingedudelt hatte,ausmachte.
Es dauerte nicht lange, und er schlief ein.


    Ginos Restorante war nur mäßig gefüllt. Zwei Kellner, und Gino, der Wirt, der am Treseneinschenkte, hatten so wenig zu tun, das sie sich öfters in der Nähe des Tresens zu einemkleinen Schwatz hinsetzten.Nora saß in der Nähe des Fensters, und blickte hinaus. Sie sah den Menschen zu, die an demgemütlich eingerichteten Lokal vorbeihasteten, voller Betriebsamkeit und ohne den Tag zugenießen.Ein hellgrauer PKW mit Marburger Kennzeichen hielt vor dem Lokal. Ein elegant gekleideterChauffeur stieg aus dem Wagen aus, öffnete die rückwärtige Tür; aus der eine elegantaussehende Frau in einem dezenten dunkelblauem Kostüm, deren Schnitt Nora sofort aufChristian Dior als Schöpfer dieses Ensembles schließen ließ.Die Frau ging mit graziösen Bewegungen auf die Tür des Restaurants zu, so das Nora diePumps sah, deren Eleganz in nichts dem Kostüm der Frau nachstand.Sie öffnete die Tür, und blickte sich suchend um.Dann ging sie, vorbei an den Wandzeichnungen verschiedener italienischer Urlaubsortepassierend, direkt auf Nora zu.„Hallo, Nora! Sag bloß, du erkennst mich nicht! Hab ich mich so verändert?“Barbara!„Dunnerlittchen, du hast dich aber rausgemacht“, entfuhr es ihr!Sie blickte ihre beste Freundin, die sie lange nicht mehr gesehen hatte, intensiv an.Ihre leicht ergrauten Haare waren voll und streng nach hinten gekämmt. Ihr ovales Gesichtwirkte schmal und eingefallen, und auch ihre Schminke konnte nicht verdecken, das es ihrgesundheitlich nicht gut ging.Sie umarmte ihre Freundin.„Na, ich bin froh, dich wieder zu sehen“, sagte sie. „Und Gino wird sich bestimmt auchfreuen!“Barbara setzte sich Nora gegenüber, und rückte ihren Stuhl dicht an den Tisch. Sie umfassteNoras Hand, und blickte ihr tief in die Augen.„Nora“, begann sie. „Ich werde nicht mehr lange leben. Ich habe Krebs! Brustkrebs!“Anna und Brigitte hatten gerade das Büro Klaras verlassen. Die Ärztin hatte Brigitte erzählt,dass ihre Geliebte bei einem Autounfall gestorben war, und starke Schmerzen gehabt hatte,aber immer ihren Namen gerufen hatte.„Soll ich dich nach Hause bringen“, fragte Anna?„Das wäre sehr lieb von dir“, erwiderte Brigitte, und lächelte sie schüchtern an. „ Ich könntejetzt nicht alleine sein!“„Na, wenn dein Kühlschrank halbwegs gefüllt, und die Sitzgelegenheiten keineFolterinstrumente sind, wird es schon gehen“.Anna versuchte, mit einem Lächeln ihre Unsicherheit zu überspielen. Was sollte sie sagen,was tun? Sie hatte zwar viele Trennungen bei ihren Freundinnen und auch in ihrem eigenenLeben erlebt, aber niemals so einige endgültige Trennung wie zwischen Frederike undBrigitte. Brigitte tat ihr leid!Sie waren erst seit kurzem ein Liebespaar, und schon riss der Tod sie auseinander!„Na, davon ist reichhaltig gesorgt! Frederike und ich wollten, nachdem sie ihrem Mann gesagthatte, das wir uns lieben, zu mir rüberkommen, um zu feiern“.Ein erneuter Tränenschwall kam aus ihren verweinten und verwaschenen Augen.Anna legte ihren Arm um sie, und drückte sie sanft an sich. „Dann lass uns jetzt losfahren. Ichmöchte unbedingt sehen, wie du wohnst!“„Ja“, erwiderte Brigitte, und hakte sich bei Anna unter.„Du hast was“, fragte Nora ungläubig?„Brustkrebs“, erwiderte Barbara, und drückte Noras Hand noch fester. „Ich weiß es schon seiteinem Jahr, als ich bei meinem Frauenarzt war“.„Aber du bist doch so jung! Du kannst doch nicht... !„Nora“, erwiderte Barbara, „Brustkrebs kann jede Frau bekommen, egal, wie alt oder jung sieist! Du bist die Einzigste außer meinem Arzt, die das weiß, und ich möchte dich bitten, esniemand zu sagen. Auch Horst, meinem Mann nicht!“„Warum er nicht? Gerade er müsste das doch wissen, Barbara! Er ist dein Mann, und er liebtdich!“„Eben! Und er würde vor Kummer und Sorgen fasst vergehen. Er würde mich in Wattepacken wollen, mich zur Chemo- Therapie schicken, und mir die Perücken kaufen, wennmeine Haare ausfallen werden.“Ihre Augen fixierten Nora, und ihre Hand hielt Nora immer noch fest umklammert.„Nora, ich will ihm das nicht antun! Und ich will auch mir das nicht antun! Ich habe nichtmehr lange zu leben! Vielleicht zwei Monate, vielleicht mehr? Und diese Zeit möchte ich mitdir und meinen Geschwistern verbringen. Und deshalb wollte ich dich fragen, ob ich bei dirwohnen dürfte?“„Gitte“, sagte Nora, ihren Kosenamen benutzend, „ natürlich kannst du so lange wie du willstmit mir wohnen, aber warum willst du nichts gegen den Krebs tun? Warum nicht kämpfen?“„Meine Mutter hatte ebenfalls Krebs, Nora“ erwiderte Barbara. „Und sie machte das alles mit.Sie wurde an ihrer Brust operiert, und mein Vater verließ uns, und ging zu einer anderen Frau,die ihre Brüste noch hatte. Meine Mutter machte eine Chemo- Therapie und verlor nicht nurihre Haare, sondern auch ihren Lebensmut. Und so wie sie möchte ich NICHT enden!“Sie ließ Noras Hand los, und wischte sich verstohlen eine Träne ab.„Was kann ich den beiden Damen bringen“, ertönte die Stimme eines Kellners?„Wir bestellen später“, erwiderte Nora unwirsch, und der Kellner wandte sich einem anderenTisch zu, an dem ein älterer Mann seine Rechnung bezahlen wollte.Nora blickte ihre Freundin an.So hatte sie Barbara noch nie kennen gelernt! So bestimmt, so fest in ihrer Entscheidung. Sokannte sie Barbara, diese lebenslustige und immer für etwas Neues bereite Frau, nicht!Plötzlich durchzuckte sie ein Gedanke.Sie wird sterben! Meine Freundin wird sterben, und sie will es bei mir tun! Kann ich dasüberhaupt durchhalten?Kann ich mit ansehen, wie sie nach und nach dünner wird, und ihr Lebensodem aus ihremKörper fließt?Sie sah ihre Freundin an.Ihr Herz wurde warm, und sie fühlte, das sie ihre Freundin liebte, und das sie Barbara nichtim Stich lassen konnte!Sie merkte, dass es ihr schwer fiel, die Entscheidung ihrer Freundin zu akzeptieren, sich nichtoperieren zu lassen, und eine Chemo- Therapie zu machen. Aber sie wusste, das sie BarbarasEntscheidung akzeptieren musste.„So, ich komme um vor Hunger“, sagte Barbara. „Was kannst du mir empfehlen?“„Die Lasagne ist noch genauso gut, wie vor fünfzehn Jahren, als wir hier zum ersten Malwaren. Weißt du noch, Barbara, wie wir nicht genug Geld bei uns hatten, unsherausschmuggeln wollten, und Ginos Sohn Mario uns erwischt hatte?“„ Und ob ich mich an diesen schlanken, gutaussehenden jungen Mann erinnere! Was wohl ausihm geworden ist?“Ihre Freundin griff sich eine Scheibe Weißbrot, das in einem kleinen Korb auf dem gedecktenTisch lag, und biss herzhaft hinein.„Na, er ist in Mainz verheiratet, hat zwanzig Kilo zugenommen, und soviel Falten im Gesichtund vier Kinder an der Backe, das ich heilfroh bin, das wir nie ernsthaft in ihn verliebtwaren!“Beide lachten herzhaft und laut. So laut, das einige ältere Damen sich pikiert zu ihnenumsahen, und sie anschauten, als ob beide ein Staatsverbrechen begangen hätten.„Wollen wir jetzt bestellen“, fragte Brigitte?Mir recht“, erwiderte Nora. „Und weißt du schon, was du willst?“„Die Lasagne, und dazu Rotwein“, erwiderte die Angesprochene.Nora winkte Gino, dem Wirt zu, der gerade in ihrer Nähe stand.„Gino“, fragte Nora, „Können wir zweimal Lasagne al forno und eine Flasche Rotweinhaben?“„Aber gewiss doch Signora Jansen“, erwiderte der Wirt.Seine Augen wanderten zu ihrer Freundin. Etwas in ihrem Gesicht kam ihm bekannt vor, under dachte angestrengt nach; woher er die Signora kennen könnte? Aber er kam nicht drauf!„Erkennst du mich immer noch nicht Gino“, fragte Barbara, und verzog ihren Mund zu einemstrahlenden Lächeln. „Wir waren lange Jahre hier regelmäßig hingekommen, und du kannstdich immer noch nicht an mich erinnern? Nora und ich sind Busenfreundinnen, Gino! Seitvielen, sehr vielen Jahren, seit wir Schulmädchen waren!“Der Funke des Erinnerns, des Erkennens durchfloss durch sein Gesicht.„Signora Barbara“, fragte er mit zweifelndem Unterton?„Genau“, sagte die Angesprochene! „Wie sie leibt und lebt!“„Das freut mich aber sehr, sie zu sehen, Signora“, sagte Gino mit breitem italienischenAkzent! „Und deshalb sind sie beide heute meine Gäste!“„Aber das können wir doch nicht annehmen“, erwiderte Barbara!„Warum nicht“, fragte Nora? „Gino war doch immer mehr als nur der Besitzer desRestaurants für uns“. Sie zwinkerte ihrer Freundin zu, die daraufhin sagte: „Na, wenn man esso sieht?“„Und was darf ich den beiden Signoras bringen“, fragte der Wirt?Sie bestellten bei Gino eine Lasagne für beide und eine Flasche Rotwein, und redeten, alsGino die Lasagne gebracht hatte, den ganzen Abend miteinander. Den Krebs erwähnten sie
nicht! .


    Sie parkten in der Nähe der Wohnung.Brigitte stieg, nachdem Anna als galante Butch ihr die Seitentür ihres alten Toyotas geöffnethatte, aus dem Wagen aus, streckte ihre Glieder, und hakte sich bei Anna ein, nachdem sie dieSeitentür geschlossen hatte.Wenige Minuten später standen beide vor einem achtstöckigen, weißgestrichenen Hochhaus.Brigitte griff in die Hosentasche ihres grauen Hosenanzugs, und nahm ein Schlüsselbundheraus. Sie suchte kurz, und steckte, nachdem sie den richtigen Schlüssel gefunden zu habenschien, diesen in das Schloss der großen mit dunklem Rot gestrichenen Eingangstür. Sieschloss auf, und beide gingen zum Fahrstuhl, wo Brigitte auf den Knopf drückte.„Wohnst du schon lange hier“, fragte Anna?„Seit zwei Jahren etwa. Ich wurde hierhin strafversetzt, weil ich angeblich für meine damaligeDienststelle nicht mehr tragbar war!“Fragend blickte Anna sie an.„Nein, nicht weil ich Frauen liebe“, erwiderte Brigitte. „ Mein Vorgesetzter meinte, dass erunwiderstehlich wäre, und jede Frau den Boden küssen müsste, auf dem er ging. Nun, einesTages machte er mich an, und als ich auf seine blöde Anmache nicht einging, versuchte er,mich zu vergewaltigen. Glücklicherweise habe ich Selbstverteidigung gelernt, und so küssteer den Boden!“Sie grinste, und auch Anna konnte sich ihr Grinsen nicht verkneifen.„Als er merkte“, fuhr Brigitte fort zu erzählen, „ das er bei mir nicht landen konnte, und erbefürchtete, das ich seinen Vergewaltigungsversuch anzeigen könnte, versetzte er mich inmeine neue Dienststelle.“„Und warum hast du ihn nicht angezeigt?“„Weil niemand mir geglaubt hätte, Anna! Er, der respektable Beamte mit vielen Kontaktenzum Justizministerium, und ich die kleine Staatsanwältin, die Gefahr lief, als Lesbe geoutet zuwerden, und damit ihre Kariere vergessen zu können!“Der Fahrstuhl war, wie ein deutliches Klingelgeräusch verriet, im Erdgeschoss angekommen.Die Tür öffnete sich, und beide stiegen ein. Brigitte drückte auf den Knopf, und, nachdemsich die Fahrstuhltür erneut geschlossen hatte, fuhren beide nach oben, wo sie in der sechstenEtage ausstiegen.Alle Türen im Flur waren in einem dunklen Grün gestrichen. Brigitte ging zu einer Tür in derMitte des Raumes, und steckte einen Schlüssel in das Schloss. Die Tür öffnete sich mit einemleisen knarren, und Anna hörte das leise Miauen einer Katze.„Da bin ich ja, Miss Marple“, sagte Brigitte, und Anna sah, wie eine getigerte junge Katze aufBrigitte zulief, und sie mit einem freudigen Miauen begrüßte. Brigitte nahm die Katze aufihren Schoß, und streichelte sie.„Darf ich dir Anna vorstellen, Miss Marple“, sagte Brigitte, und die Katze quittierte dieseVorstellung mit einem leichten Gähnen.„Angenehm, sie kennen zu lernen, Miss Marple“, erwiderte Anna.„Na, dann lass uns rein gehen, bevor die Nachbarn noch anfangen, zu tratschen“, sagteBrigitte.Sie durchquerten den engen, langgezogenen Flur Brigittes Wohnung, und betraten eingeräumiges Wohnzimmer. Bilder, Replikaktionen alter Meister wie van Gogh, Monet undRubens hingen an den Wänden, eingerahmt in goldenen Rahmen, deren Preis schon vonweitem zu sehen war.Der schwere Eichentisch, das Ledersofa aus gegerbtem Büffelleder, und die beiden samtenenSessel, die alle auf einem kostbar aussehenden in Brauntönen gehaltenen Perserteppichstanden, zeugten von dem erlesenen Geschmack der Wohnungsinhaberin.„Nimm doch Platz, Anna. Ich gebe derweil Miss Marple frisches Futter und Wasser. Wasmöchtest du trinken?“Hast du Selters“, fragte Anna?„Mit oder ohne Kohlensäure?“„Mit, wenn ich schon die Wahl habe!“Brigitte ging aus dem Wohnzimmer, neugierig von Miss Marple verfolgt.Anna blickte auf den großen Wohnzimmerschrank, in deren Glasvitrine neben mehrerenwein- und Sektgläsern auch einige Fotos zu sehen waren, die zwischen den Scheiben derGlasvitrine eingeklemmt waren.Sie ging auf den Schrank zu, und blickte sich die Bilder genauer an.Auf den meisten war Brigitte zu sehen, die, in einem figurbetonten Bikini neben einer sehrschlanke und feminin aussehende Frau stand, die sie fest umschlungen hatte.Eine schöne Frau, die entspannt in die Kamera blickte.Ihre rötlichen Locken umschmeichelten spielerisch ihr ovales Gesicht, das sie dezentgeschminkt hatte. Ihre hohe Stirn, kunstvoll durch ihr Pony versteckt, gaben ihr den Ausdruckeiner Aristokratin. Die konisch nach oben laufenden Wangenknochen, die sie dezent mit einwenig Wangenrouge hervorgehoben hatte, gaben Anna den Eindruck, das diese Frau wusste,was sie wollte!Brigitte kam mit einem Tablett zurück, auf dem zwei Gläser und eine Flasche Selterskunstvoll balanciert wurden. Sie stellte alles auf den breiten Tisch, und ging zum Schrank, ausdem sie aus einer Schublade mehrere Untersetzer aus Kork hervorholte, die sie auf den Tischstellte. Sie stellte die Gläser und die Flasche darauf, und brachte das Tablett fort.Anna setzte sich in einen der Sessel, die in der Nähe des Wohnzimmertisches standen, undwartete darauf, dass Brigitte wieder zurückkehrte. Miss Marple, die inzwischen wiederhereingekommen war, setzte sich auf die breite Couch auf ein Stück brauner Decke, dasvermutlich extra für sie bereit lag.Brigitte, die zurückkam, setzte sich wortlos neben ihre Katze, die sie zu kraulen anfing.Plötzlich weinte sie.„Du vermisst sie, nicht war“, sagte Anna, und stand auf, um sich neben ihr auf die Couch zusetzen, was Miss Marple mit einem empörenden Fauchen quittierte, und sie sich trollte. Annalegte ihre Arme um Brigitte, die sich schluchzend an ihre breite Schulter drückte.„Erzähl mal was von ihr? Wie habt ihr euch kennen gelernt“, fragte sie, und bemerkte, wieBrigitte etwas ruhiger wurde.Brigitte holte aus ihrer Hosentasche ein Zelltaschentuch, schnaubte hinein, und wusch sich dieTränen ab, die ihr Gesicht bevölkerten.Sie sah Anna dankbar an, lächelte, und begann zu erzählen: „ Wir lernten uns kennen, als ichhier eingezogen war, kurz nachdem das mit dem Staatsanwalt passierte. Wir hatten zuerst eingutes nachbarschaftliches Verhältnis, redeten viel miteinander, und ihr Mann, sie und ichbesuchten gerne gemeinsam Ausstellungen und Theateraufführungen.Dann, eines Tages, bemerkte ich, dass ich mich in sie verliebt hatte. Und, was ich damalsnoch nicht wusste, sie sich auch in mich. Ich versuchte, meine Gefühle zu verdrängen, dennschließlich war sie ja eine Hete, und du kennst ja das ungeschriebene lesbische Gesetz, sichniemals mit ner Hete einzulassen, weil es nur Ärger bringt!“Anna kannte dieses „Gesetz“ nur zu gut!Wie oft hatte sie dagegen verstoßen, und wie oft musste sie erleben, das diese heterosexuelleFrauen, in die sie sich verliebt hatte, nur auf ein Abenteuer aus waren; und nicht bereit waren,sie für ihre vermeintliche heterosexuelle Sicherheit aufzugeben.„Und was geschah weiter“ fragte sie Brigitte?Brigitte goss die Selters in die Gläser, trank hastig einige Schlucke, und fuhr fort: „ Ich fingan, den Kontakt zu ihr zu meiden. Ich rief sie nicht mehr an, und hoffte, durch meineZurückhaltung, mit meinen Gefühlen für sie irgendwie klar zu kommen. Sie kam an meineTür, klingelte, und ich tat so, als sei ich nicht zu Hause. Sie fehlte mir, und eines Tages, ichkonnte es nicht mehr aushalten, bat ich sie um ein klärendes Gespräch bei mir zu Hause. Siekam, und als sie sich dort hingesetzt hatte, wo auch du jetzt sitzt, und wir etwas Small- Talkhinter uns gebracht hatten, die unsere innere Anspannung nur noch vergrößerte, gestand ichihr, das ich sie liebte, und das wir uns deswegen nie wieder sehen dürften.Und dann sagte sie mir, das sie mich auch lieben würde, und das sie das verwirrte. Und dassie sich erinnert hatte, das sie sich schon immer mehr zu Frauen, als zu Männern hingezogenhatte, aber damals nie bereit war, das vor sich selbst und der homophoben Öffentlichkeiteinzugestehen.In dieser Nacht wurden wir ein Paar!Miteinander geschlafen hatten wir an diesem Abend noch nicht, und war uns auch nicht sowichtig, trotz des Begehrens, das wir füreinander empfanden. Das geschah erst eine Wochespäter!“Miss Marple, die wieder ins Wohnzimmer hineingekommen war, sprang auf Brigittes Schoß,und diese fing an, das weiche Fell ihrer Katze zu streicheln.„Und wie gingt ihr damit um, dass sie verheiratete war?“„ Ja, wie gingen wir damit um? Zuerst waren wir sehr darauf bedacht, das ihr Mann nichtsmitbekam, und dann, vor einigen Tagen sagte Frederike mir, dass sie diesen unwürdigenZustand nicht mehr länger ertragen konnte; und ihrem Mann Stefan alles beichten wollte. Siewollte die Scheidung, und mit mir und Miss Marple zusammen leben. Sie wollte es ihm in derStadtbibliothek sagen, und ich sollte alles von oben beobachten, und; falls er wieder einmaleinen Ausraster kriegen würde, weil es nicht nach seinem Willen gehen würde, zu ihr stoßen,und ihr beistehen“.Einer ihrer Nachbarn spielte sehr laut ein Musikstück der Wildecker Herzbuben, und grölteim betrunkenem Kopf dazu „Herzilein, du musst nicht traurig sein...“.„Wenn ich das nur könnte“, erwiderte Brigitte zu sich selbst. „Wenn ich das nur könnte!“


    Etwas ließ Stefan Schell wach werden.Das monotone hämmern einer gleichförmig klingenden Melodie und das Gegröle seineNachbarn Heinz drang wie aus weiter Ferne kommend, an sein Ohr. Sein Kopf dröhnte, undlangsam kamen seine Erinnerungen wieder zurück.Seine Frau war eine verdammte Lesbe!Sie hatte ein Verhältnis mit ihrer Nachbarin, dieser Schlampe, die sie verführt hatte! Erneutstieg die Wut auf seine Frau und seine Nachbarin wieder in ihm hoch. Er stand auf, und spürtedie starken Kopfschmerzen, die wie Hammerschläge in seiner Stirn zu klopfen schienen.Daran ist nur diese Schlampe schuld, dachte er, und begab sich in die Küche, um sich einneues Glas Bier einzuschenken.Er hörte, wie die Nachbarin, die offensichtlich wieder zu Hause war, mir jemand anderessprach. Er konnte keines ihrer Worte richtig verstehen, aber er bekam mit, das sie überFrederike, SEINE FREDERIKE, sprachen.„Eine Lesbenschlampe wie die hat kein Recht, über meine Frau zu reden! Hätte dieseLesbenschlampe ihre schmutzigen Griffel von meiner Frau gelassen, wäre sie jetzt noch amLeben!“Er sprang auf, und ging zu seiner Wohnungstür, die er öffnete. Mit eiligen Schritten undbenebelten Kopf hämmerte er an die Tür seiner Nachbarin.„Mach auf du Schlampe, sonst schlage ich dir die Fresse ein“, drohte er, und brüllte wie einwildgewordener Stier.
Und wieder hämmerte er gegen die Tür seiner Nachbarin.


    Anna und Brigitte schreckten durch ein lautes Hämmern gegen Brigittes Tür, und dasSchreien einer betrunkenen, männlich klingenden Stimme, hoch.„Ist das der Mann von Frederike“, fragte Anna?Wortlos nickte Brigitte.„Möchtest du mit ihm sprechen?“„Nicht, wenn er so aggressiv randaliert! Vielleicht ist er auch noch besoffen, und in so einemZustand, den ich von ihm nicht kenne, ist jeder Mann gefährlich!“„Gut“, erwiderte Anna, „dann werde ich ihn mal abwimmeln!“Sie stand auf, und ging zur Wohnungstür. Hinter der Tür sagte sie laut: „Hören sie mal, FrauSolisch möchte jetzt nicht mit ihnen sprechen. Vielleicht wäre es gut, wenn sie sich ersteinmal hinlegen und ihren offensichtlichen Rausch ausschlafen? Morgen sieht das dann schonbestimmt anders aus!“„Verdammt, ich will aber mit dieser Schlampe sprechen! Schließlich hat sie meine Frauverführt! Meine Frau ist eine anständige Frau, die nicht lesbisch ist“, brüllte die Stimme ander anderen Türseite.Er wusste es also!Sie ging zu Brigitte zurück. Deren versteinertes Gesicht sagte ihr, das sie alles mitbekommenhatte, was der Mann ihrer Liebsten gesagt sagte. Ein Gefühl von Erleichterung durchflossAnna.Dann braucht sie es ihm nicht mehr zu sagen, durchzuckte ein Gedanke sie! Es missfällt mirnur, das es Brigitte die Schuld gibt, wo gar keine Schuld ist! Frederike war eine erwachseneFrau, die sich in eine Frau verliebt hatte. Na und? So was passier tagtäglich! Und manchmalauch in die andere Richtung wie bei Connie, die lange als Lesbe lebte, und sich plötzlich ineinen Mann verliebte. Gut, es war ein umoperierter Mann, also mit etwas Frauenanteilen insich, aber Mann ist nun einmal Mann!Wozu also dieser Krach?„Was willst du tun“, fragte sie„Ich glaube, ich bin es Frederike und unserer Liebe schuldig, das ich mit ihm spreche. Ichhabe nur Angst, dass er durchdreht“, erwiderte Brigitte, und Anna merkte, wie BrigittesKörper zu zittern anfing.„Na, du kannst dich wehren, und ich als ehemalige Polizistin kann es auch! Zu zweit denkeich, werden wir ihn schon zur Räson bringen, wenn er aggressiv wird!“ Sie spürte, wieBrigitte mit sich kämpfte, ob sie Frederikes Mann nun hereinlassen wollte oder nicht, und siemerkte, wie sich Brigittes Muskeln entspannten.Sie hatte eine Entscheidung getroffen!„Lass ihn bitte herein, Anna!“Anna drehte sich um, und ging durch den Flur erneut zur Türe, die sie öffnete. Kaum hatte siedie Tür offen, bekam sie einen gezielten Schlag auf ihre Nase. Sie taumelte, fing sich aberschnell wieder, und konnte den Mann, der sie beiseite stoßen, und den Flur entlang insWohnzimmer zu Brigitte laufen wollte, gerade noch durch einen seitlich platzierten Stoßgegen sein Knie stoppen.Wie ein gefällter Baum fiel Stefan Schell zu Boden.Mit geübtem Griff brachte sie ihn unter ihrer Kontrolle, und sperrte ihn, nachdem sie sichvergewissert hatte, das Brigittes Bad keine Fluchtmöglichkeiten bot, dort ein. Mit einemschnellen Dreh schloss sie die Tür ab, und ging zu Brigitte, während der gefangeneRandalierer wie ein Irrer gegen die Tür schlug, und etwas von „Freiheitsberaubung“ und„Bullen holen“ brüllte.„Ich bin die Polizei, Kleiner“, sagte Anna, und grinste, als sie bei Brigitte angelangt war.„Und jetzt“, fragte sie? „Sollen wir meine ehemaligen Kollegen holen, und ihm ein Dingwegen Hausfriedensbruch und Körperverletzung verpassen?“„Lass ihn sich erst einmal beruhigen, und dann lass ihn raus, und schärf ihm ein, das er dran ist, wenn er sich noch einmal wie ein Neandertaler benimmt!“


    Die kühle Abendluft tat Barbara und Nora nach ihrem reichhaltigen Essen gut, und siebeschlossen, einen kleinen Verdauungsspaziergang zu unternehmen. Die Strassen waren fastmenschenleer, nur vereinzelte Liebespaare jeden Alters waren zu sehen.Ein junges Paar küsste sich leidenschaftlich vor der Geschäftsauslage einesBrautmodengeschäftes.Plötzlich dachte sie an Anna, und das küssende Paar vor ihren Augen nahmen Annas und ihreZüge an. Es war ihr, als ob sie Annas Küsse auf ihrem Körper spüren würde, und wie ihreexstatischen Finger an ihrem Körper entlang wanderten. Ein süßer Schauer durchflutete ihrenKörper.„Süß, die zwei Turteltauben“, unterbrach ihre Freundin ihren Tagtraum. „Findest du nichtauch?“„Ja“, und vor allem, wie intensiv sie die Umwelt um sich vergessen!“„Apropos Liebe! Was gibt es neues an der Unverheiratetenfront? Bist du solo oder in festenHänden?“„Bis vor kurzem war ich mit einem Mann leiert, aber das war nichts, denn er war ein Arsch!“Sie verschwendete einen flüchtigen Gedanken an Nick, ihren Ex- Verlobten, von dem sieglaubte, dass er daran Schuld trug, dass ein Dämon sie gefangen genommen hatte.Plötzlich durchzuckte sie ein Gedanke!Barbara weiß nicht, das ich eine Hexe bin! Was mach ich nur, wenn sie das rauskriegt? Undwas ist, wenn Anna, Gerlinde und ich wieder einen neuen Auftrag der Göttin bekommen, undverschwinden müssen?„Na ja, andere Mütter haben auch schöne Söhne“, erwiderte Barbara.„Genau“, sagte Nora, und hakte sich bei ihrer Freundin ein.Sie sahen sich die Auslage eines Brautmodengeschäftes an, vor das sich die beiden Liebendenbis vor wenigen Augenblicken leidenschaftlich geküsst hatten.Die Modelle gefielen ihr, so edel und formschön sie geschnitten waren. Erneut wanderten ihreGedanken zu Anna. Sie stellte sich vor, wie sie in einem dieser Brautkleider steckte, undAnnas Arm sie zärtlich umarmte, als sie vor dem Standesbeamten standen; der sie aufforderte,ihr „Jawort“ auszusprechen, um sie rechtskräftig miteinander vermählen zu können.Der Anflug eines Grinsens flog durch ihr Gesicht, etwas, das ihrer Freundin nicht entgangenwar.„Sag mal, warum grinst du so? Gibt es da etwas, was ich wissen sollte?“„Neeeeeeeeeeeee“, sagte Nora, und grinste erneut.„Also, das kannst du deiner Großmutter erzählen, oder jemanden in einer Sekte, die eh jedenScheiß glauben“, sagte Barbara, und knuffte ihrer besten Freundin leicht in die Rippen. „Also,nun raus mit der Wahrheit!“Wahrheit?Was war die Wahrheit?Das ich mich zu einer älteren Frau hingezogen fühle, sie begehre, die zudem noch meinePartnerin im Auftrag der Göttin ist? Das ich nicht weiß, ob ich tatsächlich bisexuell bin, ich,die vorher immer nur Männer liebte? Das ich Angst habe, es jemanden zu sagen, besondersBarbara nicht, um sie nicht zu verlieren, oder ihr zu schaden?„Es ist noch nicht spruchreif, Barbara“, erwiderte sie, und drückte die Hand ihrer Freundinleicht. „Aber wenn es soweit ist, wirst du eine der Ersten sein, die es erfährt!“„Na, das will ich auch hoffen“, sagte Barbara, und hakte sich bei ihrer Freundin ein.Ihr unfreiwilliger Gast im Bad hatte sich endlich beruhigt. Anna brachte ihn ins Wohnzimmer,wo sie ihm einschärfte, das er sich gesittet mit seiner Nachbarin unterhalten sollte, andernfallswürde er gewaltigen Ärger bekommen.Er versprach es!Und nun saß er auf der Couch, und blickte seine Nachbarin an, die gerade zum Redenangesetzt hatte.
„Stefan“, begann sie, „wir haben sie beide geliebt! Und nun ist sie tot, und kommt...“.


    „Wegen dir ist sie tot“, unterbrach er sie rüde. „Du bist alleine schuld, dass sie tot ist! Hättestdu sie nicht verführt, wäre sie noch am Leben!“Er sprang auf, unerwartet für Brigitte und Anna, stürzte auf Brigitte zu, und versuchte, sie zuwürgen, wobei er immer wieder „du bist schuld, du Lesbenschlampe“ schrie.Anna versuchte, ihn von Brigittes Körper wegzudrängen, doch der Hass und die Wut gabenihm ungeheure Kräfte.Er drückte noch fester zu. Brigittes Gesicht wurde rot, ging ins violette über, und wurde blau.Sie röchelte, doch der feste Griff um ihren Hals lockerte sich nicht. Ihre Augen, derenPupillen schon ganz erweitert waren, bemerkten aus den Augenwinkeln, wie etwas sehrgroßes auf den Kopf des Mannes hernieder sauste, und an seinem Kopf in tausend kleineTeile zerfiel.Sie sah, wie Stefan Schell wie ein nasser Sack zu Boden fiel, und wurde ohnmächtig. Nacheiner kurzen Weile, die nur wenige Minuten dauerten, ihr aber wie Stunden vorkamen,erwachte sie.Stefan lag gefesselt vor ihr und schien zu schlafen, während Annas Hände gerade dabeiwaren, ihn auf die Couch zu hieven. Sie keuchte vor Anstrengung.„Was war das“, fragte sie Anna?„Eine sehr teuer aussehende chinesische Vase nebst der Wut der Verzweiflung, die aufseinem Kopf landete.“ Sie blickte zu den Scherben der kostbaren Mingvase, und meinte: „Naja, jetzt weiß ich auf jeden Fall, was ich dir zum Geburtstag schenken werde“, und grinste.„Ist ja nur Porzellan“, sagte Brigitte, und versuchte aufzustehen, doch sie merkte, dass sie zuschwach war, und ihre Beine ihr den Dienst versagten.Sie fiel zu Boden, und blieb, wie ohnmächtig, liegen.„Auch das noch“, schimpfte Anna in sich hinein. „ Ja, bin ich hier denn zu schleppen hier?“Mit der letzten Kraft, die sie nach dem hochheben des Mannes noch zur Verfügung stand,schaffte sie es gerade noch, Brigitte hochzuheben, und in einen Sessel in ihrer Nähe zu setzen.Dann setzte sie sich erschöpft auf den Boden.Die ganze Sache beginnt, mir über den Kopf zu wachsen, überlegte sie.Ein durchgeknallter Mann, der nicht damit fertig wird, das seine Frau eine Frau liebt, eineFrau, die lebt, und sich schuldig fühlt, wo keine Schuld ist, und eine Tote! Göttin, was soll ichnur tun?„Dir Hilfe holen“, hörte sie die vertraute Stimme der Göttin in sich! „ Und zwar von der Frau,die gestorben ist. Nur sie kann beiden Menschen helfen, sich mit sich und der Situation zuversöhnen. Ruf sie, Anna! Wie, das weißt du ja!“„Alles bleibt wieder an mir hängen“, flüsterte sie.„Weil du die Einzigste bist, die hier ist, und genug Wissen hat, um es möglich zu machen“,hörte sie die Stimme der Göttin!Ihr Blick fiel auf Brigitte, die wie im Tiefschlaf versunken im Sessel lag. Der Mann, auf denihr Blick anschließend fiel, lag gefesselt auf der Couch, und es schien ihr, als ob er leise vorsich hin stöhnen würde.Sie ging auf ihn zu, und drückte mit ihrer flachen Hand auf eine Stelle hinter seinem rechtenOhr. Es sackte in sich zusammen. Sie wusste, dass er für mindestens eine halbe Stundeschlafen würde, genug Zeit, alles vorzubereiten, und die Frederike zu rufen.Sie ging und die Küche, und fand in einer Schublade mehrere schmale weiße Kerzen, die sie,ebenso wie Streichhölzer, Wermut und Anissamen in der Küche fand. Sie griff in ihreJackentasche, wo noch ein kleiner Rest Diptamdost in einer kleinen Tüte lag. Sie nahm denWermut und den Most, und zerstieß alles in einem kleinen Küchenmörser. Die Anissamenlegte sie dazu, und zerstieß diese ebenfalls. Dann vermischte sie alles, und suchte einemetallene kleine Schüssel, indem sie alles hineinschüttete.In einer Ecke im Osten des Wohnzimmers, direkt unter einem großen Fenster, baute sie einenAltar auf. Sie legte eine weiße Tischdecke aus, und darauf zwei Kerzen, zwischen denen eineRose, als Sinnbild der Göttin, stand. Vor der Rose legte sie die Metallschüssel mit demRäucherwerk, das sie, nachdem sie sich geerdet und zentriert, und den heiligen Ritualkreisgezogen hatte, anzündete.Sie nahm das Gefäß in ihre Hände, und hob es hoch, während sie durch den Raum schritt, undsagte: „ Im Namen Artemis, der Göttin der Lebenden und der Toten. Im Namen Hektates, derWächterin des Totenreiches, und im Namen der Liebe, rufe ich dich, Frederike Schell, treteaus dem Reich der Schatten in das Reich der Lebenden! Die Lebenden brauchen dich! DieFrau, die dich liebt, braucht dich! So sei es!“Sie wiederholte diese Worte in jeder Himmelsrichtung, in die sie sich drehte, und legte zumSchluss die Schüssel auf den Altar. Sie hob ihre Hände, nachdem sie sich vor dem Altarniedergekniet hatte, und summte ein altes Lied der Kelten. Ihre Stimme, zuerst leise, steigertesich von Mal zu Mal, und wurde immer lauter.Der Duft eines süßlichen, sehr schweren Parfüms zog durch ihre Nase, und nahm ihr etwasden Atem.„Du hast mich gerufen“, ertönte hinter ihr eine Stimme?Anna drehte sich um.Der durchsichtige Geist einer jungen, sehr schlanken Frau in einem wallenden weißenGewand stand vor ihr. Ihre halblangen, gewellten Haare umschmeichelten spielerisch ihrhalbrundes Gesicht, in dem ihre braunen Augen nur noch eine Ahnung ihrer vergangenenSchönheit lieferte.„Ja“, sagte Anna. „Dein Mann ist wie ein Irrer, seit er weiß, dass du eine Frau liebst. Er gibtBrigitte die Schuld, und wollte sie umbringen, was ich, Göttin sei Dank, gerade nochverhindern konnte. Und deine Süße fühlt sich schuldig, weil du tot bist. Soweit die Fakten!“Sie blickte Frederike durchdringend an.„Sie brauchen dich beide, Frederike! Sie brauchen dich, um in Frieden von dir Abschiednehmen zu können!“„Und was hast du damit zu tun“, fragte Frederike?„Ich war im Krankenhaus, um einen ehemaligen Kollegen zu besuchen, wo ich Brigitte traf,und mit ihr ging, weil ich merkte, wie nervlich fertig sie war. Und als Hexe, weiß ich, was ichtun musste, um dich zu rufen, denn ich alleine kann ihnen nicht helfen!“„Du willst also nichts von Brigitte“, fragte Frederike?Göttin, wie süß! Sie ist eifersüchtig auf mich!„Nein“, erwiderte sie“. „Ich bin zwar im Moment solo, aber noch nicht bereit, für eine neueBeziehung, und One Night Stands sind nicht mein Ding!“Sie spürte, wie Frederike erleichtert aufatmete.„Und was meinst du, sollte ich tun, um beiden zu helfen?“
Anna sagte es ihr.


    Nora und Barbara waren in Noras Zimmer mittlerweile angekommen. Erschöpft warfen sichbeide Frauen auf die breite, mit einer indianischen Navajodecke überspannten Couch, dieNora bei einem Besuch in einem Indianerreservat in Arizona gekauft hatte, als sie mit Nicknoch glücklich war.Barbaras Atem ging schwer, und zeigte Nora überdeutlich, wie erschöpft sie war. Sie legteihren linken Arm um ihre Freundin, und fragte: „Hast du Durst?“„Ja“, erwiderte Barbara. „ Wenn du was Kaltes und Kalorienarmes hast? Ich muss auf meineFigur achten, denn ich hab wieder zugenommen!“Nora blickte ihre Freundin an.Verstohlen floss eine Träne aus ihrem Auge, das sie ebenso verstohlen abwischte. Göttin, siewird bald sterben, und macht sich Gedanken um ihre Figur! Warum hadert sie nicht mitihrem Schicksal, oder kämpft dagegen an? Warum genießt sie nicht das Leben und hat vieleLiebhaber? Und warum zur Hölle mache ich das mit ihr mit?Weil du sie liebst“, hörte sie die Stimme der Göttin in sich! „ Weil sie wie die Schwester ist,die du nie hattest! Und, weil eure Leben schon so lange miteinander verbunden sind, das ihreins geworden seid!“„Ist Diät- Cola recht“, fragte sie ihre Freundin Barbara, die nickte?Nora ging in ihre geräumige Küche, und holte aus ihrem Kühlschrank eine Flasche Colaheraus. Dann ging sie an ihren Küchenschrank, und holte zwei Gläser, die sie auf denKüchentisch legte.„Mit Eiswürfel“, fragte sie?„Ja, aber nicht zu viele! Ich will ja nicht erfrieren“, erwiderte ihre Freundin.Sie ging zum Gefrierfach ihres Kühlschrankes, und holte für jedes Glas drei Eiswürfel hervor.Dann stellte sie alles auf ein Tablett, und brachte es ins Wohnzimmer, wo sie es auf demWohnzimmertisch abstellte. Sie stellte die Gläser hin, und goss ein. Die Kohlensäurebläschensprudelten und schäumten, während sich Nora neben Barbara hinsetzte. Barbara kuscheltesich an sie, und sagte: „ Weißt du noch, wie wir so damals in meinem Kinderzimmer saßen,und uns trösten, als wir erfuhren, das ihr Lehrer, Herr Heindl, verheiratet, und Vater von dreiKindern war?“Nora grinste.„Und ob ich das noch weiß! Immerhin sind wir damals um vier Pfund schwerer geworden!Vier Pfund, für die deine Mutter die alleinige Verantwortung trug! Sag mal, was macht sieund dein Vater eigentlich so als Pensionisten?“Traurig blickte Barbara sie an.„Sie sind geschieden worden. Als Mutter sich mit einem anderen Mann traf, ist Paps daranzugrunde gegangen, und hat sich umgebracht! Mutter wollte, dass ich sie und ihren neuenMann besuchen komme, aber ich wollte das nicht! Ich hätte sie nur angeschrieen, denn sie istschuld am Tod von Paps! Hätten sie sich vertragen, oder sie nicht so schnell sich einen neuenMann gesucht, wäre Paps noch am Leben!“„Wann starb dein Vater denn?“„Vor etwa einem Jahr“, erwiderte Barbara. „Und seit er tot ist, sehne ich mich so nachBeständigkeit, nach Sicherheit“.„Aber beides kann es nicht geben, Barbara!“„Und warum nicht? Warum können Eltern nicht ein Leben lang Zusammensein? Warummüssen Eltern sterben, bevor ihre Zeit gekommen ist?“„Woher willst du wissen, ob das sie Zeit deines Vaters war, oder nicht? Wir alle sterben zuder uns bestimmten Zeit! Sei es durch eine Krankheit, einen Mord, Selbstmord, Unfall, odersonst wie, es ist ihre Zeit zu gehen! Und egal, wie auch die äußeren Umstände des Todeswaren, es war seine Zeit zu gehen!“„Das glaube ich nicht! Mutter ist alleine schuld daran, das Paps tot ist! Wieso wollte sie dennsonst, dass ich zu ihr komme? Das waren doch nur ihre Schuldgefühle!“„Vielleicht waren es Schuldgefühle, Barbara? Vielleicht aber auch ihre Liebe zu dir. IhrMitgefühl, ihre Sorge um dich, da sie wusste, wie sehr du an deinem Vater hingst? Schon maldaran gedacht?“Nora blickte ihre Freundin an.Sie merkte, wie es in Barbaras Gesicht arbeitete, wie sie nachdachte. Hoffentlich versteht sie,überlegte sie, das der Tod ihres Vaters nichts mit der Entscheidung ihrer Mutter zu tun hatte,sich neu zu binden? Das ihr Vater sich auch so umgebracht hätte, weil er sich wertlos gefühlthatte, weil er meinte, nicht mehr genug „Mann zu sein“. Weil eine Gesellschaft wie dieser,mit ihren kaputten und überholten Geschlechtsrollendenken, Männer, und auch Frauen quasiin den Selbstmord treiben!„Ich wünschte, du hättest recht, Nora“, sagte sie. „Ich wünschte, du hättest Recht!“„Ich habe recht, Barbara“, erwiderte Nora mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete.„Weißt du, wie du dich jetzt eben angehört hast?“„Wie denn?“„Wie mein Vater, wenn ich wieder einmal viel zu spät nach Hause kam, und er mir eineStandpauke über Pünktlichkeit und Wort halten hielt!“ Plötzlich fing sie an zu weinen. NorasArm umschlang ihre Freundin, und drückte sie fest an sich. „Lass es raus“, bat sie. „Bitte lasses raus!“„Ich vermisse ihn so sehr, Nora“, erwiderte Barbara. „Er fehlt mir so!“„Das kann ich gut verstehen, Liebes! Sehr gut sogar!“Für einen kurzen Augenblick dachte sie an ihren Vater, der eines Tages verschwunden war,als sie vier Jahre alt war. Später hatte sie ihre Mutter nach ihrem Vater gefragt, aber die hatteimmer wieder Ausflüchte, und wollte mit ihr nicht darüber reden.Und ob sie Barbara verstand!
Sie vermisste ihren Vater ja auch!


    Brigitte war erwacht, und rieb sich ihren Hals, den wenige Minuten vorher von Stefan, demMann ihrer Liebsten gewürgt wurde. Stefan lag immer noch gefesselt auf der Couch, undwurde gerade wach.„Na, gut geschlafen“, fragte spöttisch Anna ihn?„Bind mich los, du Schlampe, oder ich...“„Oder was, mein Kleiner? Schließlich bist du fest verschnürt, und wir zwei Hübchen nicht!Das heißt, eigentlich wir drei!“„Wir drei“, fragte Brigitte, die sich langsam aus ihrem Sessel erhob?„Ja, wir drei“, bestätigte Anna. „Ich habe mir erlaubt, noch eine weitere Frau zu dieser Partyeinzuladen, um endgültig für alle Parteien für Klarheit zu sorgen.“Sie drehte sich in Richtung Küche um, und sagte: „Du kannst jetzt kommen, Frederike!“Die durchsichtige, in einem wallenden weißen Gewand umhüllte Gestalt einer Frau erschien.„Frederike“, stieß Stefan Schell hervor!„Liebste“, schrie Barbara. „Du hier? Aber ich denke du bist...“.„Tot“, vollendete Frederike den Satz ihrer Geliebten. „ Ja, das bin ich auch! Was ihr hiersieht, ist mein Geist, den Anna gerufen hat, um euch beiden zu helfen, Frieden mit euch undin sich selbst zu finden. Anna ist eine Hexe. Eine gute Hexe! Eine Frau, die will, das wir alleAbschied von einander nehmen können, und das ihr beide versteht, was geschehen ist.“Sie ging zu Stefan.„Muss er gefesselt sein“, fragte sie?„Er war gegen Brigitte und mich gewalttätig“, erwiderte Anna. „Aber wenn er verspricht, sichanständig zu verhalten, könnten wir ihn losbinden!“„Ich verspreche es“, sagte Stefan. „Bei allem, was mir heilig ist, ich verspreche es!“Fragend sah Anna Frederike an, die wortlos nickte.Sie ging in die Küche, und kam nach wenigen Augenblicken mit einem großen Fleischmesserzurück, mit dem sie die Fesseln durchschnitt. Stefan setzte sich, und rieb seine Knöchel, dievon den Fesseln eingeschnürt waren, und blickte Frederike, seine Frau Frederike, fragend an.„Aber wie kannst du jetzt vor mir stehen, wenn du doch tot bist?“„Das könnte ich dir besser erklären, aber das würde zu lange dauern, außerdem haben wirnicht zu viel Zeit, da sie uns bald wieder verlassen muss, um ins Reich der Schattenzurückzukehren. Sie hat sozusagen „Kurzurlaub“ bekommen. Einen sehr, sehr kurzenKurzurlaub, Stefan, weshalb unsere Zeit sehr bemessen ist!„Anna hat recht, Stefan“, warf Frederike ein. „Und deshalb wollte ich dir sagen, dass ich dich,als wir uns kennen gelernt hatten, geliebt habe. Aber Zeit meines Lebens habe ich immerFrauen geliebt, diese Liebe aber nicht zugelassen.“„Aber warum habe ich nichts davon gemerkt?“„Weil ich es selbst vor mir nicht wahrhaben wollte! Du kennst doch meine Eltern, gläubigeMenschen, für die Homosexualität etwas so schlimmes war, das man nicht darüber sprach!Eine Sünde, die sie dazu getrieben hätte, mich aus ihrer Mitte auszustoßen! Und das wollteich nicht, und verdrängte all meine Gefühle.“Sie blickte ihren Mann zärtlich lächelnd an.„Stefan, du warst immer ein liebevoller Partner zu mir gewesen, und ich war immer gerne indeiner Gegenwart, und ich habe dich auch wirklich geliebt, aber diese Liebe war mehrseelisch als körperlich! Mehr intellektuell als spirituell!“Sie drehte sich um, und deutete auf Brigitte, deren Tränen wie der Niagarafall an ihremGesicht herunterfloss. „Bis sie in mein Leben trat. Zuerst waren wir Nachbarinnen, dannFreundinnen, und dann brach sie den Kontakt zu mir ab, weil sie sich in mich verliebt hatte,und meinte, dass sie keine intakte Ehe kaputt machen wollte. Aber unsere Ehe damals warnicht intakt, Stefan!“Fragend blickte er sie an?„Ich hatte in unserer Ehe vieles vermisst, was du mir nie hättest geben können! Und als ichmerkte, wie sehr ich Brigitte liebte, und wie sehr ich sie vermisste, wusste ich plötzlich, wases war!Eine Frau, Stefan!Ich sehnte mich nach dem Körper und der Seele einer anderen Frau! Nach der Verbundenheitmit ihr, dem Eins- Sein mit ihr, und der allumfassenden Nähe zu ihr. Und das wollte ich dirsagen. Aber ich kam nicht dazu, weil ein Lastwagen mich daran hinderte.“Sie blickte Brigitte an, die immer noch weinte.„Weine nicht, Geliebte!“„Warum sollte ich nicht weinen“, erwiderte Brigitte? „Du bist tot, und wir können nicht mehrzusammen sein!“„Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, Brigitte“ warf Anna ein. „Da gibt es nochMöglichkeiten“.„Wirklich“, fragte Frederike? „Wie denn?“„Wenn noch Zeit ist, werde ich es euch erklären? Aber jetzt ist erst einmal Stefan dran. Duwolltest ihn doch um etwas bitten?“„Richtig, ich wollte ihm ja noch etwas sagen!“Frederike drehte sich zu ihrem Mann um.„Stefan, ich möchte dich bitten, mir zu verzeihen, das ich dir zu Beginn unserer Beziehungnicht die ganze Wahrheit über mich gesagte habe, und auch, das du mir verzeihst, das ich dichbetrogen habe. Wäre ich noch am Leben, hätte ich mir sehr gewünscht, das wir nach derScheidung gute Freunde hätten sein können!“Sie bemerkte, wie Tränen aus dem Gesicht ihres Mannes kamen. Ein ungewohnter Anblickfür sie, schien er doch immer wie ein Fels in der Brandung zu sein, der ihr Kraft gab, wenn esim Beruf nicht so lief, wie sie wollte.Und da begriff sie, wie sehr er sich verletzt fühlte, dass sie ihn nicht wirklich geliebt hatte!Das sie ihn missbrauchte, damit ihre Eltern und ihre Kirchegemeinde zufrieden mit ihr waren,und sie weder an die Gefühle ihres Mannes noch an ihre eigenen dachte, als sie ihn heiratete.Und sie wünschte sich, die Zeit zurückdrehen zu können, um ihn und sich das nicht angetanzu haben. Aber sie wusste, dass sie das nicht konnte, dass niemand es konnte!Die Zeit war verflogen, und kehrte nie wieder zurück!„Frederike, ich weiß nicht, was ich sagen soll! Ich habe dich geliebt, mit jeder Faser meinesHerzens geliebt! Und nun erfahre ich, das unsere Beziehung auf eine Lüge aufgebaut war.Das du in Wirklichkeit Frauen liebst, ich nur eine Art Alibi für deine Eltern und für dich war?Alles in mir scheint sich zu drehen! Ich fühle mich wie jemand, dessen ganzes Leben eineverdammte Lüge war!“„Das war es nicht“, warf Frederike ein. „Ich habe dich ja geliebt, nur nicht so, wie eszwischen wahren Liebenden sein sollte! Das habe ich nur bei Brigitte so verspürt!“Er sah sie an. Seine Augen drückten all seinen Schmerz und seine Verbitterung aus, denen erfähig war. „Du wolltest meine Vergebung? Wie kann ich dir vergeben, wenn ich es nichtverstehen kann! Was hat sie, was ich dir nicht genauso gut geben könnte? Und, wie sollenzwei Frauen überhaupt sexuelle Erfüllung ohne“, er deutete mit seinem Zeigefinger auf eineStelle zwischen seinen Beinen, „dieses Stück finden?“„Ganz leicht, kann ich dir nur sagen“, warf Anna ein. „Dieses Stück zwischen den Beinenwird eh zu sehr überbewertet! Aber das ist es nicht alleine, was eine sexuelle Erfüllungausmacht! Und das, was sie suchte, konntest du ihr nicht geben, so sehr du dich auchangestrengt hättest. Das konnte ihr nur eine Frau bieten!“„Ja“, erwiderte Frederike. „Du konntest es mir nicht geben. Aber wenn du mir nicht vergebenwillst, ist es okay! Dann werde ich ohne deine Vergebung ins Reich der Schattenzurückkehren. Ich habe es dir gesagt, und somit ist meine Aufgabe, was dich betrifft, erfüllt.“Sie drehte sich, ohne ein weiteres Wort an Stefan zu richten, um, und ging auf Brigitte zu, dersie einen leisen Kuss auf die Wange gab, und zuhauchte: „Ich liebe dich!“„Ich dich auch“, erwiderte die Angesprochene.„Es tut mir so leid, dass ich dich verlassen musste!“„Mir auch“, erwiderte Brigitte, und wischte sich verstohlen eine Träne fort.„Wein doch nicht, meine Süße! Schadet nur deinem Teint!“Der Anflug eines leisen Lächelns flog über Brigittes Gesicht.„Na, siehst du, es geht doch!“Brigitte blickte Anna an, die sich dezent in eine Ecke zurückgezogen hatte. „Anna“, begannsie, „was meintest du eben, als du sagtest, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen wäre?“„Das es noch Möglichkeiten für euch gibt, über den Tod von Frederike hinaus, eineBeziehung zu führen.“„Und wie soll das gehen? Frederike ist doch tot“, fragte Brigitte, und Frederike fragte: „Undwie soll so eine Beziehung aussehen?“„Also, nicht so schnell! Alte Frau ist doch kein D- Zug! Also, um es kurz zu machen, Brigitte,wenn du und Frederike diese Verbindung eingehen würdet, und diese Verbindung könnte nurPersephone, die Göttin der Unterwelt segnen! Und wenn sie es tut, würdet ihr zumindestteilweise zusammen leben können. Jeden Herbst, bis zum nächsten Frühjahr würde Frederikedich verlassen, um im Frühjahr wieder zu dir zurück zu kommen. Aber auch, während sie imReich der Schatten sein wird, dorthin, wo jedes Leben bis zu ihrer Widergeburt hingeht, wirddie Verbindung zwischen euch weiter leben, nur auf eine andere Art und Weise!“Annas Augen blickten Stefan an, der eingesunken und wortlos auf der Couch saß, und demGespräch zwischen ihr und den beiden Frauen anscheinend nicht gefolgt war. Sein Blick, leerund ausdruckslos, war zum Teppichboden gerichtet. Er merkte nicht einmal, das Mrs. Marple,die Katze Brigittes, sich eng an ihn schmiegte.„Wenn ihr das wollt, dann muss Stefan vor der Göttin bezeugen, dass die Bindung zwischendir, Frederike, und ihm von diesem Zeitpunkt an, für alle Ewigkeit gelöst wird“.„Ich glaube nicht, dass er dem zustimmen wird“, erwiderte Frederike, und Brigitte fügte hinzu:„ Ich glaube, so wie ich ihn jetzt kennen gelernt habe, wird er, da sie sich für michentschieden hatte, unser Glück zerstören wollen!“Stefan hob seinen Kopf, und blickte Brigitte und seine Frau an. Anna sah, wie seine Muskelnsich anspannten, und stellte sich auf einen erneuten Aggressionsangriff ein. Doch dann sahsie, wie Tränen aus seinen Augen flossen, und sie begriff, dass in ihm ein innerer Kampftobte.„Frederike, liebst du sie wirklich?“„Ja, Stefan!“Und würdest du so eine Beziehung mit ihr führen wollen?“„Wenn Brigitte es will, will ich es auch“, erwiderte Frederike, und lächelte.„Okay“, erwiderte ihr Mann. „Dann werde ich einwilligen! Ich liebe dich zu sehr, als das ichdich unglücklich sehen möchte. Allerdings würde ich, wenn es geht, und ihr beiden es auchmöchtet, dich ab und an wiedersehen!“Beide Frauen blickten sich wortlos an. Frederike nickte ihrer Partnerin wortlos zu, undBrigitte sagte: „ Wenn es geht, dann ist es für uns okay?“
„Es geht“, sagte Anna, und begann mit dem Ritual, um Persephone zu rufen.


    Beruhigt hörte Nora, wie Barbaras Atem gleichmäßig auf der Couch zu hören war. Sie schliefruhig und fest, während Nora sich unruhig hin und her wälzte. Sie machte sich Sorgen umihre Freundin. Sorgen darum, das sie mitbekam, dass sie eine Hexe ist. Sie wusste, wie Barbarain der Schulzeit einmal über eine Freundin gelästert hatte, die ein Buch über Magie für Frauengelesen hatte.Als neugierige Junghexe hatte sie sich von ihrer Klassenkameradin dieses Buch ausgeliehenund gelesen. Beim Lesen musste sie herzhaft über diese wirkungslosen Rituale und Rezeptelachen, die darin beschrieben waren. Aus ihrer Praxis wusste sie schon ganz gut, was wirkteund was nicht. Das Buch war Geldschneiderei, das begriff sie sehr schnell, und diente nurdazu, die Sehnsucht der Frauen auszubeuten!Was mach ich nur, wenn sie das herausbekommt, fragte sie sich? Wenn sie mitbekommt, dasich mit meiner verstorbenen Mutter rede, die mich oft besucht? Oder sie sieht, durch einendummen Zufall, das ich, Anna oder Gerlinde zusammen ein Ritual feiern. Wie das Lamas-Fest, das Fest, bei dem die Göttin Kore, die Korngöttin geehrt wird, und das in zwei Wochenbeginnen wird. Gerlinde und Anna hatten schon einen Ort dafür ausgesucht, und ich mussdafür noch einiges vorbereiten. Was soll ich ihr sagen, wenn ich das Brot für das Ritualbacke, das die Form der Göttin und einer Yoni hat, unserem wunderschön geformtenGeschlechtsteil, das anderenorts Vagina oder Möse genannt wird?Ich muss mit Anna darüber sprechen, überlegte sie. Am besten, ich rufe sie morgen frühgleich an!Anna!Dieser Name wurde mehr und mehr zu Musik in ihren Ohren!Sie schloss ihre Augen, ihr Körper entspannte sich und erschlaffte. Ihre Gedankenvisualisierten Anna, wie sie langsam auf sie zukam. Sie war bis auf einen Slip unbekleidet,und streichelte Noras zarte Haut. Ein leichtes Frösteln durchlief ihren Körper bei dieserVorstellung. Sie merkte, wie das Verlangen, von Anna berührt zu werden, sich insUnermessliche steigerte.Sie begehrte sie!Jede Faser ihres Körpers begehrte Annas Küsse, ihre Berührungen und ihre Leidenschaft.Plötzlich durchzuckte sie ein Gedanke!Was ist, wenn sie mich nicht will? Wenn ich ihr zu jung bin, oder sie Angst hat, das ich wiederzu Männern zurückkehre?Liebe ich sie überhaupt?Oder bin ich vielleicht nur neugierig darauf, zu erfahren, ob es mit einer anderen Frau nichtbesser oder schöner als mit einem Mann wäre?Was willst du wirklich, Nora?Barbara stöhnte leise auf.Sie hat entweder Schmerzen, oder einen schlechten Traum, diagnostizierte sie, und stand auf,um ganz sicher zu sein. Sie zog ihre mit rotem Samt ausgelegten Fellpantoffeln an, und gingleise zu der Couch auf der Barbara lag. Sie blickte in ihr schmerzverzerrtes Gesicht, und nunwusste sie, dass es keine Alpträume waren, die ihre Freundin aufstöhnen ließ.Arme Barbara! Du musst so viel leiden, und es wird gegen Ende noch schlimmer. Ich habe esja bei Tante Erika gesehen, und wie sie dahinsiechte, und am Ende nur noch ein Schattenihrer selbst war!„Und das sollst du nicht, Barbara! Nicht, wenn ich es nicht verhindern kann“, sagte sie leise,und drehte sich um, um in ihr Bett zu gehen.Sie warf ihre Zudecke über ihren Bauch, legte sich auf ihren Rücken, und blickte zur Deckeihres Schlafzimmers. Die Schatten der Mondin schien durch ihr Fenster, und bildete einkleines, undefinierbares Etwas. Sie blickte darauf, und nach einer Weile schien es ihr, als obsich die Decke drehen würde.Mist, ich habe mich zu sehr auf die Decke und dieses Objekt konzentriert, so das ich anfing,zu visualisieren. Wenn ich meine Kräfte nicht lerne zu beherrschen, kann ich anderenschaden, und das will ich nicht! Besonders nicht Barbara, die so viel in ihren jungen Jahrenschon mitmachen musste!Außerdem war ich nicht zentriert, was, wenn ich weiter gemacht hätte, ungeheure Energienfreigesetzt, die ich nicht kontrollieren könnte!Ein erneutes Stöhnen ihrer Freundin riss sie aus ihren Gedanken. Die Federkerne ihrer Couchknarrten, und sie sah, wie Barbara sich aufrichtete. Ihr Gesicht war schweißnass und blass.Nora merkte, wie ihr Herz vor Angst um ihre Freundin raste. Barbara stand auf, ein leisesStöhnen begleitete sie, während sie sich auf den Weg zum Bad machte. Nora hörte nach einerWeile die Spüle der Toilette, und das leise zischen des warmen Wasserhahnes, der, wieüblich, seine Zicken hatte.Dann hörte sie das leise Schlurfen Barbaras Pantoffeln, ein Gang, der eher zu einer alten Frauals zu ihrer Freundin gepasst hätte. Sie ging zu ihrem Bett, und Nora konnte sehen, das ihrGesicht trocken war.Barbara drehte sich in Richtung ihres Schlafzimmers um.„Kannst du nicht schlafen“, fragte sie?„Ja, mir gehen so viele Gedanken durch den Kopf!“„Über mich?“„Auch, aber nicht nur“, erwiderte Nora.Also, um mich brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Es ist meine Entscheidung, wieich gehen will, und ich habe mich genug informiert, so das ich auch weiß, das es mir noch vielschlimmer gehen wird!“„Das weiß ich doch, Barbara! Schließlich starb meine Tante Erika doch auch an Krebs. Ichhabe nur darüber nachgedacht, wie ich dir helfen könnte, das die Auswirkungen nicht soschlimm für dich sind!“Barbara setzte sich auf Noras Bettkante, umarmte ihre Freundin, und sagte: „ Das ist lieb vondir! Aber ich brauche keine Medikamente, um dahinzudösen! Wenn ich gehe, dann gehe ichbei vollem Bewusstsein!“„Ich habe verstanden“, sagte Nora!„Gut“, erwiderte Barbara. „Dann könnten wir ja, so wie früher uns aneinander kuscheln! Dasheißt, wenn du willst?“Nora bewegte ihren Rücken in die rechte Ecke ihres Bettes, schlug ihre Bettdecke auf, undsagte: „So richtig schön vorgewärmt für dich!“Barbara lächelte.„Soll ich wie früher noch Eis aus dem Kühlschrank holen?“„Bloß nicht! Dann krieg ich Bauchschmerzen, und bin Dauergast auf dem Klo!“„Das wollen wir natürlich nicht, also schlafen wir jetzt wohl am besten!“„Genau“, erwiderte Nora, „denn ich bin schon ziemlich hundemüde“.„Ich, ehrlich gesagt auch schon sehr“.Barbara stieg in Noras Bett, und drückte sich eng an Nora, die sanft ihre Hand auf BarbarasKopf legte, und ihre Haare streichelte, während sie leise das Lieblingslied von beidensummte: „I did it my way“.Minuten später schlief Barbara ein, und wenig später auch Nora, während die Mondin weiter
ihre Kreise zog und über sie wachte.


    Es war eine kühle Nacht, durch die Anna schritt.Sie wollte noch nicht nach Hause, zu sehr beschäftigten sie die Dinge, die sie erlebt hatte.Nachdem sie die Göttin der Unterwelt, Persephone, gerufen hatte, und sie die beiden Frauenmiteinander auf ewig verbunden hatte, saßen Brigitte, Frederike, Stefan und sie nochbeisammen. Der gesamte Raum war von Liebe und Harmonie erfüllt. Selbst Stefan, lachteund machte Scherze, und hatte sich gefreut, als er sah, wie die Göttin ihr rotes Band, das umihre Hüfte geschwungen war, abnahm, und um die Hände beider Frauen band.Endlich hat er das Unvermeidliche für sich akzeptiert, überlegte sie! Aus Liebe zu ihrakzeptierte er, dass seine Frau eine Frau liebte, und, er hatte Brigitte, und auch sich selbstvergeben. Sie lächelte. „Ja, die Liebe ist eine Himmelsmacht, auch wenn es manchmal aufErden mächtig kracht“, sagte sie zu sich die Worte, die ihre Mutter einmal zu ihr sagte. Wensie damit wohl gemeint hatte? Meinen Vater? Eine ihrer Partnerinnen?Sie erinnerte sich plötzlich an eine Frau, die sie immer noch liebte, die sie verlassen hatte, unddie sie nicht vergessen konnte.Sabine!Sabine, die mit ihr fünf Jahre zusammenlebte!Sabine, die sie verlassen hatte, weil sie nicht damit umgehen konnte, das sie eine Hexe war,die mit ihrer verstorbenen Mutter sprechen konnte.„Ich vermisse dich, Sabine“, entfuhr es ihr!Was hatte die Göttin damals zu ihr gesagt?Das sie eine neue Liebe finden würde? Eine Frau, die keine Angst vor Magie und Hexenhätte? Vielleicht, weil sie selbst eine ist?In ihrem Geiste ging sie alle lesbischen Hexen durch, die sie kannte. Aber entweder warenalle schon in festen, sehr sehr festen Händen, oder, wenn sie solo waren, waren sie allegenauso maskulin in ihrer Kleidung und ihrem Verhalten wie sie.Und eine Beziehung mit einer anderen Butch kam für sie nicht in Frage, erschien es ihr dochwie Inzest!Und die wenigen Hexen, die eine Femme waren?Sie überlegte. Nein, auch da war keine darunter, die zu ihr passen könnte! Entweder zu jung,oder Hungerhaken, und wenn sie das richtige Alter hatten, dann stellten sie Ansprüche, vondenen Anna wusste, dass sie diese nie erfüllen könnte!Na, vielleicht ist die Göttin gerade dabei, für mich die passende Frau zu backen, dachte sie,und lachte leise auf. Ob sie wohl für mich die doppelte Menge braucht, bei meinemFrauenverschleiß?Wenn Nora mich jetzt sehen könnte! Dieser unverbesserlichen Romantikerin muss ichunbedingt von meinem letzten Abenteuer erzählen. Das wird ihr gefallen, und sie wird vor...Plötzlich hielt sie inne.Nora!Diese junge Hete, mit der sie sich so gut verstand, und wo ihr unterschiedliches Alter keinegroße Rolle spielte. Sie sah vor ihrem geistigen Auge Noras Lachen, wie sie süffisant dielinke Augenbraue hochzog, wenn ihr etwas nicht passte. Sie spürte wieder den leichten Knuff,den Nora ihr verpasst hatte, als sie ihr am Telefon einen schmutzigen Witz erzählte, in demein Priester und eine Internatsschülerin, und eine Nonne die Hauptrolle spielten.Sie fühlte ein unsichtbares Band zwischen Nora und ihr. Ein Band, das sie nicht erklärenkonnte. Anders als zu Gerlinde, zu der sie sich zwar mittlerweile ebenfalls sehr nahe, wennauch auf eine eher platonische Art und Weise, fühlte. Aber sie fühlte auch, das dieses Bandzwischen ihr und Nora etwas Besonderes war.Sie konnte nicht erklären, was es war!Liebe? Vielleicht!Verlangen? Möglich!Der Reiz der Jägerin, eine heterosexuelle Frau zu erlegen? Mitnichten, überlegte sie kurz.Dafür bin ich nicht der Typ!Sie blickte in den klaren Nachthimmel. Eine große Leere umschloss sie, und eine Sehnsucht,eine unbeschreiblich große Sehnsucht nach einer Frau, die sie liebte, und die diese Gefühleerwiderte.„Hab Geduld meine Tochter“, hörte sie die Stimme der Göttin. „Die Frau, die deine Gefährtinsein wird, ist dir nahe, aber du musst noch einige Prüfungen bestehen, bis sie den Weg zu dir,und du den Weg zu ihr findest!“„Na, so schnell wie ich im Lernen manchmal bin, kann ich wohl frühestens mit ihr nachmeinem Tode rechnen“, sagte sie ironisch mehr zu sich selbst als zur Göttin.„Manchmal geht es schneller, als auch eine Berlinerin es für möglich halten könnte“ erwidertemit lächelnder Stimme die Göttin, und verschwand aus ihrem Gedächtnis.Anna blieb zurück. Voller Hoffnung und Erwartung. Das leise Rufen eines Vogels weckte sieaus ihren Träumen, und ermahnte sie, den Weg nach Hause einzuschlagen.
Eine Stunde später schlief sie in ihrem Bett ein, und träumte von... Nora!

ENDE 

Werden Anna und Nora eine Nacht miteinander verbringen?Werden sie ein Paar werden?Wird Nora eine Lesbe werden?Wird Nick, Noras Ex- Verlobter wieder auftauchen?Was wird Hanim tun?Wie wird Gerlinde damit umgehen?

Wenn Ihr die Antworten auf diese und weitere Fragen sucht, dann versäumt nicht die nächsteFolge der „MACHT DER DREI HEXEN“

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