Vor langer langer Zeit, als die Schrift noch eine ganz andere war, und auf Tafeln geschrieben, die von den Stürmen und Unwettern schon längst zerstört wurden, lebten ein König und eine Königin. Sie regierten sehr weise über ihr Land. Nahmen was sie brauchten und Gaben genauso viel wieder an das Land und ihr Volk zurück. Das Land war sehr groß und erstreckte sich weit über dem Horizont des höchsten Berges, dessen Gipfel das ganze Jahr über mit Schnee bedeckt waren, und der von dem Volk als Hochsitz der Götter, die als Vorfahren des Königs und der Königin betrachtet wurden, galt. Der König und die Königin waren schon alt und ihre Haare bereits schon Grau und Weiß geworden. Sie fühlten, dass sie bald das Land verlassen würden, um in ein anderes zu gehen. Aber eine Frage quälte sie noch. Sie hatten vier Kinder. Zwei junge Frauen und zwei junge Männer, die sie alle sehr liebten. Und sie hatten einen Ring der Macht, den sie sich abwechselnd teilten. Diesen Ring mussten sie nun eines ihrer Kinder geben, auf das es das Reich weiterregierte. Sie besprachen das Problem drei Tage und drei Nächte lang, doch sie kamen auf keine Lösung. Sie konnten den Ring keinem ihrer Kinder geben, ohne es so zu bevorzugen und die anderen zu benachteiligen. Beim Morgengrauen der dritten Nacht hatten sie eine Idee. Der König ließ den besten Schmied im ganzen Land zu sich kommen und die Königin befahl ihm drei Nachahmungen des Ringes zu machen. Der Schmied arbeitete drei Tage und drei Nächte lang ununterbrochen. Trotz seiner Konzentration und der Schwere der Arbeit, lag sie ihm so am Herzen und war sie ihm so wichtig, dass er durcharbeiten konnte, ohne zu schlafen oder zu Essen. Beim Morgengrauen der 3. Nacht überreichte er dem königlichen Paar die drei Ringe. Die Königin zog den Ring der Macht vom Finger und der König legte ihn zu den anderen. Lange verglichen sie die Ringe, aber sie konnten sie nicht voneinander unterscheiden. Sie waren glücklich und froh und küssten sich vor Freude und überließen dem Schmied eine große Belohnung.
Am gleichen Tag noch, zur Abenddämmerung übereichten sie jedem ihrer Kinder einen Ring.
Die Kinder waren erstaunt und verwirrt zu gleich, denn sie kannten nur die Existenz eines Ringes. Sie teilten das Land in vier gleichgroße Teile und wiesen die Kinder an weise und gerecht zu regieren. In der Nacht verließen sie das Schloss um in das andere Land zu ziehen, denn es war nun an der Zeit diese Welt zu verlassen.
Die Kinder aber stritten sich. Sie verglichen die Ringe und jeder wollte wissen, welcher Ring denn nun der echte Ring der Macht sei, der Ring, welcher über allen anderen stehe. Sie konnten die Ringe nicht voneinander unterscheiden und keinem der Frauen und Männer gelang es herauszufinden welcher denn der echte Ring sei.
So stritten sie mehrere Tage lang und beschlossen schließlich jemand anderen entscheiden zu lassen. Aber sie wussten nicht wen sie als Berater einsetzen sollten und so suchten sie nach dem weisesten Wesen ihres Reiches.
Die Königin des Ostreiches brachte eine Sylphe mit. Der König des Südreiches einen Salamander. Die Königin des Westreiches brachte in einer wunderschönen mit Wasser gefüllten Wanne einen Undine mit und der König des Nordreiches kam in Begleitung eines Gnoms. Sie schilderten den Wesen das Problem, ließen ihre Ringe da und ließen die Wesen alleine.
Drei Tage und Drei Nächte grübelten die Wesen und versuchten herauszufinden welches nun der Ring der Macht sei. Im Morgengrauen der dritten Nacht klingelten sie die Glocke, welche das Zeichen war, dass sie eine Lösung gefunden hatten. Schnell kamen die Könige und Königinnen ins Zimmer gehuscht und waren voller Hoffnung und voller Zuversicht, aber auch voller angst und Zweifel. Jeder hoffte, dass der Ring der Macht der seinige sei – und fürchtete, jemand anderer würde ihn besitzen. Die weisen vier sahen sich an und sahen die hoffnungsvollen Blicke der Könige und Königinnen.
Die Sylphe drehte sich leicht, beugte ihr Haupt und begann: „Wir können das Rätsel nicht lösen, denn wir können die Ringe nicht voneinander unterscheiden. Nicht einmal der alte König und die alte Königin könnten das und da sie weggegangen sind können wir sie nicht fragen.“
Der Salamander blickte in die enttäuschten Gesichter und fuhr fort. „Die Macht des Ringes ist es Glück und Freude zu bringen. Nur indem ihr Glück und Freude über das euch anvertraute Land bringt kann ein jeder von euch beweisen, dass er den echten Ring hat.“
Die Undine ließ ihre Flosse ins Wasser klatschen und wollte weiter fortfahren:“ Möglich ist auch, dass der echte Ring verloren ging, und gar niemand den besitzt. Wir können euch jedoch einen Rat geben-„
Der Gnom räusperte sich und die Undine blickte ihn an, um ihn weitersprechen zu lassen:
„ Offensichtlich hatten euch eure Eltern alle gleich lieb und wollten die Tyrannei des einen Ringes brechen. Sie wollten keinen von euch bevorzugen also lebt in Frieden miteinander. Die Macht des Ringes wird sich schon zeigen, oder sie wird sich in allen vier Ringen verteilt haben.“
Stille war im Raum und dann begann einer der jungen Frauen zu lachen und die anderen fielen schnell mit ein. Wie dumm waren sie gewesen, so viel Streit miteinander zu haben.
Sie beschlossen ein großes Fest zu feiern und sich von nun an zu vertragen und nicht mehr zu fragen, wer denn nun den echten Ring trug, sondern alle gemeinsam ihr bestes zu geben, auf dass in allen vier Reichen Glück und Freude herrsche. Es war die längsten Nacht des Jahres und sie würden nun jedes Jahr zu dieser Zeit gemeinsam feiern.
2002