Genauso viel, wie notwendig war, um das Ritual abzuhalten.
Alle waren da!
Conny, die jungen Elevin, deren schwarze Haare gut zu ihrem roten Ritualgewand passten, war gerade dabei, die roten und weißen Kerzen aus der Jutetasche hervorzuholen.
Sie hatte es nicht eilig, und das störte die anderen Frauen.
Besonders Nadine, die älteste der Frauen, die „Crone“, die weise Alte der Gruppe. Ihre kurzgeschnittenen weißgrauen Haare lagen eng an ihrem ovalem Gesicht, und verdeckten nur unzureichend ihre vielen Falten, die ihr verwittertes Gesicht so interessant und erotisch erscheinen ließen.
Sie trug, wie alle Frauen, ein rotes knöchellanges Ritualgewand, in dessen weiten Ärmeln ihre knöcherigen Finger noch dünner wirkten. Sie spannte die Trommel, zurrte und knotete sie so stramm, das die Töne der Trommel wie das Donnern eines Gewitters erschallten.
„Kannst du nicht ein wenig leiser die Trommel prüfen“, hörte sie Doris.
Es war ihr unangenehm, so kritisiert zu werden, doch wagte sie nicht, Doris offen zu sagen, was sie dachte.
Sie blickte sie an.
Doris war eine schöne Frau, das war außer Frage! Ihre große schlanke Figur, ihre leuchtend roten Haare passten gut zueinander. Sie benutzte keine Schminke, und brauchte auch keine! Es gab eine Zeit, da hatte sie sich ernsthaft in Doris verliebt, aber seit sie merkte, wie sehr es Doris schwer viel, Kompromisse zu schließen, und seit sie sah, wie sie mit ihren Geliebten umging, kühlte diese Liebe schnell ab.
Ihre Augen wanderten zu Gaby, dieser schweigsamen Frau, die niemals über sich sprach. Gaby durfte nie wissen, das sie sie liebte, das sie sich nach ihren Küssen sehnte, nach den Berührungen ihrer Hände. Gaby war alles andere als schlank, aber das schien sie nicht zu stören.
Wortlos legte sie aus verschiedenen Steinen mit Luise einen Kreis, in den alle Frauen für dieses Ritual gehen werden.
Nadines Augen beobachteten Gabys und Luises Bewegungen, und Eifersucht stieg in ihr hoch. Sie hasste es, zu sehen, wie gut beide Frauen sich verstanden!
„Ist alles für das Ritual vorbereitet“, fragte Doris?
Alle Frauen bejahten diese Frage, und Nadine sah, dass alle Ritualgegenstände, der Kuchen der Göttin und der Wein für das Ritual vorhanden waren.
„Schwestern, dann lasst uns beginnen“, sagte Doris in der bestimmenden Art einer Hohepriesterin
Sie sah, wie Doris sich an den nördlichen Rand des Steinkreises stellte, die Althalme, das heilige Ritualmesser in ihrer rechten Hand, und jede der Frauen, die in den Kreis eintreten wollten, mit den fünf heiligen Küssen der Schwesternschaft begrüßte, und sie mit der Althalme segnete.
Auch Nadine trat in den Kreis.
Ihr war etwas unbehaglich zumute, verspürte sie doch den ganzen Tag schon, das etwas geschehen würde.
„Heute ist Vollmond, Schwestern, und wir werden jetzt mit der Anrufung der Göttin beginnen. Ich möchte alle Elevinnen bitten, mit der Anrufung zu beginnen“.
Doris' Stimme klang fest und bestimmt.
Vier junge Frauen lösten sich aus der Gruppe der Frauen, fassten einander an ihren Händen, und erhoben ihre Stimmen.
„Wir alle kommen von der Göttin, kehren zu ihr zurück. Wie ein kleiner Regentropfen der in den Ozean fällt“
Sie wiederholten die Worte wieder und wieder, ihre Stimmen wurden lauter, und die anderen Frauen fielen in den Gesang mit ein.
Nadine spürte, wie sich die Energie langsam in der Luft auflud, stärker und stärker wurde, bis sie den Punkt erreicht hatte, wo genug Energie für das Ritual da war.
Doris hob ihre Hand, und der Gesang hörte auf.
Sie nahm eine Schale mit angezündetem Räucherwerk, und ging zu den vier Himmelrichtungen, um die Schutzgeister der Elemente Wasser, Feuer, Luft und Erde zu rufen. Mit langsamen, rhythmischen Schritten ging sie zum Altar, der auf einem großem Stein aufgebaut, und mit Kerzen und Blumen geschmückt war, legte die Schale darauf, und sagte: „ Die Göttin segne ihre Kinder. Der Kreis ist nun geschlossen“.
„Der Kreis ist nun geschlossen“, wiederholten alle Frauen.
Nadines Augen folgten den Bewegungen Gabys, die mit langsamen Schritten auf den Altar zuging, und kunstvoll eine Rose drapierte, zum Zeichen der Anwesenheit der Göttin in diesem Kreis.
Nadines Augen wanderten ihrem fülligen Körper entlang. Sie liebte Gabys üppigen Busen, ihr Lächeln und die Art, wie sie mit anderen Frauen umging. Gaby blickte zu ihr hinüber, und als ihre Blicke sich trafen, lächelten beide, was Doris nicht verborgen blieb.
„Sie mag mich“, durchzuckte ein Gedanke Nadine, als sie bemerkte, das Gaby sie immer noch anlächelte, selbst noch, als sie zu ihrem Platz zurückgekehrt war.
„Schwestern“, begann Doris zu reden, „Wir sind heute hier zusammengekommen, um ein Ritual zur Ehren der Göttin zu feiern. Aber leider ist eine Frau unter uns, die nicht hierhin gehört!“
Alle sahen sie an!
„ Denn eine unter uns ist keine Frau. Sie ist einmal ein Mann gewesen!“
Alle Frauen sahen sich bestürzt an, fragend, wer diejenige wohl sein könnte. So auch Nadine, deren Augen zwischen den einzelnen Frauen hin und her schweiften, aber nichts entdeckte, was irgend einen Anhaltspunkt geben könnte.
„Wer ist es“, fragte Karin, eine Frau, die erst seit kurzem im Konvent war, und die gerade von ihrer Frau sich getrennt hatte, weil sie deren Alkoholexzesse nicht mehr ertrug.
„ Gaby“, antwortete Doris kurz und voller Abscheu!
„Gaby?“
Alle Frauen redeten wie wirr durcheinander. Niemand wollte es glauben, niemand konnte es glauben, das diese weiche Frau einmal ein Mann gewesen sein sollte!
Gaby erhob sich von ihrem Platz, und stellte sich in die Mitte des Kreises.
„Schwestern der Göttin. Bitte lasst mich dazu etwas sagen!“
„Ja, lasst diesen Mann etwas sagen, bevor wir ihn aus unserer Mitte verstoßen“. Doris Stimme klang voller Hass. Nadine wusste nicht, warum dieser Hass in ihr war, aber ihre Lebenserfahrung sagte ihr, das noch mehr dahinter stecken musste. Nur was?
Sie blickte zu Gaby, deren Augen zum Boden gesenkt waren. Göttin, es stimmt, was Doris über sie gesagt hatte, durchfuhr sie ein Gedanke! Sie hatte sich in eine Frau verliebt, die einmal ein Mann war! Tausend Gedanken durchfuhren sie. Zweifel an ihren Gefühlen, Ekel vor sich selbst und Ekel davor, sich in einen Mann verliebt zu haben!
„Schwestern der Göttin“, begann Gaby, „Ja Schwestern, es stimmt, ich war einmal eine transsexuelle Frau! Aber das ist Vergangenheit! Ich lebe und liebe als Frau, und bin genauso wie ihr eine Frau!“
Sie blickte Doris durchdringend an, deren Augen mit Hass und Verachtung antworteten. Sie wollte Doris etwas sagen, das sah Nadine an ihren Augen, doch kein Wort kam über ihre Lippen. Schweigend verließ sie die Mitte.
„Ihr habt es selbst gehört, Schwestern, und ihr wisst alle, was das bedeutet!“ Doris Stimme war so voll Hass, so voll Wut, das Nadine spürte, das es noch etwas gab, was unausgesprochen zwischen Doris und Gaby war, etwas, was die wahre Triebfeder für Doris war!
„Göttin, bitte hilf mir zu verstehen!“ Sie sandte ein stilles Gebet zum Himmel. Ihr Blick verließ den Kreis, und sie hörte entfernt die Stimmen von Doris und die der anderen Frauen. Sie blickte in den klaren Nachthimmel, als fände sie dort die Antwort, die sie suchte. Nichts, aber auch gar nichts sah oder hörte sie.
Ihr Blick wanderte erneut zu dem Kreis der Frauen, die gerade dabei waren, über den Ausschluss Gabys abzustimmen. Alle Frauen wollten es, angefangen von den jungen Elevinnen, bis zu den "Crones", den weisen Frauen, zu denen auch sie gehörte.
„Nadine, wie entscheidest Du dich“, hörte sie Doris schneidende Stimme?
„Wie ich mich entscheide? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht! Einerseits hat Gaby ja gestanden, das sie als Mann geboren wurde, was einen Ausschluss vielleicht auf Grund der Satzungen erlauben würde. Andererseits fühle ich aber, das es da noch etwas gibt, was wir wissen sollten, bevor wir uns endgültig entscheiden!“
„Nadine hat recht, auch ich habe das Gefühl, das da noch mehr ist, was wir wissen sollten“, warf Luise ein.
„Das sagst du doch nur, weil du ihn ...sie liebst!“ Doris war wütend, und so voller Hass! Warum nur?
Sie versetzte sich mit einer leisen Melodie die sie in ihrem Innersten summte, in Trance. Bilder stiegen in ihr auf, und sie sah die Wahrheit! Und plötzlich begriff sie! Sie verstand den Hass von Doris auf Gaby, verstand die Zurückhaltung Gabys zu allen Frauen, und weswegen sie nie eine Beziehung zu einer anderen Frau wollte! Und sie Begriff auch, warum sie sich in Gaby verliebt hatte!
Sie holte sich aus der Trance zurück, und blickte Doris mit festem Blick an.
„Doris, ich kenne jetzt die Wahrheit über dich und Gaby! Soll ich es allen sagen, oder lieber du?“
„Du weißt gar nichts, meine Liebe“, erwiderte Doris spöttisch.
„Wenn du meinst? Aber das ist ja leicht zu beweisen Doris, ich nehme mein Recht als Krone war, hier und jetzt eine Tjaling, eine Gerichtsverhandlung einzuberufen, weil Gerechtigkeit wichtiger als Feiern ist!“
„Ich verweigere dir als deine Hohepriesterin der Göttin das Recht, das zu fordern“.
Doris schwitzte.
War es Angstschweiß?
„Warum nicht“, fragte Luise, und andere Frauen stimmten in ihrem Ruf mit ein?
„Weil...weil ich...glaube, das so ein Tjaling die Gruppe spalten würde“.
„Wie kann die Wahrheit eine Gruppe spalten, deren Wahlspruch ist, niemanden zu schaden? Wie kann das Wissen um die Hintergründe der Gruppe schaden, Doris? Weißt du, warum ich das Tjaling gefordert habe? Weil ich die Wahrheit jetzt kenne, und weiß, das du ihr bewusst Unrecht tust, weil sie dich verletzt hatte. Na, willst du jetzt reden, Doris?“
„Ich habe nichts zu sagen!“
„Gut Doris, wenn du nichts zu sagen hast, dann werde ich, wenn die anderen Frauen nichts dagegen haben, einige Fragen an Gaby und dich richten!“
Sie blickte jede Frau an, und zustimmend nickten alle außer Doris und Gaby.
„Gaby, bitte steh auf, und stell dich in die Mitte des Kreises. Hab keine Angst, auch wenn ich dich zum Fressen gern habe, ich beiße nicht“.
Ein leiser Anflug eines Lächelns durchzuckte Gabys Gesicht.
„Gaby, ich weiß, wie sehr du die Göttin liebst, und das du eben zu Doris etwas sagen wolltest, was du dich nicht getraut hattest, ihr zu sagen. Was war das? Bitte denke daran, um was es für dich geht, und das du nur die Wahrheit im Angesicht der Göttin sagen darfst“.
„Also, ich wollte ihr sagen, das ich sie verstehe, und das ich ihr nicht böse bin“.
Überrascht blickten alle Frauen Gaby an, auch Doris!
„Und was verstehst du, von dem, was sie getan hat?“
„Letzte Woche hatte sie mir gestanden, dass sie sich in mich verliebt hatte, und als ich ihr sagte, dass ich ihre Gefühle nicht teilen könne, da es jemand anderes gibt, die ich liebe, die aber nichts davon weiß, wurde sie wütend, und drohte mir, euch allen das zu verraten, was ich ihr einmal unter vier Augen bei einem privatem und spirituellen Gespräch anvertraut hatte. Und das hatte sie ja auch heute getan!“
Ihr rannen die Tränen an ihren fleischigen Wangen herunter. Nadine empfand Mitleid mit ihr, und wollte sie umarmen, aber sie wusste, das sie das jetzt noch nicht durfte!
Sie musste als Krone objektiv sein, durfte kein Gefühl zulassen, bis ihre Aufgabe erfüllt war!
Also wusste Doris von der Transsexualität Gabys schon lange, und hat es benutzt, weil sie ihre Liebe abgewiesen hatte. Sie blickte sich im Kreis der anderen Frauen um, und sah in ihren Gesichtern, wie sehr sie sich schämten, von Doris missbraucht worden zu sein.
„Gaby“, wandte sie sich erneut der Angesprochenen zu. „Warum wolltest du Frau und Hexe werden?“
„Frau wollte ich werden, weil ich eine bin“, erwiderte Gaby. „Ich spürte immer, das ich anders war, nicht „normal“, was auch immer das bedeuten mag. Und als die Pubertät bei mir anklopfte, und gewisse körperliche Reaktionen sich bemerkbar machten, empfand ich davor nur Abscheu und Ekel, und alles machte mir Angst. Viele Jahre später, als ich begriff, das ich eine Frau war, die gefangen in einem Männerkörper leben musste, und das für mich nur eine Operation die ersehnte Angleichung an meinem Ich geben konnte, führte ich sie durch. Ich wurde Hexe, weil ich in einer fundamentalistischen Sekte aufgewachsen bin, die Frauen unterdrückte, und später feststellte, das dieses mehr oder weniger in allen patriarchalischen Religionen vorhanden ist. Ich sollte über meine Sekte einmal einen Artikel schreiben, und fand bei meinen Recherchen ein Buch über neuzeitliche Hexen, und entdeckte sehr schnell, das ich dasselbe fühlte, dachte und glaubte wie sie. Und so wurde ich eine Wicca!“
„Aber, was ich nicht verstehen kann, warum hast du nicht zu Beginn uns gesagt, wer du warst“, fragte Conny, die junge Elevin?
„Weil ich eine Frau bin, Conny! Und weil ich denke, das solch private und intimen Dinge nur die Frau angeht, mit der ich eine Beziehung habe, und niemand sonst!“
Nadine sah zu Doris , die vor dem Altar der Göttin mit der Altalme, dem heiligen Ritualmesser stand, welches sie fest umschlossen hielt, so fest, das die Adern ihrer Hand sichtbar wurden.
Sie war wütend!
Wütend darüber, das ihre Manipulation aufgedeckt wurde, wütend auf Nadine, die es tat, und auf Gaby, die sie als die Ursache aller Probleme ansah.
„Du bist an allem Schuld, nur du“, schrie sie in dem Augenblick, als sie auf Gaby zustürzte. Ihre erhobene Hand sauste auf Gabys Herz zu, die Hand, die das Messer hielt. Mordlüstern schimmerten ihre Augen, voll des leeren Glanzes einer toten Seele, deren Körper noch funktionierte. Sie stach zu. Einmal, ein weiteres Mal, und dann wieder, sauste die Klinge mit atemberaubender Geschwindigkeit auf Gaby hinunter.
Blut schoss aus Gabys Brust und ihrem Hals. Nadine warf sich schützend auf Gaby, und blickte Doris an. Sie summte ein Lied, ein Lied, das sie vor Jahren durch Trance von der Göttin erhalten hatte. Ein Lied, das Doris beruhigte, und sie dazu brachte, von Gaby abzulassen.
„Ich habe sie doch so geliebt. Warum konnte sie mich nicht auch lieben“, waren die einzigen Worte, die alle Frauen von ihr hörten, als sie den Kreis verließ, und in die Dunkelheit der Nacht verschwand, auf der Suche nach etwas, was sie schon lange verloren hatte.
Wie gelähmt standen die Frauen im Kreis, unfähig etwas zu tun oder zu sagen.
„Conny, ruf durch dein Handy einen Krankenwagen! Julia, im Rucksack ist ein Verbandskasten, hol ihn mir bitte. Aber schnell!“
Nadine war ruhig, als sie diese Bitten an die anderen Frauen richtete. Doch so ruhig, wie sie äußerlich wirkte, war ihr innerstes nicht, ganz im Gegenteil! Ein riesiger Vulkan an Gefühlen tobte in ihr. Angst sie zu verlieren, Schuldgefühle, weil sie die Gefahr nicht hat kommen sehen, und die Wut auf Doris, die aus verletzter Eitelkeit all das angerichtet hatte.
Julia brachte ihr den Verbandskasten, ein Kissen aus Kunststoff, in dem all das eingebettet lag, was sie zu Gabys Wundversorgung benötigte. Sie holte Mullbinden und Kompressen heraus, und verschloss das Kissen. Sie legte es unter Gabys Kopf, und verband, so gut sie konnte, Gabys Wunden.
„Pscht, meine Schwester. Gleich kommt Hilfe für dich!“
„Nad...ine“, kam es, von einem erneuten Blutsturz unterbrochen aus Gabys Mund.
„Leise. Du darfst jetzt nicht sprechen, Gaby“. Sie weinte, als sie bemerkte, wie hilflos Gaby auf dem kahlen Waldboden lag.
„Weine nicht, Nadine“, flüsterte Gaby ihr zu, so, das nur sie es hörte. „Die Frau, von der ich eben erzählte, die, der mein Herz gehört, bist du. Ich konnte dieses Gefühl nur nicht zulassen, da ich nie wieder in einer Beziehung verletzt werden wollte. Bitte...verzeih mir!“
Sie schloss ihre Augen, ... und starb.
Nadine drückte ihre Augen zu, und erhob sich. Sie holte ihren Mantel, und deckte Gabys leblosen Körper zu.
Sie drehte sich um.
Keine der Frauen sagte ein Wort, zu bestürzt und schockiert waren alle, über das, was sie sahen.
„Schwestern, lasst uns den Kreis schließen, in dem wir die Göttin für unsere Schwester Gaby bitten. Gibt es eine unter euch, die sich dieser Bitte nicht anschließen möchte?“
Keine der Frauen schloss sich aus!
Sie riefen die Göttin an, diesen Kreis aufzuheben, und baten für ihre Schwester Gaby, und auch für sich um Vergebung für ihr Verhalten.
Bedrückt verließen alle den Kreis, doch keine wollte alleine sein, außer Nadine.
Zwei Polizisten, die gerade gekommen waren, nahmen zusammen mit anderen Kollegen die Zeugenaussagen der anderen Frauen auf, während ein Team der Spurensicherung überall suchte und Gipsabdrücke von Doris Schuhen nahm.
Sie verabschiedete sich, nachdem der Notarzt mit dem Krankenwagen gekommen war von den anderen, und fragte den Fahrer, ob sie mitkommen könnte.
„Sind sie eine Verwandte von ihr“, fragte er?
„Ich bin ihre Partnerin“ erwiderte sie zärtlich, als ihr Blick auf den Leichnam fiel.
Sie stieg ein.
Etwa eine halbe Stunde später waren sie am Ziel ihrer Reise angelangt.
Der Fahrer und sein Helfer luden den Leichnam aus, und brachten sie auf Rollen gezogen in die Pathologie.
Sie setzte sich in den Warteraum vor dem Eingang zur Pathologie, und dachte über das nach, was heute in diesem Kreis geschehen war.
Gaby war tot!
Die Frau, die sie liebte, war tot!
Ermordet von einer Frau, die eine Abfuhr nicht ertragen konnte, die so voller Hass war, auf eine Frau, die sie doch angeblich liebte!
Und sie?
Als sie erfahren hatte, das Gaby einmal ein Mann war, wie hatte sie da reagiert?
Sie hatte Abscheu und Ekel verspürt, und erst, als die Göttin ihr Verständnis und Weisheit schenkte, fing sie an zu verstehen, das Gaby kein Mann war, nie gewesen ist!
Eine vollschlanke Frau in einem weiten dunklem Gewand, und aus dem Nichts kommend, setzte sich neben ihr. Sie hatte lange schwarze Haare, und war ungeschminkt.
„Nadine!“
Sie blickte die Frau an. Woher kannte sie ihren Namen?
„Weil ich dich kannte vom ersten Tag deiner Existenz“, wortlos drangen die Worte der fremden Frau zu ihr.
Sie kann meine Gedanken lesen, durchzuckte es sie!
„Ja, und ich war es, die dir half, Gaby zu verstehen und zu begreifen, was zwischen Doris und Gaby vor sich ging. Ich wusste auch von deiner heimlichen Liebe zu ihr, Tochter!“
Sie war die Göttin!!!!
Mit jedem ihrer Worte wurde es ihr klarer! Die Göttin besuchte sie!
„Gaby“, wortlos sprach die Göttin weiter. „ Gaby wusste, das sie sterben würde, Nadine! Sie wollte sterben, denn ein Leben ohne Liebe war für sie nicht lebenswert. Sie lernte viele Frauen kennen, Frauen, die sich wie du und Doris in sie verliebten, und jedes Mal, wenn sie ehrlich über ihre Vergangenheit sprach, gingen die Frauen wortlos fort, oder verfolgten sie mit ihrem Hass, wie Doris!“
„Was ist mit Doris? Ist sie schon gefasst?“
„Doris war schon vor langer Zeit tot, obwohl sie sich bewegte. Ihre Seele war tot, denn die Liebe die nicht fordert, die Liebe, die von sich heraus gibt, hatte sie schon lange verloren. Sie wollte Macht, wollte über die Seelen anderer Frauen bestimmen, und was auch immer noch auf sie zukommt, es kann nicht so schlimm sein, wie die Strafe, die sie sich ausgesucht hat: Ohne Liebe zu sein!“
„Warum kommst du zu mir“, fragte sie wortlos?
„Du bist ausersehen, diesen Konvent weiter zu führen, so wie ich es will! Deine Aufgabe ist es, allen Frauen, die zu mir wollen, den Weg zu zeigen, und niemand abzuweisen, außer, ich sage es dir!“
„Auch Frauen wie Gaby?“
„Ja, auch Frauen wie Gaby! Denn sie sind auch meine Töchter, genauso wie du, Doris, Conny, und all die anderen Frauen, die in meinem Namen handeln“!
Mit langsamen Bewegungen stand die Göttin auf, und drehte sich ihr zu. Sie beugte sich zu ihr hinunter, umarmte sie, und gab ihr die fünf heiligen Küsse der Gemeinschaft, während sie leise sagte: „Sei gesegnet, meine Tochter!“
Plötzlich, so wie sie gekommen war, verschwand sie aus Nadines Blick. Sie war mit ihren Gedanken allein.
Das Rütteln eines Kastenwagens und die Schritte zweier Männer waren zu hören. Sie kamen näher, und hatten einen Zinksarg bei sich. Der ältere der beiden Männer, ein kahlköpfiger dicker Mann mit ungepflegten braunen Schuhen klopfte an die Tür. Eine Frau in weißem Kittel öffnete, und der Sarg wurde hinein gefahren, während der zweite Mann, klein und schlank, ein Formular der Frau reichte, mit der Bemerkung: „weibliche Leiche, Selbstmord durch ein komisches Messer“.
Er überreichte ihr eine durchsichtige Plastiktüte, und Nadine entdeckte darin die Althalme, das heilige Ritualmesser, das Doris in ihrer Hand hielt, nachdem sie Gaby getötet hatte.
„Friede deiner Seele, Schwester“, betete sie lautlos.
Sie stand auf, und ging zum Ausgang der Pathologie, hinein in ein neues Leben!
Ende
Alle Rechte bleiben der Autorin Gerlinde Kenkel (kenkel 2000 2000 aet yahoo punkt d E ) vorbehalten
Weiterverbreitung nur mit Nennung und Einverständnis der Autorin.